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Auch das gehört zur Bildungskrise: Der Ausbildungsmarkt kommt nicht in Schwung. Ist die Duale Ausbildung noch zu retten?

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BERLIN. Die Pandemie ist vorbei, aber der Ausbildungsmarkt kommt nicht wieder in Schwung. So lautet das Fazit des Berufsbildungsberichts des Bundesbildungsministeriums, den das Kabinett der Bundesregierung unlängst vorgelegt bekam. Danach lag die Zahl der neuabgeschlossenen Ausbildungsverträge 2022 noch um fast zehn Prozent niedriger als im Vor-Corona-Jahr 2019. Und die Perspektive verheißt nichts Gutes. Der Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung (BvLB) zeigt sich alarmiert.

Ausbildung oder Studium? Vielen jungen Menschen fehlt die Orientierung (Symbolbild). Foto: Shutterstock

„Der Arbeitsmarkt und damit mittelbar auch das Ausbildungssystem stehen vor großen strukturellen Herausforderungen“, heißt es im Bericht zur beruflichen Bildung, mit dem Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) unlängst ihre Kabinettskolleginnen und -kollegen aufschreckte. „Diese Herausforderungen ergeben sich zum einen aus den großen übergeordneten Trends Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie. Hinzu kommen aktuelle Ereignisse wie die Nachwirkungen der Corona-Pandemie und sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Für die Umsetzung der Energie- und Mobilitätswende in Deutschland sowie für die Gestaltung von sozialer, digitaler und ökologischer Transformation sind beruflich qualifizierte Fachkräfte unabdingbar. Jedoch kann das Angebot an qualifizierten Fachkräften in immer mehr Berufen die Nachfrage nicht mehr decken.“

Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt lässt erkennen, dass es sich nicht um einen kurzfristigen Engpass handelt. Denn die ist kritisch – was sich auf das künftige Fachkräfteangebot auswirkt. „Eine besondere Herausforderung für den Ausbildungsmarkt im Jahr 2022 war die Ausbildungsnachfrage junger Menschen“, so heißt es. „Die Nachfrage ist im Vergleich zum Vorjahr weiter gesunken, wohingegen das Ausbildungsangebot weiter gewachsen ist. Aus Sicht der Jugendlichen hat sich die Marktlage demnach weiter verbessert. So liegt der Anteil unbesetzter Stellen am Gesamtangebot der Betriebe erstmals seit Erfassung über dem Anteil der noch suchenden Ausbildungsstellenbewerberinnen und -bewerber an der Gesamtnachfrage. Betriebe sehen sich folglich mit immer größeren Schwierigkeiten bei der Besetzung ihrer Ausbildungsstellen konfrontiert.“

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Die Folgen sind gravierend. „Aktuelle Projektionen zeigen, dass besonders in Ausbildungsberufen, in denen heute schon viele Stellen nicht besetzt werden können (z. B. Berufe des Logistik- und Lebensmittelbereiches), auch langfristig Fachkräfteengpässe entstehen. In diesen Berufen kann der durch das Ausscheiden der ‚Baby-Boomer Generation‘ aus dem Erwerbsleben bedingte Rückgang an Fach- und Arbeitskräften nicht durch zukünftige Auszubildende aufgefangen werden. So wirken sich aktuelle Besetzungsschwierigkeiten auf dem Ausbildungsmarkt langfristig negativ auf die Rekrutierung von Fach- und Arbeitskräften aus.“

„Für die verringerte Grundgesamtheit junger Menschen gilt es, die Attraktivität einer dualen Berufsausbildung weiter zu erhöhen“

Weiter heißt es: „Das Geschehen auf dem Ausbildungsmarkt ist dabei vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung zu sehen. Die Zahl junger Menschen, die die allgemeinbildenden Schulen verlassen, steckt den Rahmen ab, der abstrakt für eine Steigerung der Auszubildendenzahlen adressiert werden kann. So haben im Jahr 2022 gemäß Prognosen der Kultusministerkonferenz (KMK) 4,7 Prozent weniger junge Menschen die allgemeinbildenden Schulen verlassen als noch 2019. Ein Tiefstand ist im Jahr 2026 zu
erwarten. Im Anschluss wird die Zahl der Schulabgängerinnen und -abgänger von allgemeinbildenden Schulen wieder ansteigen.“

Die Autorinnen und Autoren des Berichts betonen: „Für die verringerte Grundgesamtheit junger Menschen gilt es, die Attraktivität einer dualen Berufsausbildung weiter zu erhöhen sowie die gesellschaftliche Wertschätzung für die berufliche Bildung zu steigern, um das vorhandene Fachkräftepotential bestmöglich auszuschöpfen.“ Klingt gut – aber wie soll das gelingen? Zumal die nach wie vor hohe Zahl an Abbrechern das Problem zusätzlich verschärft. Im Jahr 2021 wurden 26,7 Prozent der begonnenen Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst (2020: 25,1 Prozent; 2019: 26,9 Prozent). Die Abbrecherquote lag damit leicht oberhalb des üblichen Schwankungsbereichs von 20 bis 25 Prozent.

Die duale Berufsausbildung sei ein unverzichtbarer Pfeiler des deutschen Bildungssystem und für eine qualifizierte Fachkräftesicherung von entscheidender Bedeutung, schreiben nun die beiden BvLB-Bundesvorsitzenden Pankraz Männlein und Sven Mohr in einer gemeinsamen Erklärung – dass sie das betonen müssen, macht deutlich, wie sehr bedroht das System ist. Männlein und Mohr: „Diese Entwicklung ist äußerst besorgniserregend und verdeutlicht die weiter anhaltenden Herausforderungen, mit denen die berufliche Bildung in Deutschland konfrontiert ist.“

Was tun? Zunächst weist der BvLB auf die Bedeutung der Berufsorientierung in den allgemeinbildenden Schulen hin – der Verband fordert eine verstärkte Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen dort, um eine Verbesserung zu ermöglichen. „Eine frühzeitig einsetzende und langfristig angelegte Berufsorientierung ist ein entscheidender Faktor für die erfolgreiche Platzierung von Jugendlichen in der dualen Berufsausbildung. Es ist wichtig, dass Schülerinnen und Schüler bereits während ihrer Schulzeit umfassende Einblicke in verschiedene Berufsfelder erhalten und sich fundiert informiert für eine passende Ausbildung entscheiden können. Dadurch werden auch Ausbildungsabbrüche vermieden“, heißt es.

„Nur durch eine konzertierte Anstrengung aller Berufsbildungsakteure können wir die berufliche Bildung in Deutschland nachhaltig verbessern“

Darüber hinaus sollten Ausbildungsplätze gezielt gefördert und die Rahmenbedingungen für Auszubildende und Ausbildungsbetriebe verbessert werden. Einen Punkt, den der BvLB ausdrücklich unterstützt, hatte Prof. Friedrich Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), unlängst in die Debatte gebracht: integriert-durchgängige Aus- und Weiterbildungsberufe weiter zu etablieren (etwa mit Formaten wie dem Dualen Studium). „Für eine moderne Berufsbildung brauchen wir ein zur akademischen Bildung durchlässiges System: Von der Berufsbildung in die akademische Bildung – und von der akademischen Bildung in die berufliche Bildung, also ein reziprokes Modell. Es muss auch integrativ sein, dementsprechend Angebote enthalten, die von akademischen und Trägern der beruflichen Bildung gemeinsam gestaltet werden“, so hatte Esser in einem Interview mit dem Branchenportal „Personalwirtschaft“ erklärt.

„Dadurch bietet sich eine kontinuierliche Qualifizierung und ermöglicht so einen nahtlosen Übergang zwischen verschiedenen Bildungsabschnitten. Der BvLB sieht darin eine zielführende Möglichkeit, die duale Berufsausbildung attraktiver zu gestalten und die Anpassungsfähigkeit an die sich wandelnden Anforderungen des Arbeitsmarktes zu verbessern“, heißt es seitens des Berufsschullehrerverbands. Appell der beiden BvLB-Bundesvorsitzenden: „Nur durch eine konzertierte Anstrengung aller Berufsbildungsakteure können wir die berufliche Bildung in Deutschland nachhaltig verbessern und den jungen Menschen optimale Startchancen bieten.“ News4teachers

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