
Die Bundesjugendspiele: Eigentlich sollen sie Lust auf Bewegung und Sport machen. Trotzdem verbinden Generationen von Schülerinnen und Schülern die altbekannten Wettkämpfe nicht nur mit Freude, sondern auch mit Frust – etwa, wenn die Mitstreiter auf dem Sportplatz schneller sprinten, besser werfen oder springen konnten. Ab dem Schuljahr 2023/2024 sollen die Leistungen von Grundschülern nun anders und weniger starr bewertet werden – statt eines «Wettkampfs» soll es nur noch den «Wettbewerb» geben. Was heißt das?
Die Sportarten Leichtathletik und Schwimmen müssen künftig alle Grundschulen bis zur vierten Klasse als Wettbewerb austragen – und nicht nur die erste und zweite Klasse wie bisher. Bis zur sechsten Klasse empfehlen die Verantwortlichen den Wettbewerb. Mit dieser Neuerung sollen die Spiele ab dem nächsten Schuljahr kindgemäßer werden, wie der Ausschuss für die Bundesjugendspiele und die Kommission Sport der Kultusministerkonferenz (KMK) bereits 2021 beschlossen hatten. Beim Geräteturnen hingegen darf man von der ersten bis zur vierten Klasse weiter zwischen den beiden Austragungsformen wählen.
Doch was ist der Unterschied zwischen dem Wettbewerb und einem Wettkampf? «Der Wettkampf ist nach internationalen Wettkampfregeln beziehungsweise nationalen Bestimmungen des Regelwerks des Deutschen Leichtathletikverbandes normiert. Der Wettbewerb ist nicht normiert», teilte ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums mit, das zusammen mit der KMK und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) in einem Kuratorium der Träger der Bundesjugendspiele ist.
«Vor allem aber geht es auch um Fairness, Respekt, Teamfähigkeit und soziale Kompetenzen»
Das bedeutet: Wer zu den Besten gehört, orientiert sich nicht mehr – wie bislang – an einer festgelegten Punktetabelle in Deutschland, sondern an den Leistungen der Kinder einer Schule innerhalb ihres Jahrgangs. Auch können Schulen beim Wettbewerb ohne die festgelegten Punktetabellen neben klassischen Disziplinen wie 50-Meter-Sprint oder Weitsprung noch andere Sportaufgaben anbieten – etwa Hürdensprint, Stoßen oder Drehwürfe.
Zudem sollen die Leistungen der Schüler nicht mehr zentimetergenau mit dem Maßband oder der Stoppuhr erfasst werden, wie der Ministeriumssprecher erklärte. Stattdessen gibt es künftig zum Beispiel beim Weitsprung oder Werfen bestimmte Zonen, in denen bestimmte Punkte vergeben werden. Es solle bei den jährlich stattfindenden Spielen insbesondere darum gehen, sich zu bewegen, Freude zu haben und sein Bestes zu geben, heißt es auf der Internetseite der Bundesjugendspiele. «Vor allem aber geht es auch um Fairness, Respekt, Teamfähigkeit und soziale Kompetenzen.»
Was bleibt, ist die traditionelle Vergabe von Ehren-, Sieger- und Teilnehmerurkunden, jedoch nach einem festen Schlüssel. Die besten 20 Prozent – getrennt nach Jahrgang und Geschlecht – bekommen die Ehrenurkunde, die mittleren 50 Prozent eine Siegerurkunde und die unteren 30 Prozent die Teilnehmerurkunde. Die Bundesjugendspiele für das Schuljahr 2023/2024 sollen nach Angaben des Bundesfamilienministeriums im August ausgeschrieben werden. Sie sind bis zur zehnten Jahrgangsstufe verpflichtend.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht in der Reform einen guten Ansatz – aber auch noch Luft nach oben. Zwar gehe es beim Wettbewerbsgedanken nun mehr um Respekt, Teamfähigkeit und soziale Kompetenzen, so GEW-Vorstandsmitglied Anja Bensinger-Stolze. «Man hätte aber noch einen größeren Schritt machen können, zum Beispiel, indem man noch stärker das Team in den Mittelpunkt stellt. Dass man bestimmte Sportarten anbietet oder sich gegenseitig hilft bei bestimmten Dingen», gab Bensinger-Stolze zu bedenken. Auch sollte jeder, der teilnimmt, in irgendeiner Form prämiert werden, ohne dass die Teilnehmer mit verschiedenen Urkunden verglichen werden. Es sei wichtig, die Kinder dafür zu begeistern, sich gemeinsam zu bewegen und Freude am Sport zu haben.
Das sieht der Verband Bildung und Erziehung (VBE) ähnlich. Gerade im Grundschulalter könne eine Alternative sinnvoll sein. Der VBE-Bundesvorsitzende Gerhard Brand betonte aber: «Dies darf nicht dazu führen, dass der Wettkampfcharakter pauschal und für alle Kinder abgeschafft wird. Alle Kinder sollen die Möglichkeit haben, entsprechend ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten zu entscheiden, ob sie eher Spiel und Spaß oder den Kampf um den ersten Platz suchen». Das Miteinandermessen sei ein starker Leistungsanreiz. Und «dieser Reiz ist es schließlich, der den Profisport so spannend und für die Zuschauerinnen und Zuschauer so attraktiv macht», sagte Brand.
«Kinder brauchen Bewegung und sie möchten sich messen – beides macht die Bundesjugendspiele seit Jahrzehnten aus»
Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) äußerte sich hingegen kritisch zur Reform. «Wir tun unseren Kindern keinen Gefallen, wenn wir so tun, als ob sich messen und Leistung nichts mit dem Leben zu tun hätten», sagte sie. «Bei der Debatte rund um die Reform stehen meist die vermeintlichen Schwächen einzelner Kinder im Vordergrund. Das missfällt mir sehr. Jedes Kind ist einzigartig mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen», sagte Günther-Wünsch. Beides müsse erkannt werden, um Kinder ideal zu fördern. «Und fördern heißt auch fordern – so auch beim Sport: Kinder brauchen Bewegung und sie möchten sich messen – beides macht die Bundesjugendspiele seit Jahrzehnten aus», sagte sie.
Spiegel-Kolumnist Nikolaus Blome, ehemaliger Politik-Chef der “Bild”-Zeitung, kommentiert gar: «Das Ende der Bundesjugendspiele sagt mehr über gesellschaftliches Selbstverständnis und deutschen Niedergang, als uns lieb sein kann». Er schreibt weiter: «Das vorherrschende Mindset ist die Flauschokratie, Distinktion steht unter Generalverdacht. Die kleinen Gemeinheiten des Lebens möglichst umfassend fernzuhalten, wird ein weiteres Mal zur Richtschnur der innerschulischen Organisation. Und langsam dürfte auch dem Letzten dämmern, warum ein Shitstorm über der Chefin der Bundesagentur für Arbeit niederging, als sie zu sagen wagte: ‘Arbeit ist kein Ponyhof.’ Würde Frau Nahles noch hinzufügen: ‘Lehrjahre sind keine Herrenjahre’, würde sie vermutlich zum Gegenstand eines Parteiausschlussverfahrens.»
Der Berliner Leichtathletikverband – der nicht im Verdacht steht, leistungsfeindlich zu sein – begrüßt hingegen das neue Konzept. «Es ist ein guter Entschluss”, sagte Vizepräsident Thomas Poller. Er hoffe, dass dadurch deutlich mehr Kinder Freude an der Bewegung finden. «Wie kommt man zum Sport? Sport soll ja Spaß machen”, sagte Poller. News4teachers / mit Material der dpa
Bundesjugendspiele zum letzten Mal als Wettkampf – GEW: „Endlich!“