POTSDAM. Der Lehrermangel an den Schulen trifft nicht nur die Kinder und Jugendlichen. Auch in den Lehrer-Kollegien sei die Stimmung wegen der hohen Belastung angespannt, sagt die Gewerkschaft GEW. Im Herbst könnten Lehrer in Brandenburg deshalb auf die Straße gehen.
Das Brandenburger Bildungsministerium hat für das kommende Schuljahr weniger Lehrkräfte neu gewonnen als benötigt. Insgesamt seien 1380 ausgebildete Pädagogen und Seiteneinsteiger unbefristet eingestellt worden, teilte das Bildungsministerium mit. Damit seien rund 460 Vollzeitstellen noch nicht besetzt. Daher seien unter Berücksichtigung der Teilzeitquote noch knapp 500 Stellen an den Schulen ausgeschrieben.
«Dennoch wird an allen Schulen die Stundentafel und damit der Kernunterricht sichergestellt», betonte Bildungsminister Steffen Freiberg (SPD). Wenn an einer Schule Lehrer fehlten, könnte es aber passieren, dass zusätzlicher Unterricht etwa im Ganztagsangebot oder bei den Wahlpflichtfächern bis zu einer Neueinstellung zurückgestellt werde oder Lerngruppen gemeinsam unterrichtet werden müssten. «Dabei kann auch die Obergrenze der Schülerzahl überschritten werden, um den Unterricht zu gewährleisten», erklärte der Minister.
Angesichts des Lehrermangels spricht der Landesvorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, Günther Fuchs, von einem «Systemversagen». «Das ist eine völlig neue Dimension – und der Minister hat keine Antworten», kritisierte Fuchs. Aus Sicht der Gewerkschaft fehlen unter Einrechnung aller Anforderungen sogar 1100 Lehrer.
«Dann gehen die Kollegen auf die Straße – die Stimmungslage ist mies in den Schulen»
Die GEW verhandelt mit Freiberg über Maßnahmen gegen den Lehrermangel. Dabei gehe es um die Arbeitszeit, Anreize für ältere Pädagogen, später in Rente zu gehen und eine bessere Weiterbildung der Seiteneinsteiger ohne pädagogische Ausbildung, sagte Fuchs. Die Gewerkschaft schlage vor, dass Lehrer freiwillig mehr arbeiten könnten, wenn dies über Arbeitszeitkonten später ausgeglichen werde.
Lehrern im Alter ab 63 Jahre sollten Teilzeitmodelle oder bei Vollzeit Bonuszahlungen angeboten werden, um sie länger an den Schulen zu halten, erklärte Fuchs. «Das Geld dafür ist ja da, weil Hunderte Lehrerstellen nicht besetzt sind.» Das Ministerium habe für das Ziel einer Einigung über die Maßnahmen bis Mitte Oktober angegeben.
Fuchs drohte mit öffentlichen Protesten, wenn die Verhandlungen scheitern sollten. «Dann gehen die Kollegen auf die Straße – die Stimmungslage ist mies in den Schulen», kündigte der GEW-Landesvorsitzende Günther Fuchs am Freitag an. Ein wesentlicher Knackpunkt sei dabei die Wochenarbeitszeit, betonte Fuchs: «Wenn die Unterrichtsverpflichtung um eine Stunde erhöht werden soll, brechen wir die Verhandlungen ab.»
«Die eine Stunde Mehrarbeit entspricht in Summe der Einstellung von 800 zusätzlichen Lehrern. Damit wären wir durch die Tür»
Dies hatte der Bildungsexperte der mitregierenden CDU-Fraktion im Landtag, Gordon Hoffmann, vorgeschlagen. Wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft seien, müsse man diskutieren, die Wochenarbeitszeit der Lehrer zeitlich begrenzt um eine Stunde anzuheben, forderte er. Diese Mehrarbeit müsse bezahlt oder auf einem Arbeitszeitkonto zum späteren Ausgleich vermerkt werden, sagte Hoffmann: «Die eine Stunde Mehrarbeit entspricht in Summe der Einstellung von 800 zusätzlichen Lehrern. Damit wären wir durch die Tür.» Minister Freiberg lehnt aber solch eine verpflichtende Erhöhung wie im Nachbarland Sachsen-Anhalt bislang ab. «Das verpflichtend anzuordnen, ist nicht mein Weg, denn diese Stunde fehlt dann ja bei den anderen Aufgaben der Lehrer», meinte er.
Der Lehrkräftemangel erstrecke sich inzwischen auf alle Schulformen und Fächer, berichtete die zuständige Abteilungsleiterin im Ministerium, Regina Schäfer. Besonders problematisch sei derzeit die Situation an den Oberschulen im Bereich Frankfurt (Oder).
Nach den Berechnungen des Bildungsministeriums wäre angesichts zahlreicher Pensionierungen und wachsender Schülerzahlen mit Tausenden Schülern aus der Ukraine die Neueinstellung von mindestens 1900 Lehrkräften notwendig gewesen. Unter den Neueinstellungen seien 490 Seiteneinsteiger, berichtete das Ministerium. Damit steigt deren Anteil bei den insgesamt 21 600 Lehrkräften auf 18 Prozent, nach gut 15 Prozent im Vorjahr.
Freiberg wollte angesichts des Lehrermangels ältere Lehrkräfte dafür gewinnen, bei einer reduzierten Zahl der Unterrichtsstunden später in Rente zu gehen. Da sich dafür aber im ersten Anlauf zu wenige Lehrkräfte interessierten, wurde das Projekt auf kommendes Jahr verschoben. Die Neueinstellung von Lehrkräften werde aber im laufenden Schuljahr fortgesetzt, sagte Freiberg. «Wir stellen ausgebildete Lehrkräfte jederzeit ein», betonte er. Das Problem allerdings: Es gibt sie nicht auf dem Arbeitsmarkt. News4teachers / mit Material der dpa
