MAGDEBURG. Das Land Sachsen-Anhalt hat einer Grundschullehrerin nach fast 40 Dienstjahren gekündigt, weil sie die Erteilung einer verpflichtenden Zusatzstunde pro Woche verweigerte – fristlos. Die 60-Jährige klagt allerdings dagegen vor dem Arbeitsgericht Stendal. Ein Termin steht noch nicht fest. Unterdessen machen die Eltern der betroffenen Grundschule gegen die Kündigung mobil.
Das Landesschulamt hatte die Kündigung zuvor verteidigt. Die betreffende Lehrkraft habe sich seit geraumer Zeit und mehrmals geweigert, die Vorgriffsstunde zu leisten. Dies stelle eine Arbeitspflichtverweigerung dar, die Konsequenzen nach sich ziehe. Alle milderen Mittel, darunter ein Personalgespräch und eine Abmahnung, seien ausgeschöpft worden, hieß es. „Der Personalrat hat darum letztlich auch keine Einwände gegen die Kündigung erhoben.“ Die Lehrerin habe genau gewusst, „zu welchen Konsequenzen ihr Handeln führen wird“.
Um den Unterrichtsausfall zu begrenzen, den der auch in Sachsen-Anhalt sich auswachsende Lehrermangel verursacht, müssen Lehrerinnen und Lehrer dort seit den Osterferien eine Stunde pro Woche zusätzlich unterrichten. Diese können sie sich auszahlen lassen oder auf einem Arbeitszeitkonto ansammeln. Die Maßnahme des von der CDU-Politikerin Eva Feußner geführten Bildungsministeriums löste wütende Proteste in der Lehrerschaft aus (News4teachers berichtete). So kündigte die GEW an, das Land deshalb mit einer Klagewelle überziehen zu wollen.
Tatsächlich sind seit dem 14. August zwei – offenbar von der Gewerkschaft unterstützte – Normenkontrollverfahren beim Oberverwaltungsgericht von Sachsen-Anhalt anhängig (News4teachers berichtete auch darüber). Sie zielten darauf ab, Regelungen zur Einführung eines Langzeitarbeitskontos für Lehrkräfte und zur Änderung arbeitszeitrechtlicher Vorschriften im Schuldienst für unwirksam zu erklären, wie eine Gerichtssprecherin erklärte. «Die Antragsteller sind der Auffassung, dass diese Regelung mit höherrangigem Recht unvereinbar ist, weil bei der Anordnung der Vorgriffsstunde ohne Ausnahme sowohl gegen beamtenrechtliche als auch arbeitsrechtliche Grundsätze verstoßen werde».
Auch die Lehrerin der Grundschule Henningen bei Salzwedel wehrte sich einem Bericht des MDR zufolge gegen die vom Bildungsministerium verfügte Zusatzstunde. Von Anfang an habe sie in ihrem Kollegium erklärt, dass sie damit nicht einverstanden sei – und ihre Ablehnung mit den hohen Belastungen im Schuldienst begründet. Zu unterrichten sei nicht mit früheren Zeiten zu vergleichen, sagt die 60-Jährige gegenüber dem Sender: Klassen mit 27, 28 Schülern, Kinder mit unterschiedlichsten Voraussetzungen und Ansprüchen. Manchen Mädchen und Jungen fehle der Wille zu lernen, andere seien in ihrer Aufmerksamkeit und ihren Aufnahmefähigkeiten eingeschränkt.
Manche ihrer Kollegen hätten mit Unverständnis reagiert, andere ihre Bewunderung für ihren Mut ausgedrückt. Auch ein Personalgespräch und eine Abmahnung hätten sie von ihrer Meinung nicht abgebracht. Daraufhin erfolgte die Kündigung aus dem Schuldienst – fristlos. „Durch Ihr Verhalten haben Sie das Vertrauensverhältnis zu Ihrem Arbeitgeber nachhaltig und unwiederbringlich zerstört“, so heißt es in dem Schreiben des Schulamts, das dem Sender vorliegt.
„Es handelt sich um eine klare dienstrechtliche Verfehlung. Die Kollegin kann nicht überrascht gewesen sein. Sie wusste um die Konsequenzen“
„Es ist angesichts des Fachkräftemangels immer bedauerlich, Personal zu verlieren“, sagt Bildungsstaatssekretär Jürgen Böhm, bis vor Kurzem selbst noch Bundesvorsitzender des Realschullehrerverbands. „Allerdings wurden im konkreten Fall seitens der Schule und des Landesschulamtes über einen Zeitraum von mehreren Monaten alle milderen Maßnahmen ausgeschöpft.“ Die Lehrerin sei über Wochen über keine einzige Brücke gegangen, erklärte er gegenüber der Magdeburger „Volksstimme“. Böhm: „Es handelt sich um eine klare dienstrechtliche Verfehlung. Die Kollegin kann nicht überrascht gewesen sein. Sie wusste um die Konsequenzen.“
Die Anordnung zur Mehrarbeit verteidigt er. „Die Arbeitszeit der Lehrer in Sachsen-Anhalt ist im Vergleich zu anderen Bundesländern teils geringer. In Grundschulen etwa hatten wir bis April 27 Unterrichtsstunden pro Woche. Der Nachbar Niedersachsen verlangt regulär 28 Stunden. Wir haben die Arbeitszeit damit also in gewisser Weise nur ans Niveau anderer Bundesländer angeglichen“, sagt Böhm und betont: „Die Vorgriffstunde wird bei uns gesondert vergütet oder kann auf einem Arbeitszeitkonto angesammelt und später abgebummelt werden. Das gibt es in anderen Bundesländern nicht.“ Sie sei unter den aktuellen Bedingungen „schlicht nötig“.
Unterdessen wird Prostest aus der Elternschaft der betroffenen Grundschule laut, wie die „Volksstimme“ berichtet. „Warum wird in Zeiten von Personalmangel langjähriges Personal mit einer vorbildlichen Personalakte fristlos gekündigt“ – so wollen die Verfasser von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) wissen. „Herr Haseloff, wissen Sie eigentlich wie schwer die Arbeit mit bis zu 30 Kindern in einer Grundschulklasse ist? Haben Sie überhaupt eine Ahnung, was es bedeutet, dann noch Mehrstunden zu leisten?“ Zumal der Großteil der Lehrer an der Grundschule um die 60 Jahre alt sei. Die Eltern fordern: „Bitte überdenken Sie Ihre Personalpolitik!“ News4teachers / mit Material der dpa