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Altersermäßigung, Team-Coaching, Hilfskräfte… GEW-Liste gegen den Lehrermangel

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STUTTGART. Bereits für den ersten Schultag in Baden-Württemberg am kommenden Montag müssen sich Schülerinnen und Schüler sowie ihre Eltern auf Unterrichtsausfall einstellen – sagt die GEW und stellt fest: Alle Schularten werden im nächsten Schuljahr 2023/2024 erneut zu wenig Lehrkräfte haben, um den Pflichtunterricht sicherzustellen. Die GEW hat 21 Vorschläge erarbeitet, um den Lehrermangel kurzfristig beizukommen.

“Frustrierend”: GEW-Landeschefin Monika Stein. Foto: GEW

Die Bildungsgewerkschaft GEW erwartet von der Landesregierung „nachhaltige Investitionen und mehr Kreativität”, um die 4.500 Schulen im Land dauerhaft krisenfest zu machen. Mit 21 Vorschlägen zur Lehrkräftegewinnung reagiert die Bildungsgewerkschaft auf den Mangel an Pädagoginnen und Pädagogen.

„Es ist für die Lehrkräfte frustrierend, dass sie auch im nächsten Schuljahr jonglieren müssen, um den Pflichtunterricht einigermaßen sicherzustellen. Die langfristig wirkenden Vorschläge der GEW wie die Schaffung zusätzlicher Studienplätze sind seit langem bekannt. Dazu kommen viele weitere Ideen zur Lehrkräftegewinnung, die wir dem Kultusministerium vorgeschlagen haben. Lehrkräfte, Schüler*innen und Eltern erwarten schnelle Antworten und nachvollziehbare Erklärungen, warum die grün-schwarze Landesregierung nur so wenige Vorschläge anpackt“, sagte Monika Stein, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Stuttgart.

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Zu den Vorschlägen der GEW zur Lehrkräftegewinnung zählen eine Erhöhung der Altersermäßigung, damit mehr Lehrkräfte vor dem Ruhestand bis zur Altersgrenze arbeiten können. Mit mehr Qualifizierungsprogrammen soll der Quereinstieg besser möglich werden. Der weitere Ausbau der Studienplätze vor allem für Sonderpädagogik und Grundschulen wirke zwar erst langfristig, müsse aber bereits 2023 gestartet werden. Die Bildungsgewerkschaft wirft dabei auch den Blick in andere Bundesländer, wo es zum Beispiel in Brandenburg Stipendien für Lehramtsstudierende gibt, wenn sie sich für ländliche Regionen bewerben.

„Sollen notwendige pädagogische Weiterentwicklungen wie der Ganztagsausbau, die Inklusion und die Stärkung der Beruflichen Bildung Utopien bleiben, weil wir dauerhaft nicht die pädagogischen Profis haben?“

Die GEW-Chefin erinnerte an Jahre, in denen es in allen Schularten deutlich mehr Bewerberinnen und Bewerber für freie Stellen gab. „Warum ist die Landesregierung nicht wieder so mutig, wie diese Vorgängerregierungen vor 20 und 30 Jahren und bildet auch über den Bedarf Lehrkräfte aus? Wir werden sie brauchen, denn die Schüler*innenzahlen steigen und es werden langfristig weiter Menschen aus anderen Ländern in unser attraktives Baden-Württemberg kommen. Sollen notwendige pädagogische Weiterentwicklungen wie der Ganztagsausbau, die Inklusion und die Stärkung der Beruflichen Bildung Utopien bleiben, weil wir dauerhaft nicht die pädagogischen Profis haben, um unsere Kinder und Jugendlichen fit zu machen für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts?“, fragte Stein.

Die GEW geht davon aus, dass im nächsten Herbst/Winter mehr geflüchtete Schülerinnen und Schüler als im Schuljahr 2015/16 die Schulen besuchen werden. „Die Leistung der pädagogischen Profis in unseren Schulen bei der Integration ist gewaltig und bewundernswert. Wichtiger als ein Dankeschön sind systematische Verbesserungen. In den nächsten Jahrzehnten werden weiter Kinder und Jugendliche zu uns kommen. Es rächt sich, dass in den vergangenen Jahren die Lehrkräfte der Vorbereitungsklassen nicht dauerhaft eingestellt und qualifiziert wurden. Es sind Dauerstellen für die Lehrkräfte notwendig, die in Vorbereitungsklassen eingesetzt werden. Wir brauchen mehr Fortbildungen in Deutsch als Zweitsprache und Trauma­pädagogik. Wenn hier Einstellungsmöglichkeiten für Menschen geschaffen werden, die die notwendigen Qualifikationen mitbringen, würde das unser System entlasten. Das Land hat in Bezug auf dieses Thema viel geleistet. Das muss nun verstetigt werden“, sagte Stein.

„Schüler*innen mit Behinderung werden nach Hause geschickt, was ihre Bildungschancen beeinträchtigt und die Familien belastet”

Die GEW erwartet eine schnelle Einigung zwischen Land und den kommunalen Spitzenverbänden über die Ausstattung der Schulen. „Während überall über Künstliche Intelligenz diskutiert wird, verstauben in den Schulen die ersten während Corona gekauften Notebooks, weil es keine IT-Unterstützung gibt“, sagte Stein.

Bei der Lehrkräfteeinstellung gibt es große regionale Unterschiede. Viele der Bewerberinnen und Bewerber bewerben sich laut GEW nicht landesweit, sondern nur in ihren Wunschregionen. Für Schulen in den Großstädten der sogenannten „Rheinschiene“ gibt es meist genügend Bewerberinnen und Bewerber. In vielen ländlichen Regionen gibt es aber kaum Interessentinnen und Interessenten für einen Platz im Klassenzimmer. Besonders an den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungs­zentren (SBBZ) und in der Inklusion fehlen immer mehr Lehrkräfte. „An den SBBZ kann der Pflichtunterricht an vielen Schulen nur teilweise stattfinden. Schüler*innen mit Behinderung werden nach Hause geschickt, was ihre Bildungschancen beeinträchtigt und die Familien belastet”, sagte Stein. Auch viele Berufliche Schulen, Grundschulen und Schulen der Sekundarstufe 1 starten ihr zufolge ins neue Schuljahr mit zu wenig Personal. An den allgemein bildenden Gymnasien seien die Einstellungschancen gut, wenn die Bewerberinnen und Bewerber regional flexibel sind. News4teachers

Die Vorschläge der GEW

Die folgenden 21 Punkte sollte das Kultusministerium Baden-Württemberg angehen, um den Lehrkräftemangel zu bekämpfen – meint die GEW. Im Wortlaut:

1) Ausbau der Studienplätze für Lehramt, zuerst für Grundschulen und Sonderpädagogik (Grundlage: u.a. Lehrkräftebedarfsprognose BW aus 10/2022 – bis 2035 fehlen mind. 16.000 neue Grundschullehrkräfte.) Ziel muss es sein, auch über Bedarf Lehrer*innen auszubilden!

2) Zweijähriges Aufbaustudium Sonderpädagogik ausbauen und attraktiver machen!

3) Bezahlung des ISP (Integriertes Semester Praktikum) im Lehramtsstudium!

4) Stipendien für Lehramtsstudierende, die sich für wenig begehrte Regionen verpflichten (Beispiele in Brandenburg, Bremerhaven)!

5) Höhere Bezahlung im Referendariat und Bezahlung der Sommerferien am Ende des Referendariats!

6) Zulagen für ein Referendariat in Mangelbereichen und wenig begehrten Regionen!

7) Altersermäßigung erhöhen (Vorschlag liegt der KM seit 2018 vor). Ziel ist es, die Zahl derjenigen, die bis zum Ruhestand durchhalten können, in die Höhe zu schrauben. Beispiel: Brandenburg plant, dass Lehrkräfte über 55 Jahren zehn Stunden ihres Deputats Altersermäßigung bekommen!

8) Prämien und kreative Anreize für die Tätigkeit in wenig begehrten Regionen. Beispiele: Umzugszuschüsse in Bayern, Angebote zur Kinderbetreuung, günstigen Wohnraum anbieten, zusätzliches Gehalt für begrenzten Zeitraum – Lösungen mit den kommunalen Spitzenverbänden finden und umsetzen!

9) Vertretungsreserve ausbauen, dafür u.a. zusätzliche Gymnasiallehrkräfte einstellen!

10) Weitere Entfristung befristet beschäftigter Lehrkräfte und anteilige Bezahlung derSommerferien für Befristete, die nach dem 31.12. eingestellt werden!

11) Besoldung nach A13/E13 in Grund- und Haupt-/Werkrealschulen!

12) Lehrkräfte mit „Deutsch als Zweitsprache“ und „Deutsch als Fremdsprache“ weiterausbilden, unbefristet einstellen und qualifizieren!

13) Weitere Qualifizierungsangebote für Personen ohne Lehramtsausbildung und Quereinsteiger*innen (u.a. Beispiele in anderen Bundesländern nutzen)!

14) Programm „back to school“ für ehemalige Lehrkräfte (evtl. Beispiel in Bremen)!

15) Mangelbereiche definieren, um bei einer Eingruppierung nach TV-L höhere Eingruppierungsstufen zu ermöglichen!

16) „Arbeitszeitreserven“ heben, um mehr Lehrkräften in Teilzeit eine Aufstockung zu ermöglichen: u.a. Kinderbetreuungsangebote und Unterstützungssysteme für Lehrkräfte wie Team-Coaching anbieten!

17) Mentor*innen stärken: Lehrkräfte, die z.B. Referendar*innen und Quereinsteiger*innen begleiten, qualifizieren und coachen!

18) Multiprofessionelle Teams bilden, qualifizieren, begleiten!

19) Mehr IT-/Verwaltungsunterstützung!

20) Schulen im schwierigen Umfeld jetzt besser ausstatten (und nicht Jahre auf die Ergebnisse von Modellversuchen warten)!

21) Einstellungspolitik bundesweit verbindlich regeln: u.a. Staatsvertrag zur Lehrkräfteausbildung und zur Deckung des Lehrkräftebedarfs!

KMK-Kommission sagt 20 Jahre Lehrermangel voraus – sie empfiehlt: Mehrarbeit für Lehrkräfte, Hybridunterricht, größere Klassen

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