ERFURT. Wie nett dürfen Gewerkschaften gegenüber Arbeitgebern sein? Eine Vereinbarung der Thüringer Lehrerverbände mit dem dortigen Bildungsministerium, die die Bedingungen für ältere Lehrkräfte verschlechtert, hat zu einer hitzigen Diskussion geführt. Nun hat die GEW-Landesvorsitzende dazu eine Erklärung herausgeben, die nahelegt, dass zuvor harte Verhandlungen geführt worden seien. Im Bildungsministerium weiß man davon allerdings nichts.
„Dürfen Lehrer-Gewerkschaften kampflos einer Verschlechterung der Konditionen für ihre Mitglieder zustimmen?“ – so hatte News4teachers am Wochenende getitelt und damit eine hitzige Debatte ausgelöst. Hintergrund: In Thüringen haben Vertreterinnen und Vertreter der Lehrkräfte-Gewerkschaften einem „Konsenspaket“ mit dem Bildungsministerium zugestimmt, das eine Verschlechterung der Konditionen für ältere Lehrkräfte vorsieht, konkret: eine Verschiebung der sogenannten „Altersabmilderung“ (die eine geringere Unterrichtsverpflichtung beinhaltet) von 55 auf 57 Jahre. Daran wurde Kritik aus Reihen der Lehrerschaft laut – auch deshalb, weil die Umsetzung für alle Lehrkräfte gilt, nicht nur für Gewerkschaftsmitglieder.
Dass News4teachers darüber berichtete, sorgte für Verdruss insbesondere bei der GEW, deren Thüringer Landesvorsitzende Kathrin Vitzthum der Redaktion im Leser*innenforum zu dem Beitrag vorwarf, die Arbeit der Gewerkschaften „schlecht zu reden“. „Die GEW Thüringen hat am 26.09.2023 und am 19.10.2023 drei Maßnahmenpakete bzw. Zielvereinbarungen unterzeichnet“, so schreibt sie nun in einer Stellungnahme auf der Homepage der Gewerkschaft und betont: „Diese wurden in gemeinsamen Verhandlungen mit dem Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport sowie den drei Lehrerverbänden tlv, Thüringer Philologenverband und Berufsschullehrerverband erarbeitet.“
„In Verantwortung für die Schüler:innen war für die GEW Thüringen auch klar, dass wir einen konstruktiven Beitrag zur Lösung leisten müssen, wenn wir dem Anspruch einer Bildungsgewerkschaft gerecht werden sollen“
Und weiter: „Anfang 2023 sorgten die Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission bei der KMK zur Behebung des akuten Lehrkräftemangels für Aufruhr. Sie enthielten u.a. Vorschläge zur Anpassung des Ruhestandseintritts, der Reduktion der Unterrichtsverpflichtung aus Altersgründen und der Teilzeitbeschäftigung an die aktuelle Situation sowie zur Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung in Anlehnung an das Konzept der Vorgriffsstunden. Dies konnten wir durch die Aufnahme von Verhandlungen verhindern.“
„In Verantwortung für die Schüler:innen“ sei für die GEW Thüringen auch klar gewesen, so Vitzthum, „dass wir einen konstruktiven Beitrag zur Lösung leisten müssen, wenn wir dem Anspruch einer Bildungsgewerkschaft gerecht werden sollen. Die Verhandlungskommission hatte sich auf sog. rote Linien verständigt, die die Interessen der Beschäftigten in den Fokus schoben: keine Erhöhung der Pflichtstundenzahl, keine pauschale Ablehnung von Teilzeit und Versetzungen in den vorzeitigen Ruhestand, keine Erhöhung von Klassengrößen u.a. Dies durchzusetzen, ist uns gelungen.“
Das wirft einmal mehr die Frage auf: Standen denn Maßnahmen wie eine Mehrarbeit von Lehrkräften oder größere Klassen in Thüringen überhaupt ernsthaft zur Debatte? Öffentliche Äußerungen von Bildungsminister Helmut Holter (Linke), die darauf schließen ließen, gibt es nicht – öffentliche Äußerungen von Gewerkschaftsvertreter*innen, in denen solche Forderungen zurückgewiesen würden, auch nicht.
„Unser Minister sagt: Die Lehrkräfte sind an der Belastungsgrenze“
Beim Bildungsministerium heißt es, dass die Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der KMK selbstverständlich von den zuständigen Fachreferaten im Haus geprüft worden seien – dafür seien sie ja vorgelegt worden. Wurde denn mit der Umsetzung gegenüber den Gewerkschaften gedroht? „Von einer Drohung ist mir nichts bekannt“, erklärt eine Sprecherin gegenüber News4teachers. Ohnehin würden nicht alle Vorschläge der SWK in Thüringen Sinn machen. So sei zum Beispiel die Teilzeitquote im Freistaat nicht so hoch, dass Einschränkungen hier messbare Effekte erwarten lassen würden. Und: „Unser Minister sagt: Die Lehrkräfte sind an der Belastungsgrenze.“ Die GEW habe ihre Erklärung diesbezüglich „nicht ganz glücklich formuliert“.
Und wie sieht es mit der Behauptung der GEW-Landesvorsitzenden aus, dass die von der SWK vorgeschlagenen Maßnahmen wie Mehrarbeit für Lehrkräfte und größere Klassen in Thüringen „verhindert“ worden seien? News4teachers liegt die von den Lehrerverbänden unterzeichnete Übereinkunft vor. Sie bezieht sich allein auf das Themenfeld „Altersabminderung, Antragsruhestand und Wiedereinstieg“. Eine Verpflichtung des Bildungsministeriums, bestimmte Maßnahmen zu unterlassen, ist darin nicht enthalten.
Offenbar gilt bei der GEW Thüringen das Prinzip Hoffnung. „Wohlwissend, dass viele Lehrer:innen bereits an der Belastungsgrenze arbeiten und häufig genug unentgeltliche Mehrarbeit leisten, haben wir mit Blick auf eine mögliche weitere Mehrarbeit verhandeln können, dass künftig Mehrarbeit ab der ersten Stunde abgegolten werden muss und eine Neudefinition von Mehrarbeit notwendig ist“, so schreibt Vitzthum. „Damit freiwillige Mehrarbeit den Zweck einer besseren Unterrichtsversorgung erfüllt, ist die Einführung von Arbeitszeitkonten dringend geboten. Um diese Konten rechtssicher für Tarifbeschäftigte wie Beamt:innen ausgestalten zu können, haben sich beide Verhandlungsseiten zu weiteren Gesprächen verabredet. Auf der Grundlage der bereits erarbeiteten Positionen werden in den kommenden Wochen die rechtlichen Voraussetzungen geprüft und wo nötig geschaffen.“
Eine abschließende Vereinbarung dazu, das bestätigt das Ministerium gegenüber News4teachers, gibt es bislang aber nicht – lediglich eine von Holter und den Gewerkschaften am 25. September unterzeichnete „Zielvereinbarung“, also eine Absichtsbekundung. Als gemeinsames „oberstes Ziel“ wird darin vereinbart: „Absicherung des Unterrichts“. Dass „eine Neudefinition von Mehrarbeit“ notwendig sei und „künftig Mehrarbeit ab der ersten Stunde abgegolten werden muss“, wie Vitzthum erklärt, ist in dem Papier zwar aufgeführt. Aber: lediglich unter dem Punkt „Vorschläge“. News4teachers