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Landtagswahlen – Bayern und Hessen bleiben auf Kurs: Warum das für die Schulen (zunächst mal) eine gute Nachricht ist

BERLIN. Bayern und Hessen haben gewählt – und ihre Landesregierungen bestätigt. Die bisherigen Kultusminister, Bayerns Michael Piazolo (Freie Wähler) und Hessens Alexander Lorz (CDU), dürften mit hoher Wahrscheinlichkeit in ihren Ämtern verbleiben. Für die Schulen ist das – unabhängig von der parteipolitischen Ausrichtung – zunächst mal eine gute Nachricht. Kontinuität in der Bildungspolitik ist ein Wert an sich. Zumindest dann, wenn dabei nicht die Weiterentwicklung vergessen wird.

Der Supertanker Schulsystem verträgt kein hektisches Hin- und Hersteuern. Da ist es zunächst mal (fast) egal, wer am Ruder steht. Foto: Shuttestock

Das „Gütesiegel Individuelle Förderung“, initiiert von der damaligen nordrhein-westfälischen Schulministerin Barbara Sommer (CDU), war in den Jahren 2009 und 2010 die wohl größte pädagogische Bewegung in Deutschland. Schulen, die Initiativen zur Verbesserung der Individuellen Förderung an ihrer Schule ergriffen, Konzepte entwickelten, erprobten und auswerteten und damit zur Schul- und Unterrichtsentwicklung beitrugen, konnten sich bewerben – wohlgemerkt: freiwillig.

Mit großem Einsatz beteiligten sich Hunderte von Kollegien in Nordrhein-Westfalen an dem Audit: 439 Schulen erhielten schließlich die Auszeichnung. Geplant war ein langfristiges, auf Weiterentwicklung ausgelegtes Programm, das dazu beitragen sollte, schulische Innovationen voranzubringen. Dann aber kam der Regierungswechsel – und nur ein Jahr darauf wurde das Audit von Sommers Nachfolgerin Sylvia Löhrmann (Grüne) eingestampft. Die Schulen, denen das Gütesiegel in Form eines repräsentativen Acrylglas-Schildes verliehen worden war und das sie stolz am Schuleingang angebracht hatten, mussten es wieder abschrauben. Sie waren nach viel unnötiger Arbeit um eine Erkenntnis reicher: Es lohnt sich nicht, sich über Gebühr für Ideen aus der Bildungspolitik zu engagieren. Keine Verlässlichkeit, keine Kontinuität, keine durchgehende Linie.

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Gestern platzte einer pensionierten Leiterin eines Gymnasiums in Niedersachsen in der Deutschlandfunk-Sendung Campus & Karriere („Arbeitsplatz Schule – Wie der Lehrerberuf attraktiver werden kann“) der Kragen – angesichts des ständigen Hin und Her in der Bildungspolitik. „Zunächst wäre wichtig, dass überhaut mal wieder Ruhe einkehrt. Wir erleben seit Jahren eine permanente Veränderung an Schulen, ohne dass in irgendeiner Weise evaluiert würde, was davon gut und was davon schlecht war“, schimpfte sie. Sie selbst habe als Lehrerin für Deutsch und Englisch und später dann als Schulleiterin erleben müssen, wie in Niedersachsen zunächst die Orientierungsstufe (in der die Schüler der Klassen fünf und sechs gemeinsam unterrichtet wurden) eingeführt wurde, um sie dann nach einem Regierungswechsel wieder abzuschaffen. Genauso sei es dann mit G8 und G9 gelaufen.

Dann sei die Inklusion den Schulen „hingeworfen“ worden – ohne geeignete Unterstützung. Und jetzt: der Lehrkräftemangel. „Das Letzte, was ich vor dem Ruhestand noch zu bewerkstelligen hatte, ich musste die Kollegen von meinem Gymnasium abordnen, weil nämlich die Grundschulen viel zu wenig versorgt waren, vier Tage vor Schuljahresbeginn bekam ich eine entsprechende Anweisung – schauen Sie, wie Sie’s hinkriegen. Sie können sich vorstellen, mit welcher Unruhe das für die Kolleginnen und Kollegen verbunden ist“, berichtete die Oberstudienrätin. Und sie betonte: „Wir werden getrieben durch die Bildungspolitik – und zwar immer in Abhängigkeit vom jeweiligen Kultusminister, der die eine oder andere ideologische Vorstellung hat, wie eine gute Schule aussehen sollte. Und das ist einfach unheimlich schwierig, weil wir letztendlich ausführende Organe sind, die uns immer wieder neu ausrichten müssen.“

„Bildungssysteme werden nicht besser, wenn sie permanent reformiert werden. Eher belasten sie die Schulen und die Schülerinnen und Schüler“

In den Kultusministerien sollten Menschen sitzen, die auch einen Praxiseinblick haben, befand die Schulleiterin a. D.. Das sei oft überhaupt nicht der Fall. Sie forderte, „dass man den Schulen Ruhe gibt, sich vernünftig zu entwickeln, dass die Vorgaben klar sind und nicht ganz schnell über den Haufen geworfen werden. Nicht umsonst ist uns Bayern in ganz vielen Dingen im Voraus, man kann von der Regierung dort halten, was man will, aber da sind die Schulen politisch in einer Hand gewesen über viele Jahre – und deshalb sind die uns auch in der Bildung um einiges voraus.“

Falsch scheint sie damit nicht zu liegen. „Bildungssysteme werden nicht besser, wenn sie permanent reformiert werden. Eher belasten sie die Schulen und die Schülerinnen und Schüler“, meint auch Prof. Kerstin Schneider, Vorsitzende des Wuppertaler Instituts für bildungsökonomische Forschung (WIB), in einem Beitrag für das ifo-Institut.

Die Folgen beschreibt die Bundeszentrale für politische Bildung so: „Bei 16 Bundesländern mit teilweise unterschiedlichen Prioritätensetzungen besteht die Gefahr, dass die gesamtstaatliche Bildungslandschaft auseinanderdriftet. Oft verschärft zudem ein Regierungswechsel diese Uneinheitlichkeit, wenn die neue politische Mehrheit genutzt wird, um einschneidende strukturelle Umbauten durchzusetzen. So haben sich im Laufe der Jahrzehnte beträchtliche Unterschiede zwischen den Schulsystemen der Bundesländer herausgebildet. Sie betreffen insbesondere den Sekundarbereich I. Hier sorgt ein Nebeneinander von Zwei-, Drei-, Vier- oder Mehrgliedrigkeit sowie unterschiedlich benannten Schularten/Schulformen und Bildungsgängen für eine beispiellose Unübersichtlichkeit. Darüber hinaus weichen Beginn und Dauer der Schulpflicht, Stundentafeln und Lehrpläne sowie Benotungs- und Versetzungsregelungen voneinander ab. Ferner gibt es große Unterschiede bei der Umsetzung von G8 (Abitur nach 12 Schuljahren bzw. 8 Jahren Sekundarstufe) und G9 (Abitur nach 13 Schuljahren bzw. 9 Jahren Sekundarstufe), ebenso beim Ausbau von Vorschuleinrichtungen, Fördereinrichtungen oder Ganztagsschulen. Schließlich finden sich entgegengesetzte Regelungen für die Freigabe oder Beschränkung des Elternwillens beim Übergang in eine weiterführende Schule wie auch erhebliche Unterschiede bei der Gewährleistung von Qualitäts-, Gerechtigkeits- und Leistungsstandards.“

Wie positiv andersherum Kontinuität wirken kann, macht das angesprochene Beispiel Bayern deutlich, dessen Kultusministerium seit Jahrzehnten von konservativen Politikerinnen und Politikern geführt wird (der Wechsel von der CSU zu den Freien Wählern stellte keine echte Zäsur dar), aber auch andere Bundesländer, wo das Bildungsministerium bzw. die Bildungsverwaltung seit Langem in der Hand einer Partei liegt. Bayern, im Gesamtranking des Bildungsmonitors des Instituts der Deutschen Wirtschaft im Auftrag der INSM auf Platz zwei hinter Sachsen platziert, liegt im Dynamikranking, das die Verbesserungstendenz der vergangenen Jahre erfasst, auf Platz drei, gleichauf mit Schleswig-Holstein (wo Bildungsministerin Karin Prien, CDU, auch schon seit 2017 im Amt ist). Platz zwei im Dynamikranking: Hamburg, wo Bildungssenator Ties Rabe (SPD) bereits seit 2011 regiert. Platz eins belegt das Saarland – seit 2012 von der SPD geführt.

Wie schädlich fehlende Kontinuität sich auswirkt, macht hingegen Nordrhein-Westfalen deutlich. Dort haben sich in den letzten 20 Jahren Schulministerinnen von SPD, CDU, Grünen und FDP abgewechselt. Ergebnis: In keinem anderen Bundesland bewerten die Bürgerinnen und Bürger die Bildungspolitik schlechter, in keinem anderen Bundesland wird im Verhältnis zur Schülerzahl weniger für Schulen ausgegeben (News4teachers berichtete). Nur kurz amtierende Schulministerinnen haben offensichtlich kein gutes Standing in der NRW-Landesregierung. Ein ähnliches Beispiel: Baden-Württemberg. Zwar führt dort seit 2011 Winfried Kretschmann (Grüne) als Ministerpräsident die Landesregierung an – unter ihm wechselten die Kultusminister*innen aber fröhlich: von der SPD zur CDU zu den Grünen. Resultat: Baden-Württemberg belegt im Dynamikranking des Bildungsmonitors den letzten Platz.

„Das sächsische Bildungssystem steht für Kontinuität und Beharrlichkeit, das hat immer Vor- und Nachteile“

Nun ist Kontinuität in der Bildungspolitik womöglich eine notwendige Bedingung für eine florierende Schullandschaft, eine hinreichende ist sie nicht – wie die Bildungspolitik gemacht wird, gehört schon mit zum Bild. Anke Langner, Professorin für Erziehungswissenschaft der TU Dresden, sieht in Stabilität auch negative Seiten. Mit Blick auf Sachsen, immerhin Seriensieger in allen innerdeutschen Schülerleistungsvergleichen, stellte sie erst unlängst gegenüber dem MDR fest: „Das sächsische Bildungssystem steht für Kontinuität und Beharrlichkeit, das hat immer Vor- und Nachteile. Für die Digitalisierung und die Inklusion in Schule war das jedoch bisher ein Nachteil.“

Nachdem das sächsische Schulgesetz 1991 erstmalig verfasst wurde, habe es erst 2017 nach mehr als zwei Jahrzehnten – abseits von kleinen Anpassungen – eine Neufassung erfahren. „Das Bildungsressort in Sachsen ist seit 1990 in konservativer Hand. Sie hat schulische Bildung immer auf das Bewahren von Bisherigem ausgerichtet“, sagt Langner. Zukunftsorientiertes Gestalten habe sich deshalb an der bisherigen schulischen Praxis orientiert. Das habe verhindert, Schule für die Zukunft aufzustellen.

Tatsächlich gibt ihr der Bildungsmonitor zumindest teilweise recht: Zwar liegt Sachsen im Bestandsranking des Bildungsmonitors nach wie vor bundesweit an der Spitze – im Dynamikranking, das die Zukunftsfähigkeit abbildet, liegt der Freistaat allerdings nur noch auf Platz neun. News4teachers / mit Material der dpa

Vorbild Hamburg: Wie haben Sie es geschafft, die Schulen der Hansestadt nach oben zu bringen, Herr Rabe?

 

 

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