WIESBADEN. In Folge des Massakers, das die Terrororganisation Hamas am 7. Oktober in Israel verübt hat, kommt es in Deutschland zu einer zunehmenden Zahl an antisemitischen Vorfällen. Die Auswirkungen des eskalierenden Nahost-Konflikts sind an den Schulen deutlich spürbar, stellt die GEW Hessen fest. Lehrkräfte sollten ihr zufolge gegensteuern – benötigen aber personelle Unterstützung. Und mehr Zeit dafür.
„Die Schulen sind Teil der Gesellschaft. Politische Konflikte und vorhandene Ressentiments schlagen sich an diesen nieder. Da in der Schule Kinder und Jugendliche aus allen gesellschaftlichen Gruppen zusammen lernen, stellen sie oftmals einen Brennpunkt dar. Aus diesem Grund können die Schulen aber auch Teil der Lösung sein“, erklärt Thilo Hartmann, Vorsitzender der GEW Hessen:
In der aktuellen Situation ist es aus Sicht der Lehrergewerkschaft besonders wichtig, Antisemitismus an Schulen konsequent zurückzuweisen. „Für alle schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen in Hessen muss es möglich sein, die Schule sicher zu besuchen, ohne Anfeindungen oder Bedrohungen aufgrund ihrer Religion beziehungsweise Herkunft ausgesetzt zu sein“, stellt Hartmann fest. Er erinnert daran, dass das pädagogische Personal dazu ein verlässliches Unterstützungssystem in Schulverwaltung, Schulpsychologie, Schulsozialarbeit und Jugendhilfe benötigt.
„In der schulischen Praxis ist es häufig schwierig, die notwendige Zeit für die pädagogische Arbeit aufzubringen, um die verstörenden Nachrichten und Bilder angemessen aufarbeiten zu können“
Im Rahmen der Demokratieerziehung könnten die Schulen dazu beitragen, Themen wie den Nahostkonflikt zu bearbeiten und allen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, darunter Antisemitismus, entgegenzuwirken. „Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Themenstellungen ist essenziell. Die Schülerinnen und Schüler müssen zudem Begegnungen, Partizipation und Selbstwirksamkeit erfahren“, betont Hartmann. Auch die Medienbildung gehöre in diesen Kontext, denn viele Jugendliche seien dort mit Falschinformationen bis hin zu gewaltverherrlichender Propaganda konfrontiert. Aber: „In der schulischen Praxis ist es häufig schwierig, die notwendige Zeit für die pädagogische Arbeit aufzubringen, um die verstörenden Nachrichten und Bilder im Kontext einer demokratischen Bildung angemessen aufarbeiten zu können.“
Die GEW begrüßt zwar, dass die scheidende hessische Landesregierung erste Schritte zur Stärkung der politischen Bildung eingeleitet hat. So wurde der Unterricht in dem Fach Politik und Wirtschaft in der Sekundarstufe I jüngst um eine Stunde ausgebaut. Abiturientinnen und Abiturienten müssen dieses Fach von nun an durchgehend belegen, und sich damit in der gymnasialen Oberstufe erstmals verbindlich unter anderem mit dem Thema „internationale Konflikte und Konfliktbearbeitung“ auseinandersetzen. Allerdings betont Hartmann: „Die neue Landesregierung muss die Demokratieerziehung zur Priorität machen. Kein Lernbereich ist für den zukünftigen gesellschaftlichen Zusammenhalt wichtiger.“
An Hessens Schulen werden laut Kultusministerium Schülerinnen und Schüler aus einer Vielzahl von Nationen, Kulturen und Religionen unterrichtet. So haben derzeit im hessenweiten Durchschnitt 43 Prozent der Grundschulkinder – einer der höchsten Werte in Deutschland – einen Migrationshintergrund. „Respekt und Achtung vor der jeweils anderen Überzeugung und Lebensweise anderer Völker und Nationen müssen den Umgang bestimmen und sind die Grundlage für ein friedliches Miteinander. Antisemitismus und Aggressionen gegenüber Israel sind mit den Werten in Deutschland unvereinbar und dürften an den Schulen keinen Platz haben. Es ist daher wichtig, die Situation im Nahen Osten zu thematisieren und zu verhindern, dass sich Hassgefühle und Gewalt auch im Klassenzimmer oder auf dem Schulhof ausbreiteten. Schulen dürfen und sollen niemals ein Ort sein, an dem religiöse Konflikte ausgetragen würden“, so erklärte Kultusminister Alexander Lorz bei einer Veranstaltung zum Gedenken an die Opfer des Novemberpogroms 1938.
„Es liegt in der Verantwortung der Zivilgesellschaft und staatlicher Institutionen wie Schulen, unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern beizustehen”
„Das bedauerlicherweise immer wieder auftretende Herabsetzen von Andersdenkenden und die Aufforderung zu Hetzjagden versetzen uns geistig in eine Ära zurück, deren grausame Ausprägungen wir zu überwinden geglaubt hatten. In einer Zeit, in der sich der Antisemitismus tragischerweise erneut ausbreitet, liegt es in der Verantwortung der Zivilgesellschaft und staatlicher Institutionen wie Schulen, unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern beizustehen. Das bedeutet, religiös motivierter Hetze, populistischen Vereinfachungen und antisemitischen Parolen entschieden entgegenzutreten, wann immer sie uns begegnen“, führte der Kultusminister weiter aus.
Um Lehrerinnen und Lehrer in der Thematisierung der aktuellen Lage im Nahen Osten zu unterstützen, habe das Hessische Kultusministerium „ein umfangreiches Unterstützungspaket mit Hilfen für den Unterricht und den Umgang mit Antisemitismus und möglicherweise auftretenden Konflikten zusammengestellt, das laufend aktualisiert wird“. Zudem erhielten die Lehrkräfte Anleitungen zur psychologischen und emotionalen Unterstützung der Kinder und Jugendlichen. Darüber hinaus fördere und unterstütze das Kultusministerium „eine Vielzahl von Programmen und Projekten zur Antisemitismusprävention und -intervention im Unterricht. Dies sind Schulpartnerschaften, Lehrerfortbildungen, Beratungsangebote und Workshops für Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler.“
Personelle Unterstützung und Zeit, wie von der GEW gefordert? Gibt es augenscheinlich nicht. News4teachers / mit Material der dpa
Eskaliert der Nahost-Konflikt auf deutschen Schulhöfen? Hier wird ein Lehrer getreten…
