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Ein-Fach-Studium, mehr an der Praxis orientiert – und Karriereoptionen: Stifterverband legt “Masterplan” gegen Lehrermangel vor

BERLIN. Der Lehrkräftemangel in Deutschland könnte nach Ansicht des Stifterverbands durch Reformen des Lehramtsstudiums und der Zugänge in den Beruf sowie durch ein neues Berufsprofil abgemildert werden. Der Verband hat dafür einen umfassenden «Masterplan» entwickelt, in dessen Rahmen insgesamt 75 Maßnahmen vorgeschlagen werden.

Das Profil des Lehrberufs muss geschärft werden – meint der Stifterverband. Foto: Shutterstock

Die Schulen sind bundesweit mit einem teilweise dramatischen Mangel an Lehrkräften konfrontiert. Besserung ist nicht in Sicht. „Im Gegenteil: Die Zahl der Personen, die ein Lehramtsstudium anfangen, ist seit dem Studienjahr 2022/23 rückläufig. Auch die Zahl der Absolventinnen und Absolventen eines Lehramtsstudiums ist in den vergangenen zehn Jahren um 10,5 Prozent gesunken“, so heißt es beim Stifterverband

Der übt Kritik an der bisherigen Praxis des Seiteneinstiegs, mit der die Kultusministerinnen und Kultusminister versuchen, der Personalnot zu begegnen. „Der anhaltende Mangel an ausgebildeten Lehrkräften erfordert eine verstärkte Integration von Personen, die einen Quer- und Seiteneinstieg in den Beruf wählen, um den Lehrkräftebedarf zu decken. Gegenwärtig nutzen die Länder den Quer- und Seiteneinstieg vorwiegend als ad hoc-Maßnahme zum kurzfristigen Abbau von Engpässen und zur zügigen Gewinnung von Lehrpersonal. Welche Personen mit welchen Studienabschlüssen unter welchen Voraussetzungen für einen Quer- oder Seiteneinstieg zugelassen werden, definiert jedes Land jedes Schuljahr aufs Neue. Diese Praxis ist für potenzielle Interessierte wenig transparent und attraktiv“, so heißt es.

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„Die Ausbildung von Lehrkräften entspricht in mehrfacher Hinsicht nicht den gebotenen Professionalisierungserfordernissen“

Und weiter: „Wer über einen Seiteneinstieg in den Lehrberuf gelangt, wird teilweise nur berufsbegleitend qualifiziert, muss aber von Anfang an eigenverantwortlichen Unterricht erteilen, teils in beträchtlichem Umfang. In Kollegien, aber auch in der Politik und öffentlichen Wahrnehmung haftet ihnen das negative Image von ‚Lehrkräften zweiter Klasse‘ an, die zwar gebraucht werden, aber nicht qualifiziert und eigentlich unerwünscht sind.“

Ebenso heikel: „Die grundständige Lehrkräfteausbildung wird durch diese Praxis stark entwertet: Warum sollten sich Abiturientinnen und Abiturienten für ein anspruchsvolles Lehramtsstudium und den anschließenden Vorbereitungsdienst entscheiden, wenn sie in bestimmten Unterrichtsfächern/beruflichen Fachrichtungen quasi sicher sein können, auch ohne Lehramtsstudium und Vorbereitungsdienst in den Beruf als Lehrkraft einzusteigen?“ Mit Blick auf den Lehrkräftebedarf komme es deshalb darauf an, den Quer- und Seiteneinstieg so zu gestalten, dass er transparent, planbar sowie attraktiv sei und die professionsbezogenen Qualitätsanforderungen an Lehrkräfte damit gewährleistet würden – fordert der Stifterverband.

Darüber hinaus sollten die Bundesländer mindestens so viele Studienplätze für Lehramtsstudenten vorhalten, dass der prognostizierte Lehrkräftebedarf mit den Absolventen gedeckt werden könnte – was derzeit nicht der Fall ist. Stipendien könnten junge Menschen für ein Lehramtsstudium begeistern.

Allerdings sei das Studium wenig attraktiv und zielführend, weshalb die Abbrecherquote hoch sei. „Die Ausbildung von Lehrkräften entspricht in mehrfacher Hinsicht nicht den gebotenen Professionalisierungserfordernissen. So gelingt es bisher kaum, die Studieninhalte zu einem kohärenten und professionsorientierten Curriculum zu verbinden. Die Bedeutung der Fachwissenschaften, die quantitativ den größten Anteil des Lehramtsstudiums darstellen, ist zwar unter Expertinnen und Expertenunbestritten, für Lehramtsstudierende in ihrer Sinnhaftigkeit jedoch häufig nicht immer ersichtlich. Obwohl die Praxisanteile des Studiums in den vergangenen 20 Jahren stark ausgebaut wurden, hat sich die Klage der Lehramtsstudierenden über unzureichende Praxisbezüge kaum abgeschwächt.“

Die Erstausbildung (Studium und Referendariat) sei im internationalen Vergleich recht lang, da dort nahezu alle Kompetenzen erworben werden sollen, mit denen Lehrkräfte im Laufe ihres Berufslebens konfrontiert sind. „Dennoch werden wichtige Future Skills bisher nicht systematisch vermittelt; und auch zentrale neue fachliche und pädagogische Inhalte (zum Beispiel Inklusion, Multiprofessionalität) finden zu langsam Einzug in die Lehrkräftebildung.“ Eine Stärkung der Kohärenz von erster und zweiter Phase, die Ermöglichung individueller Studienprofile und verstärkte wechselseitige Theorie-Praxis-Bezüge würden laut Stifterverband die Professionalisierung des Lehramtsstudiums steigern und könnten vermutlich auch den hohen Schwundquoten im Lehramtsstudium entgegenwirken.

„Das Berufsbild Lehrkraft hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Dabei haben sich verschiedene Rollen herausgebildet”

Hochschullehrer, die angehende Lehrkräfte ausbilden, sollten dem Plan zufolge regelmäßig auch an Schulen unterrichten, so wie Mediziner, die Nachwuchs an der Uni ausbilden, ebenfalls praktisch tätig sind. „Der starke Wissenschaftsbezug im Lehramtsstudium ist eine der Stärken der Lehrkräftebildung in Deutschland, die nicht grundsätzlich zur Disposition gestellt werden sollte. Allerdings werden die fachwissenschaftlichen Veranstaltungen häufig mit einer Perspektive angeboten, die den schulischen Kontext zu wenig beachtet und die professionellen Bedürfnisse der zukünftigen Lehrkräfte vernachlässigt.“ Studierende könnten schon früh im Studium ein ausgeprägtes Professionsbewusstsein entwickeln, wenn die Fachwissenschaften einen deutlichen Professionsbezug aufweisen – und dies würde dazu beitragen, die hohen Abbrecherquoten zu verringern.

Der Verband spricht sich zudem für ein Ein-Fach-Studium für den Zugang zum Beruf aus. Wer Lehrer oder Lehrerin werden will, muss momentan in der Regel auf mindestens zwei Fächer studieren. Ein Ein-Fach-Studium als zusätzliche Möglichkeit würde Studentinnen und Studenten, die sich zum Studienbeginn noch nicht vorstellen können, einmal Lehrkraft zu werden, später dennoch die Möglichkeit bieten und auch die Anerkennung internationaler Lehramtsabschlüsse erleichtern, so das Argument.

Ohnehin sollen neue Wege in den Schuldienst führen. „Durch eine Öffnung der Zugangswege zum Lehrkräfteberuf und eine gezielte Ansprache bisher unterrepräsentierter Personengruppen (beispielsweise internationale Lehrkräfte, Personen mit Berufserfahrung in anderen Berufen) sowie die Einbeziehung weiterer Hochschulen können zusätzliche Personen für den Lehrkräfteberuf gewonnen werden. Dabei ist wichtig, diese Personengruppen nicht als ‚Notnagel‘ in Zeiten des Lehrkräftemangels anzusehen, sondern als eine Bereicherung für Schulen und ihre Kollegien, und ihnen eine attraktive berufliche Perspektive zu eröffnen.“

Appelliert wird auch an die Politik, die Attraktivität des Berufs zu erhöhen und Karriere- und Aufstiegsmöglichkeiten zu verbessern, etwa durch einfachere Laufbahnwechsel zwischen den Schularten und Fortbildungsverpflichtungen – auch hier ähnlich wie bei Ärzten, die innerhalb bestimmter Zeitspannen Fortbildungspunkte nachweisen müssen. Darüber hinaus müssten im Beruf Entwicklungsmöglichkeiten geboten werden, um für den Nachwuchs wieder interessanter zu werden.

„Das Berufsbild Lehrkraft hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Dabei haben sich verschiedene Rollen herausgebildet, welche aber nicht systematisch und transparent als verschiedene Stellenprofile dargestellt werden. Gleichzeitig schrecken die unzutreffenden Narrative und der Eindruck fehlender Entwicklungsmöglichkeiten und Karriereperspektiven potenzielle Lehrkräfte davon ab, diesen Beruf zu ergreifen.“

Aus diesem Grund bestehe dringender Bedarf, berufliche Tätigkeitsprofile von Lehrkräften weiter zu schärfen und verschiedene Karrierepfade dafür zu entwickeln. Neue Stellenprofile gingen einher mit spezialisierten Aufgabenportfolios, für die entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen erforderlich sind. „Das Karrieresystem soll verschiedene berufliche Tätigkeitsprofile und darauf abgestimmte Entwicklungspfade transparent definieren, kommunizieren und sie mit gezielten Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten beispielsweise für die Leistungsdiagnostik, Unterrichts- oder Schulentwicklung verknüpfen“, so schlägt der Stifterverband vor.

Er warnt allerdings: „Wenn uns nicht schnell eine Trendumkehr gelingt, wir genügend Lehrkräfte gewinnen und diese befähigen, guten Unterricht zu erteilen, droht Deutschland ein Bildungsnotstand mit schwerwiegenden Folgen für unsere Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit.“ Weiter heißt es. „Die Trendwende erfordert Mut und die Bereitschaft aller an der Lehrkräftebildung Beteiligten, aufeinander zuzugehen, lieb gewordene Traditionen zu hinterfragen, Experimente zu wagen, und von internationalen Erfahrungen zu lernen.“

Im Stifterverband haben sich Unternehmen, Verbände, Stiftungen und Privatpersonen zusammengeschlossen. Der Verein setzt sich nach eigenen Angaben dafür ein, „das Bildungs- und Wissenschaftssystem wirksam und zielgerichtet zu verändern“. Das Papier erscheint bewusst wenige Tage vor einem von der Kultusministerkonferenz (KMK) angekündigten Gutachten, das sich ebenfalls mit der Thematik der Lehrkräftebildung beschäftigt. News4teachers / mit Material der dpa

Hier lässt sich der vollständige “Masterplan” herunterladen.

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