Website-Icon News4teachers

Immer mehr Lehrkräfte suchen den Ausstieg aus dem Schuldienst! Ein Interview über ihre Gründe – und ihre Möglichkeiten

KÖNIGSWINTER. Isabell Probst betreibt ein florierendes Geschäft: Sie berät Lehrkräfte, die mit dem Gedanken spielen, aus dem Schuldienst auszusteigen. Die Laufbahnberaterin, früher selbst Lehrerin (die über ihre Erfahrungen ein Buch mit dem Titel „Ausgelehrt“ geschrieben hat), sieht sich einer immer stärkeren Nachfrage gegenüber. Wir sprachen mit ihr über die Ursachen – und über die Perspektiven, die sich frustrierten Lehrerinnen und Lehrern bieten. Die beinhalten, so viel vorweg, keineswegs nur den Berufsausstieg. Teil eins des Interviews, das News4teachers-Redakteurin Nina Odenius geführt hat. 

War früher selbst Studienrätin: Isabell Probst. Foto: Dirk Heinrich, Copyright: Probst Laufbahn & Business Coaching GmbH

News4teachers: Welche Gründe gibt es denn für Lehrkräfte bzw. Referendare, aus dem Lehrerberuf auszusteigen?

Isabell Probst: Aus dem Lehrerberuf auszusteigen, ist natürlich eine große Weichenstellung im Leben. Das macht man in der Regel nur, wenn sich viele komplexe Gründe über einen längeren Zeitraum akkumuliert haben. Das macht niemand aus einer spontanen Laune heraus. Von daher ist das Problem relativ vielschichtig. Mittlerweile konnten wir aus unserer Arbeit fünf Gründe ableiten, die in unterschiedlicher Gewichtung zusammentreffen. Der erste Grund ist die hohe psychosoziale Belastung von Lehrkräften. Das war auch schon vor dem Lehrermangel so. Das ist einfach ein Kontaktberuf, der einem sehr viel Präsenz abfordert und der emotional sehr belastend ist. Also es ist eine hohe psychosoziale Belastung, eine Überfrachtung mit Aufgaben, und das aber gepaart mit mangelnder Wertschätzung für die erbrachte Leistung.

Anzeige

News4teachers: Was noch?

Isabell Probst: Der zweite Grund ist eine Qualitäts- und Wertefrage. Aufgrund der Mangelsituation empfinden es viele Lehrkräfte so, dass sie durch ihren Alltag nur noch mit dem pädagogischen Feuerlöscher herum rennen, Konflikte schlichten, Lehrplänen hinterherwetzen und den Prüfungsmechanismus aufrechterhalten. Und viele Lehrkräfte haben den Eindruck, das stimmt überhaupt nicht mit dem überein, was sie im Studium über gelingendes Lernen gelernt haben, was sie in ihrer Ausbildung über Voraussetzungen von Lernen gelernt haben und auch das, was sie als Menschen und Pädagogen für richtig halten. Also viele fühlen sich echt im falschen Film und sagen sich, das, was ich hier täglich tue und was meine Rolle mir abverlangt, das finde ich falsch. Ich sehe, meine Schülerinnen und Schüler brauchen etwas ganz anderes. Dafür habe ich aber wiederum keine Zeit. Mit anderen Worten: Ich mache eigentlich einen schlechten Job. Klar, ich vermittle, aber ich halte es nicht für richtig, was ich hier tue. Das ist ein ganz großer Sinnkrisenkonflikt. Diese beiden Gründe werden auch oft von Referendar*innen genannt.

Der dritte Grund ist meistens ein Austrocknen von Kreativität und Selbstwirksamkeit. Wenn man immer nur im Krisenmodus ist und auf die dringlichen Dinge des Tages reagieren muss, dann fallen Dinge wie eine langfristige Planung, Kreativität, sich mal etwas Schönes ausdenken, Schule gestalten oder Schule zum Positiven entwickeln einfach komplett hinten runter. Und das merken Lehrkräfte im Kleinen dadurch, dass sie im Unterricht dazu gezwungen sind, auf Bewährtes zurückzugreifen. Ich ziehe dann doch wieder das Arbeitsblatt raus, und die nächsten Wochen mache ich nur nach Buch. Ich habe den Schreibtisch voller Korrekturen. Man hätte aber so viele Ideen, auch wie man die Inhalte viel zugänglicher für Schülerinnen und Schüler aufbereiten könnte. Man hat dafür die Zeit nicht, das alles zu erarbeiten. Das führt dazu, dass Lehrkräfte sich nach einigen Jahren als Person stagnierend empfinden. Ich habe Kundinnen und Kunden, die sagen: „Ich bin stehengeblieben, und das erschreckt mich. Ich bin eigentlich so ein neugieriger Mensch, ich habe so viele Ideen. Aber ich bin resigniert, und ich bin als Person so abgehängt von der Welt.“ Und das ist mit einer großen Trauer verbunden, wenn man 10 oder 20 Jahre in diesem Beruf ist.

Und dann gibt es einen vierten Grund. Das sind Negativerfahrungen mit Führungskultur in Schule. Das kann seitens der direkten Vorgesetzten sein, also der Schulleitung. Aufgrund der Mangelsituation freut man sich, wenn vakante Schulleitungspositionen überhaupt besetzt werden können. Oftmals sind an diesen Positionen dann eher Verwaltungsleute. Wenngleich es natürlich auch viele Schulen gibt mit unglaublich motivierten, inspirierenden Schulleitungen. Und wenn es nicht die eigene Schulleitung ist, dann doch oft der Dienstherr, also die übergeordnete Behörde wie zum Beispiel die Bezirksregierung in NRW oder die Schulämter. Und da ist das Problem, dass es in der Regel keine sichtbaren Ansprechpartner*innen gibt, zu denen eine Beziehung besteht. Das heißt, es wird seitens der Personalsachbearbeiter*innen über Vorgänge entschieden und nicht über Menschen. Die Lehrkräfte fühlen sich als seien sie lediglich ein Aktenvorgang. Und das zeigt sich dann bei Abordnungen oder Anträgen aller Art.

News4teachers: Und Punkt fünf?

Isabell Probst: Als letzten Grund sind die individuellen Faktoren zu nennen. Jeder Mensch hat sein eigenes Päckchen zu tragen, hat seine individuelle Persönlichkeitsstruktur, ist resilienter oder weniger resilient, ist unterschiedlich gesund zum aktuellen Zeitpunkt, hat unterschiedliche Sozialisierung und unterschiedliche Kinderstuben erlebt. Es sind nicht nur Strukturen, sondern es ist immer: Individuum trifft auf Struktur. Und das ist oft eine Mixtur, die zu großen Belastungen oder zum Verlassen des Lehrberufs führt.

News4teachers: Was kann denn eine Schulleitung präventiv tun, um diesen Gründen für einen möglichen Ausstieg entgegenzuwirken?

Isabell Probst: Grundsätzlich geht es um die gesamte Kommunikationskultur im Kollegium und um das Führungsverständnis der Schulleitung. Es gibt durchaus Lehrkräfte, die noch ein Sonnenkönig-Selbstverständnis in ihrer Führungsrolle haben. Und es gibt Schulleitungen, die sehr stark im Kontakt sind mit ihrem Kollegium, Beziehungen pflegen, Menschen Zeit einräumen, offen sind für Gespräche, auch Personalentscheidungen von individuellen Faktoren abhängig machen. Wichtig ist für die Lehrkräfte auch ein Gefühl der Sicherheit und eine offene Kommunikation. Dazu gehört, dass von Seiten der Schulleitung keine willkürlichen und intransparenten Entscheidungen getroffen werden. In Konfliktsituationen sollten sich Lehrkräfte grundsätzlich in der Sicherheit wiegen dürfen, dass die Schulleitung erst einmal hinter der jeweiligen Lehrkraft steht, ihr den Rücken stärkt und ihre Seite verstehen möchte. Wichtig sind auch Gremien wie ein Lehrerrat, der die Interessen des Kollegiums vertritt.

News4teachers: Würden Sie denn sagen, dass die Quote derjenigen höher ist, die aus dem Beruf tatsächlich aussteigen möchten als die derjenigen, die nur ihre Position verändern wollen?

Isabell Probst: Das ist sehr schwer zu sagen. Die Personen, die mit uns in Kontakt treten, suchen nach Veränderung. Und man möchte natürlich in der Regel keine Radikalveränderungen, weil man weiß, dass viel auf dem Spiel steht. Viele würden sich wünschen, dass kleine Veränderungen schon ausreichen, um das qualitative Erleben wieder zu steigern. Die Personen, die bei uns anklopfen, haben schon so viele Veränderungsschritte selber versucht zu begehen. Durch Versetzungsanträge, durch Optimierung ihrer eigenen Arbeitsverteilung, Stichwort Zeitmanagement, Unterrichtsgestaltung, durch viel Arbeit mit sich selbst, Achtsamkeitstraining oder durch Therapien. Das ist ein sehr bedrohliches Szenario, aus dem Beruf auszusteigen. Aber letztlich ist die grundsätzliche Bereitschaft schon da bei vielen. Es ist letztlich ein kleiner Anteil derer, der die Konsequenz auch wirklich durchzieht. Aber das Befassen mit dieser ultimativen Radikalveränderung ist sehr verbreitet.

News4teachers: Welche Komponenten braucht es denn Ihrer Meinung nach, um im Job als Lehrkraft wirklich zufrieden zu sein?

Isabell Probst: Zum einen gehören basale Ansprüche des Arbeitsschutzes dazu. Da sind erst einmal die körperlichen Bedürfnisse, dann kommt Sicherheit, und ganz oben stehen die Selbstverwirklichung und der Sinn. Zu den körperlichen Bedürfnissen gehören essen, trinken, zur Toilette gehen, Lautstärkeschutz, Schutz vor stofflichen Belastungen, Schimmelpilz oder Asbest. Basalster Arbeitsschutz ist oftmals an Schulen nicht gegeben. Gesetzlich vorgeschriebene Pausenzeiten einhalten, über solche Dinge reden wir im Lehrberuf. Dann auch Sicherheit zu empfinden, Planungssicherheit, psychologische Sicherheit oder körperliche Unversehrtheit. Auch die Erfahrungen machen ja einige Lehrkräfte, dass sie tätlich angegriffen werden. Dinge, die man eigentlich als Selbstverständlichkeit als Arbeitnehmer betrachtet, die stehen im Lehrberuf zur Debatte. Viele Lehrkräfte, die mit uns arbeiten, wissen nicht, dass das Selbstverständlichkeiten sind. Sie nehmen das über Jahre und Jahrzehnte in Kauf, dass es keine Selbstverständlichkeiten sind, sondern dass sie darüber immer wieder debattieren müssen.

Abgesehen davon braucht es Entwicklungsmöglichkeiten in diesem Beruf. Das heißt, ich muss attraktive Wege haben, mich professionell weiterzuentwickeln und nicht nur immer darauf vertröstet zu werden, ich könne hinter der Klassenraumtür doch machen, was ich wolle, da hätte ich doch maximale Freiheit. Erstens ist dem nicht so, man hetzt nur Lehrplänen hinterher, und zweitens gibt es enorm wenige Weiterentwicklungsmöglichkeiten im Lehrberuf. Das heißt, es gibt nur die Schulleitung, es gibt die Fachleitung, und dann gibt es einige superintransparente Wege, sich irgendwohin abordnen zu lassen. Und das führt unter anderem dazu, dass Lehrkräfte sich oftmals in ihrem Selbstbild gar nicht als professionalisierte Arbeitskräfte empfinden.

News4teachers: Welche Hilfen bieten Sie den Ratsuchenden an, wenn diese zu Ihnen kommen?

Hier geht es zu Teil zwei des Interviews.

News4teachers / Nina Odenius, Agentur für Bildungsjournalismus, führte das Interview.

Hier gibt es weitere Informationen: https://isabellprobst.de/

Fünfmal mehr Lehrkräfte quittieren den Schuldienst als noch vor zehn Jahren

 

Die mobile Version verlassen