HANNOVER. Aus Sicht von Gymnasiallehrern geht es mit dem Niveau der Abiturprüfungen bergab. «Der Wert der Allgemeinen Hochschulreife befindet sich im Sinkflug, da müssen wir bundesweit gegensteuern», forderte der Vorsitzende des Philologenverbands Niedersachsen (PHVN), Christoph Rabbow. Seine Bilanz des Abiturs 2024 fällt auch in puncto Organisation mäßig aus.
Die Abiturjahrgänge würden scheinbar immer besser. Eine Inflation der Zeugnisse mit einer Eins vor dem Komma führe aber zu einer Verzerrung der tatsächlichen Leistungsfähigkeit. «Unsere niedersächsischen Schülerinnen und Schüler haben nach 13 Schuljahren eine faire Leistungsbewertung verdient, da nur diese bei der Wahl von Ausbildung und Studium eine verlässliche Bewertungsgrundlage bieten kann. Leistung muss sich lohnen», sagte Rabbow.
Tatsächlich hatte im Schuljahr 2022/23 fast jeder dritte Abiturient im Land (29 Prozent) einen Notenschnitt von 2,0 oder besser. Zehn Jahre zuvor lag der Anteil mit 19 Prozent noch deutlich niedriger. Und auch der Gesamtnotenschnitt aller Abiturienten hat sich verbessert: von 2,56 im Vor-Corona-Jahr 2019 auf 2,43 im vergangenen Jahr. Das zeigen Daten des Kultusministeriums. Gleichzeitig fielen zuletzt jedoch weiterhin 5,4 Prozent der Prüflinge durch. Die Quote der Schülerinnen und Schüler, die die Abiturprüfungen nicht bestanden, war damit genauso hoch wie im Jahr 2019 vor Ausbruch der Pandemie.
Das Ministerium sieht den Trend zum besseren Abi-Notenschnitt auch nicht als ein Problem. Vielmehr sei dieser ein «Beleg einer stetig steigenden Qualität und Chancengleichheit bei der schulischen Förderung junger Menschen», hieß es.
Die regulären schriftlichen Abiturprüfungen endeten am Dienstag mit dem Fach Mathematik, am Mittwoch begannen die Nachschreibtermine. Die mündlichen Prüfungen finden von Montag an statt. Der Philologenverband zog bereits eine erste Bilanz. „Eine erste Auswertung verdeutlicht, dass nicht alles so gelaufen ist, wie man es hätte erwarten dürfen und schon gar nicht wie es wünschenswert gewesen wäre. Leider müssen wir auch in diesem Durchgang feststellen, dass die Prüfungen nicht vollumfänglich optimal gelaufen sind“, erklärte Rabbow.
„Es ist schon ein Unding, wenn den Prüflingen ein Experiment vorgelegt wird, dass umständehalber mal gelingt und mal nicht“
Konkret nannte er den Umgang mit den (durch einen Einbruch in eine Schule) vor der Prüfung in die Öffentlichkeit geratenen Prüfungsaufgaben im Fach Politik durch das Ministerium „optimierbar“. Rabbow: „Es ist schlichtweg nicht zumutbar, dass die Abiturientinnen und Abiturienten fast zwei Stunden auf den Beginn der Prüfung warten müssen, weil die Ersatzklausuren nicht fristgerecht an die Schulen geliefert werden können. Hier hat sich gezeigt, dass ein zielführender und passgenauer Notfallplan bei ungewöhnlichen Ereignissen im Abitur im Haus der Ministerin Hamburg nicht existiert. Es ist notwendig, die Mängel zu analysieren und umgehend abzustellen. Von der Meldung eines Vorfalls bis zur Ausgabe neuer Aufgaben dürfen keine drei Stunden vergehen. Das ist weder zumutbar noch professionell.“
Problematisch sei zudem die Prüfung im Fach Biologie. Das vorgeschlagene Schülerexperiment habe nicht durchgängig zu den im Erwartungshorizont formulierten Leistungen geführt. „Es ist schon ein Unding, wenn den Prüflingen ein Experiment vorgelegt wird, dass umständehalber mal gelingt und mal nicht. Es ist nicht das erste Mal, dass wir hier Probleme feststellen. Als Kriterium für Experimente in Prüfungen muss gelten, dass sie stabil und wahrnehmungsaktiv sind, andernfalls gehören sie nicht ins Abitur“, so Rabbow.
„Kritisch sehen wir darüber hinaus, dass in einigen Klausuren oftmals Zusammenfassungen von den im Material dargebotenen Aspekten oder das Erstellen von Fließdiagrammen ohne Verwendung jeglicher Fachkenntnisse verlangt werden. Da muss man sich ernsthaft fragen, was damit bezweckt werden soll. Eine solche Prüfungsleistung wäre ja nicht einmal mehr dem Anforderungsbereich I zuzuordnen. Wenn man heute im Chemieabitur mehrere Aufgabenteile ganz ohne das Aufstellen einer einzigen Reaktionsgleichung absolvieren kann, dafür aber seitenlanges Material einfach nur wiedergeben muss, dann ist das mehr als bedenklich. Wir fordern daher eine grundsätzliche Überprüfung des Umfangs von Materialien. Es werden zu oft reine Informationsseiten, die kaum noch etwas mit Fachinhalten zu tun haben, ausgegeben. Das ist für eine leistungsbezogene Abiturprüfung nicht zielführend, es erzeugt nur Berge von Papier“, erklärte der Verbandschef.
Sein Fazit: „Die Professionalität der Ausführungen von Abiturprüfungen an den Schulen, hängt im Wesentlichen von der Arbeit in den Fachkommissionen und im Ministerium ab. Nur wenn gut vorgearbeitet wurde, kann die Umsetzung an der Basis gelingen. Allein dies verhindert Unmut an den Schulen und völlig unnötige Petitionen von Seiten der Schülerschaft. Hier sehen wir im Ministerium und bei der Ministerin noch deutlich Luft nach oben.“ News4teachers / mit Material der dpa