Website-Icon News4teachers

Gräfenauschule: Wo praktisch jedes Schulkind kaum Deutsch spricht – aber die Mittel für besondere Sprachförderung fehlen

MAINZ. Die Grundschule Gräfenau in Ludwigshafen geriet vor knapp einem Jahr bundesweit ins Rampenlicht, weil viele Erstklässler das Jahr wiederholen mussten. Auch im laufenden Schuljahr ist die Situation ähnlich; das rheinland-pfälzische Bildungsministerium ist offensichtlich mit seinen (bescheidenen) Unterstützungsmaßnahmen gescheitert. Warum, das macht eine aktuell herausgegebene Zahl anschaulich: Praktisch alle Schülerinnen und Schüler der Gräfenauschule haben einen Migrationshintergrund – besondere Sprachförderung für sie gibt es so gut wie nicht. Ändert sich das jetzt endlich durch das Startchancenprogramm?

Wie sollen Kinder, die zu Hause kein Deutsch sprechen, in der Schule ohne besondere Sprachförderung zurecht kommen? (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

An zwei Schulen in Rheinland-Pfalz liegt der Migrationsanteil unter den Schülerinnen und Schülern bei über 90 Prozent. Dabei handelt es sich um die Erich-Kästner-Grundschule und die Grundschule Gräfenau jeweils in Ludwigshafen, wie Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) auf eine parlamentarische Anfrage in Mainz mitteilte.

Die Gräfenauschule in der zweitgrößten Stadt in Rheinland-Pfalz hatte im vergangenen Jahr überregional für Aufsehen gesorgt, weil 39 der 126 Erstklässler das Schuljahr wiederholen mussten. Auch in diesem Jahr haben viele Erstklässler mit Migrationshintergrund das Lernziel nicht erreicht. Die Schulleitung geht davon aus, dass bei 44 von 147 Kindern eine Klassenwiederholung sinnvoll wäre.

Anzeige

Der Grundschulstandort, wo zahlreiche Migrantinnen und Migranten leben, wird von vielen als Brennpunkt oder Problemviertel bezeichnet. Etliche der betroffenen Kinder waren nur kurz oder gar nicht in einem deutschen Kindergarten. «Oft sprechen die Kinder schlecht Deutsch oder kommen aus bildungsfernen Familien – wie an vielen anderen Schulen in Ludwigshafen auch. Und es gibt das Problem, Strukturen des Schulalltages anzunehmen, was nach einem kurzen Kita-Besuch vielen Kindern sehr schwer fällt», so erklärte Schulleiterin Barbara Mächtle bereits im April (News4teachers berichtete).

«Hier benötigen wir dringend andere Lösungen, etwa Sprachförderlehrkräfte oder Sprachkurse, die dem Schulbesuch vorgeschaltet sind»

Die Rektorin betonte dabei, es sei innerhalb der vergangenen Monate einiges passiert. «Es gab durchaus gute Angebote, zum Beispiel unterstützen Studenten der Universität Landau die Lehrkräfte der ersten Klassen in den ersten sechs Wochen nach den Sommerferien.» Zudem bekamen die Leitungen der Grundschulen in Ludwigshafen ein Gesprächsangebot bei der Landesregierung in Mainz. Mächtle: «All das löst jedoch das Problem der Sprachförderung nicht. Hier benötigen wir dringend andere Lösungen, etwa Sprachförderlehrkräfte oder Sprachkurse, die dem Schulbesuch vorgeschaltet sind. Das ist in anderen Bundesländern auch so.»

Das Bildungsministerium teilte seinerzeit mit, «die Situation der Ludwigshafener Grundschulen im Allgemeinen und der Grundschule Gräfenau im Besonderen» stets im Blick zu behalten. «Die Gräfenau wird seit einem Jahr von Fachleuten eng begleitet, und es wurden zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Situation dort zu verbessern», sagte ein Sprecher. «Wir kennen die großen Aufgaben, vor denen diese Schule aufgrund ihrer herausfordernden Lage steht, und wir sehen auch das Engagement der Schulleiterin.» Deshalb gebe es viele Unterstützungsmaßnahmen, die aber Zeit bräuchten, bis sie vollumfänglich wirken könnten.

«Warum dies an der Grundschule Gräfenau offensichtlich bisher nicht gelingt, werden wir intensiv analysieren und gegensteuern»

«An anderen vergleichbaren Schulen sehen wir, dass Unterstützungsmaßnahmen trotz der Herausforderungen positive Effekte haben», erklärte der Sprecher. «Warum dies an der Grundschule Gräfenau offensichtlich bisher nicht gelingt, werden wir intensiv analysieren und gegensteuern.» Die Entwicklung zeige erneut, dass nur eine gemeinsame Anstrengung aller Beteiligten zu Verbesserungen führen könne. «Dies schließt neben Ministerium und Schulaufsicht die Schulleitung, die Lehrkräfte, die Eltern und das Pädagogische Landesinstitut mit ein. Alle müssen hier mithelfen, jeder in seinem Verantwortungsbereich.»

Dass Maßnahmen wie ein «Gesprächsangebot» oder eine gerade mal sechswöchige Unterstützung durch Studierende nicht reichen werden, hatte die Ludwigshafener Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck schon im letzten Jahr vorhergesagt – sie trat aus Protest aus der SPD aus (News4teachers berichtete). Steinruck erklärte seinerzeit, das von einer Ampel regierte Land Rheinland-Pfalz wolle die Situation in einer Industriestadt wie Ludwigshafen mit ihrer Sozialstruktur nicht wahrhaben. «All das wird ignoriert, obwohl die Schulen – nicht nur die Gräfenauschule – nicht erst in den zurückliegenden Monaten um Hilfe gerufen haben.» In Richtung von Bildungsministerin Hubig hieß es in der Erklärung Steinrucks, es müsse einen Ludwigshafener Sonderweg geben.

Wörtlich sagte Steinruch damals: «Die Schulen – nicht nur die Gräfenauschule – haben in den zurückliegenden Monaten um Hilfe gerufen. Wenn Bildungsministerin Stefanie Hubig sagt, es wird keinen Ludwigshafener Sonderweg geben, kann ich nur sagen, dass es dringend einen Ludwigshafener Sonderweg geben muss!»

Das Startchancen-Programm von Bund und Ländern, das zum kommenden Schuljahr anläuft (und von dem auch Rheinland-Pfalz profitiert), könnte nun allerdings tatsächlich dafür sorgen, dass die Gräfenauschule und ähnlich belastete Schulstandorte mehr Unterstützung bekommen. An dem Programm, mit dem sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche gefördert werden sollen, nehmen in Rheinland-Pfalz überwiegend Grundschulen teil – auch die Gräfenauschule. Insgesamt 200 Schulen werden von den knapp 100 Millionen Euro pro Jahr profitieren, die darüber in dem Bundesland in den nächsten zehn Jahren zusätzlich zur Verfügung stehen.

Die Zahl der rheinland-pfälzischen Grundschulen, bei denen der Migrationsanteil mehr als die Hälfte beträgt, beläuft sich nach Angaben der Bildungsministerin auf 89 im laufenden Schuljahr, was einem Anteil von mehr als neun Prozent an der Gesamtzahl entspricht. Bei den Realschulen plus seien es 26 (15,5 Prozent) und bei kombinierten Grund- und Realschulen plus eine Schule. Unter den Gymnasien in Rheinland-Pfalz hat eine Schule den Angaben zufolge einen Migrationsanteil von über 50 und bis zu 75 Prozent, bei den integrierten Gesamtschulen sind es zwei, bei den Förderschulen elf und bei den berufsbildenden Schulen eine Einrichtung. News4teachers / mit Material der dpa

IGLU-Sonderauswertung: Viele Kinder, die zu Hause kein Deutsch sprechen, erhalten in der Schule keine besondere Leseförderung

 

 

Die mobile Version verlassen