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Studie: Kaum Teamarbeit unter Lehrkräften – PISA-Chef Schleicher: Einzelkämpfertum im Schuldienst ist systembedingt

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DÜSSELDORF. Lehrkräfte in Deutschland setzen deutlich weniger auf Teamarbeit als Kolleg:innen in anderen Ländern. Das berichtet das Deutsche Schulportal auf Basis eines Studienvergleichs. PISA-Chef Andreas Schleicher überrascht das Ergebnis laut der Onlineplattform nicht: Das Einzelkämpfertum hierzulande sei systembedingt.

Das deutsche Schulsystem fördert die Vereinzelung der Lehrkräfte – meint jedenfalls OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Teamarbeit in deutschen Lehrkollegien sei oft Mehrarbeit, zitiert das Deutsche Schulportal Professor Andreas Schleicher, PISA-Koordinator und Bildungsdirektor der OECD. Denn „die Arbeitszeiten, aber auch die Arbeitsorganisation von Lehrkräften werden in Deutschland immer noch überwiegend über die Unterrichtsstunden definiert“. Kein Wunder also, dass deutsche Lehrer:innen seltener zusammenarbeiten als Lehrkräfte im Ausland, wie aus dem Vergleich der Daten des Deutschen Schulbarometers mit den Ergebnissen der internationalen TALIS-Studie (Teaching and Learning International Survey) von 2018 hervorgeht.

Demzufolge haben Schulkollegien an deutschen Schulen nicht nur seltener eine einheitliche Auffassung über Unterrichten und Lernen, sondern setzen auch Regeln zum Schülerverhalten weniger einheitlich durch als Kolleg:innen in anderen Ländern (40 zu 79 Prozent, 52 zu 75 Prozent). Die geringere Zusammenarbeit zeigt sich auch bei der gemeinsamen Unterrichtsentwicklung: Während international 41 Prozent der Lehrkräfte angeben, mindestens einmal monatlich gemeinsam Bewertungskriterien zu entwickeln, sind es in Deutschland nur 14 Prozent. Gerade einmal vier Prozent berichten, dass sie mindestens einmal im Monat an einer gemeinsamen Fortbildung mit Kolleg:innen teilnehmen – im Ausland sind es dagegen 23 Prozent.

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„Dadurch verarmt der Lehrerberuf in Deutschland und ist zwar finanziell, aber nicht intellektuell attraktiv“

Allerdings, so gibt Professor Schleicher gegenüber dem Schulportal zu bedenken, seien Aufgaben wie die Entwicklung von Unterrichtskonzepten oder Lehrplänen, die im Ausland Lehrkräfte bei mitunter weniger Unterrichtsstunden übernähmen, in Deutschland an andere Institutionen ausgegliedert. Das sei hierzulande gar nicht vorgesehen. „Wenn es stattfindet, geschieht das trotz des Systems, nicht wegen des Systems. Dadurch verarmt der Lehrerberuf in Deutschland und ist zwar finanziell, aber nicht intellektuell attraktiv.“

Weitere Unterschiede zeigen sich laut Studienvergleich auch mit Blick auf den Austausch untereinander: Unterrichtshospitationen, die Teilnahme an Bildungskonferenzen und Lehrkräftenetzwerken sind im Ausland üblicher als in Deutschland. International berichten 41 Prozent der Lehrkräfte, mehr als einmal im Jahr im Unterricht von Kolleg:innen zu hospitieren, in Deutschland sind es nur ein Viertel (25 Prozent), die Hälfte verzichtet sogar vollkommen darauf. Eine ähnliche Differenz zeigt sich bei der Teilnahme an Bildungskonferenzen und Lehrkräftenetzwerken. Während nur rund jede fünfte Lehrkraft in Deutschland in den vergangenen zwölf Monaten eine solche Veranstaltung besuchte (je 21 Prozent), gaben dies 49 beziehungsweise 40 Prozent der ausländischen Lehrer:innen an.

In Deutschland findet der Austausch im Kollegium den Studiendaten zufolge eher punktuell statt: So berichtet mehr als jede zweite Lehrkraft, mindestens einmal im Monat Unterrichtsmaterialien mit Kolleg:innen auszutauschen (55 zu 45 Prozent). Ähnlich häufig wie ihre ausländischen Pendants nehmen sie zudem monatlich an Team-Konferenzen von etwa Fach- oder Jahrgangsteams teil (37 zu 40 Prozent).

Folgt man den Ausführungen des OECD-Bildungsexperten Schleicher im Beitrag des Schulportals könnte sich die insgesamt eher geringe Zusammenarbeit von Lehrkräften an deutschen Schulen auf lange Sicht zu einem Problem entwickeln. Denn „fragt man Lehrkräfte, die mit ihrem Beruf zufrieden sind, was ihnen am wichtigsten ist, dann sind die häufigsten Antworten: die Qualität der Beziehungsarbeit, das Arbeiten im Team einschließlich Unterrichtshospitationen, Mentoring und gemeinsame professionelle Weiterentwicklung sowie Gestaltungsfreiraum und Eigenverantwortung“.

„Ich habe, ganz ehrlich, wenig Verständnis für Lehrer, die nur darauf pochen, dass sie überlastet seien“

Schleicher hatte sich erst unlängst unbeliebt bei Lehrkräften in Deutschland gemacht, weil er scharfe Kritik gegenüber dem Berufsstand hierzulande äußerte (News4teachers berichtete). „Ich habe, ganz ehrlich, wenig Verständnis für Lehrer, die nur darauf pochen, dass sie überlastet seien“, sagte der OECD-Direktor. „Eine solche Haltung würde in keinem anderen Job akzeptiert.“ Deutschland sei „beim Lehrerberuf noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen“.

Schleicher befand bereits 2019, viele Lehrer in Deutschland seien zu fixiert darauf, „dass eine Vorgabe aus dem Ministerium kommt – oder ein neues Lehrbuch“. Jeder Lehrer sollte selbst so viel wie möglich darüber nachdenken, was der richtige Unterricht sei, um die Kinder auf die Welt von morgen vorzubereiten. Schleicher forderte auch mehr Kooperation: „Es muss Schluss mit dem Einzelkämpfertum in den Klassenräumen sein.“ Lehrer müssten viel mehr gemeinsam Unterricht vorbereiten und auf Plattformen gezielt Unterrichtskonzepte austauschen. Da seien andere Länder viel weiter. (News4teachers berichtete auch darüber.)

Tatsächlich hatte eine repräsentative forsa-Umfrage im Auftrag der Deutschen Schulakademie zuvor ergeben, dass in Deutschland fast jede zweite Lehrkraft ihren Unterricht lieber allein plant. Nur rund 40 Prozent der befragten Lehrerinnen und Lehrer arbeiten danach mindestens einmal im Monat in Fachgruppen zusammen, um Unterricht gemeinsam zu gestalten. Allerdings sind offenbar auch die Rahmenbedingungen nicht geeignet, um die Zusammenarbeit in den Kollegien zu fördern: Nur bei einem Drittel der Befragten gibt es an der Schule Räume, die für Teamarbeit geeignet sind. Und nur bei einem Viertel der Lehrkräfte sind die Stundenpläne so gestaltet, dass eine fachbezogene Kooperation mit Kolleginnen und Kollegen während der Schulzeit möglich ist. News4teachers

„Lehrerausbildung taugt nicht für zeitgemäße Schule“ – Stefan Ruppaner, Schulleiter der Alemannenschule Wutöschingen, im News4teachers-Interview

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