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Tschüss Noten? Schulsenatorin kündigt an: Schulen dürfen bis zur 9. Klasse auf Zensuren verzichten

HAMBURG. In 50 Schulen in der Hansestadt war es bisher schon möglich – im Zuge eines Projekts. Nun dürfen alle Schulen, die es wollen, auf Noten bis zur Klasse 9 verzichten. Damit bekommt die Debatte über die Notwendigkeit von Ziffernnoten ein neues Kapitel.

Sind Ziffernzeugnisse in Hamburg bald nur noch ein seltener Anblick? Symbolfoto: Shutterstock/Lukassek

Schulen in Hamburg dürfen künftig bis einschließlich Klasse 8 auf die Notenvergabe verzichten. Das sagte die neue Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) im Interview mit der taz. Im mittlerweile beendeten Schulversuch „Alleskönner“ hatten 50 Modellschulen auf Noten verzichten dürfen – und dürfen das nun weiterhin. Auf die Frage der Zeitung, ob anderen Schulen dies weiterhin nicht erlaubt sei, sagte die Senatorin: „Doch. Wer mitmachen möchte, kann mitmachen. Wir sind in Hamburg sehr offen dafür. Es gibt auch einen Beschluss meiner Partei dazu.“ Sie selbst habe in ihrer Zeit als Berufsschullehrerin keine Präferenz gehabt. Ihrer Erfahrung nach sei es wichtig, „mit den Schülern in den Austausch zu gehen, wo sie stehen und was sie brauchen“.

Dient Hamburg mit dieser Entscheidung als Vorbild für die anderen Bundesländer? Schon lange steht die Benotung von Schüler*innen mit Ziffern in der Kritik – auch, weil Studien darauf hinweisen, dass Ziffernnoten alles andere als objektiv sind.

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Systematische Verzerrungen bei der Notengebung

Aktuell zeigt beispielsweise eine Untersuchung der Universität Zürich und der Universität Bern, dass Geschlecht, Gewicht und der familiäre Hintergrund starken Einfluss auf die Notengebung haben (News4teachers berichtete). Die Basis der Analyse bildeten die Daten von mehr als 14.000 Neuntklässler*innen aus dem Nationalen Bildungspanel in Deutschland. Das Autor*innenteam verglich die von den Lehrkräften vergebenen Noten mit den Ergebnissen standardisierter Kompetenztests. Unabhängig von den tatsächlichen Fähigkeiten und Begabungen erhielt demnach etwa ein Junge mit einem hohen BMI aus einer weniger gut situierten Minderheiten-Familie im Durchschnitt schlechtere Noten als ein Mädchen mit niedrigem BMI aus einer privilegierteren Familie ohne Migrationshintergrund. Dieser negative Einfluss verstärkte sich noch, wenn Schülerinnen und Schüler mehrere dieser benachteiligenden Merkmale auf sich vereinten.

Der Einfluss des Geschlechts auf die Leistungsbeurteilung lässt sich auch schon in der Grundschule beobachten. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Forschungsteam aus Deutschland, Großbritannien und den USA, an dem die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) beteiligt ist (News4teachers berichtete). Demnach überschätzen Lehrkräfte die Fähigkeiten von Mädchen im Bereich Sprache und von Jungen in Mathematik im Vergleich zu ihren Leistungen in objektiven Tests. Und: Mit der Zeit vergrößert sich der Vorsprung der Jungen in Mathematik und der der Mädchen im sprachlichen Bereich. Das sei ein Indiz für das Bestehen selbsterfüllender Prophezeiungen, wonach die Prognose über eine mögliche Zukunft diese Zukunft maßgeblich bedingt.

Gleiche Noten bei unterschiedlichen Kompetenzen

Wie wenig Noten über die tatsächlichen Kompetenzen junger Menschen aussagen, zeigt eine Analyse der Universität Tübingen und des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), das zur Humboldt-Universität Berlin gehört. „Die Ergebnisse legen nahe, dass Schülerinnen und Schüler mit gleichen Schulnoten substantiell unterschiedliche Kompetenzen aufweisen und dies auch umgekehrt gilt“, also ähnliche Kompetenzen zu unterschiedlichen Noten führen können, schreiben die Autor*innen.

Für die Studie wertete das Forschungsteam die Daten von rund 55.000 Schüler*innen der neunten Jahrgangsstufe in Deutschland aus. Dabei nutzten sie die Prüfungsergebnisse aus den IQB-Bildungstrend-Studien der Jahre 2015 und 2018 für die Fächer Englisch und Mathematik. Die Ergebnisse aus den standardisierten Tests verglichen sie mit den tatsächlichen Schulnoten und kamen zum Ergebnis, dass sich lediglich 21 Prozent der Unterschiede bei Schulnoten durch Kompetenzunterschiede erklären lassen. Der größte Teil der übrigen Unterschiede in der Benotung seien auf Unterschiede innerhalb von Schulen zurückführen. Dabei könnte es sich beispielsweise um mündliche Leistungsunterschiede von Schüler*innen handeln oder um andere individuelle Merkmale wie die Motivation oder Gewissenhaftigkeit.

Die Beispiele zeigen: Schulnoten messen nicht nur das, was sie messen sollen. Trotzdem hält das deutsche Bildungssystem hartnäckig an ihnen fest. Doch die Entscheidung Hamburgs dürfte die Debatte, ob Schulnoten überhaupt notwendig sind, neu anheizen. News4teachers / mit Material der dpa

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