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GEW: Arbeitsbedingungen an den Schulen so schlecht wie nie – Seiteneinsteiger werden verheizt

BERLIN. Die GEW gibt Berlins Bildungssenatorin Katharina Günter-Wünsch (CDU) schon zu Beginn des neuen Schuljahres schlechte Noten. Sie wirft ihr vor, zu wenig gegen schlechte Arbeitsbedingungen an den Schulen der Bundeshauptstadt zu tun. Auch die Situation der vielen Quer- und Seiteneinsteiger sei untragbar – ihnen fehle die Perspektive, eine vollständige Lehramtsbefähigung erwerben zu können. Dabei stehen sie voll in der Verantwortung: 75 Prozent von ihnen übernehmen eine Klassenleitung.  

Schon zu Beginn des Schuljahres ist klar: Es wird kein leichtes (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Die Berliner GEW stellt zu Beginn des Schuljahres 2024/25 eine weitere Verschlechterung der Bedingungen in den Schulen des Stadtstaates fest. „Die Arbeitsbedingungen sind so schlecht wie nie, viele Kolleg*innen sind nur noch im „Überlebensmodus“, erklärte Martina Regulin, Landesvorsitzende der GEW bei der Schuljahresauftakt-Pressekonferenz der Bildungsgewerkschaft.

Ihr Fazit zum Schuljahresbeginn fällt verheerend aus: „Die Auswirkungen des Personalmangels werden immer sichtbarer. Die Klassen und Gruppen werden größer, immer mehr Unterricht und Förderstunden fallen aus. Die Rahmenbedingungen werden schlechter – und das bei steigenden pädagogischen Anforderungen. Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, dass im letzten Jahr 1.000 Lehrkräfte gekündigt haben und sehr viele Kinder in der Grundschule nicht die Mindeststandards im Lesen und Rechnen erreichen. In der Berliner Schule zu arbeiten ist leider unattraktiv.“

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Die GEW-Landesvorsitzende warnt Bildungssenatorin Günter-Wünsch ausdrücklich davor, weitere Kürzungen im Bildungs- und Jugendbereich vorzunehmen. „Um die Fachkräfte langfristig im System zu halten, müssen sie ihre Arbeit gern machen und gesund bleiben. Das geht nur, wenn sich die Arbeitsbedingungen in den Schulen verbessern. Die Lerngruppen müssen verkleinert und die Schulen verlässlich multiprofessionell ausgestattet werden.“

Kürzungen im Bereich der Sonderpädagogischen Förderung und Sprachförderung erteilt Regulin eine Absage: „Kinder mit Behinderungen und Kinder mit Fluchterfahrung haben bereits jetzt schon massiv unter der Mangelsituation zu leiden. Viele von ihnen bekommen nicht die Förderung, die sie benötigen oder warten auf einen Schulplatz.“

Regulin erneuert die Forderung, die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung der Lehramtsreferendar*innen und die Kürzung der Profilstunden an den Schulen zurückzunehmen. „Durch die getroffenen Maßnahmen wird das Fehl an ausgebildeten Lehrkräften nur kurzfristig geschmälert. Insgesamt wird es dazu führen, dass die Arbeit an der Schule noch unattraktiver wird und mehr Referendar*innen und Lehrkräfte ans Aussteigen denken werden.“

Die Einstellungszahlen zum neuen Schuljahr zeigen der GEW zufolge, dass kaum noch voll ausgebildete Lehrkräfte in die Schulen kommen. 650 Lehrkräfte-Vollzeitstellen bleiben laut Gewerkschaft unbesetzt. „Ohne die Kürzungen der Profilstunden, die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung und die Umwidmung von Lehrkräfte-Stellen in andere Stellen läge die Lücke bei rund 1.500 Vollzeitstellen. Von den aktuell 4.762 neu eingestellten Lehrkräften sind 3.300 sogenannte ‘sonstige’ Lehrkräfte; das sind Seiteneinsteiger*innen bzw. Lehrkräfte ohne volle Lehrbefähigung, darunter etwa 550 Studierende, Lehrkräfte an Willkommensklassen und Lehrkräfte mit internationalen Lehramtsabschlüssen. Das sind fast 70 Prozent aller neu eingestellten Lehrkräfte, die ganz überwiegend befristet eingestellt werden – viele von ihnen immer wieder. Nur 1.111 neu eingestellte Lehrkräfte haben eine vollständige Lehramtsausbildung (23 Prozent)“, heißt es. Und darunter seien noch rund 350 pensionierte Lehrkräfte.

Gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Göttingen hat die GEW die Situation der Quer- und Seiteneinsteigenden beleuchtet.  Zwar ziehen die Quer- und Seiteneinsteiger*innen in einer Umfrage erfreulicherweise überwiegend eine positive persönliche Bilanz ihres Einstiegs. Darauf lasse sich schulpolitisch aufbauen. Aber nur ein Drittel von ihnen gibt an, mit ihrem Status als Seiten- bzw. Quereinsteiger*in zufrieden zu sein. Beachtliche 75 Prozent der befragten Seiteneinsteiger*innen übernehmen eine Klassenleitung. Und das, obwohl die Behörden ihre Ausgangsqualifikation nicht für das Lehramt anerkennen.

Frank Mußmann, wissenschaftlicher Leiter der Studie, erklärt: „Die Seiteneinsteiger*innen unterrichten als Lehrkräfte, ohne Chance auf eine systematische Fortbildung. Die meisten ziehen zwar trotzdem eine positive persönliche Bilanz, ihre Berufsperspektive empfinden sie jedoch als unsicher. Sie fühlen sich gegenüber anderen Lehrkräften zurückgesetzt, weil ihnen keine systematischen Entwicklungs- und Fortbildungsmöglichkeiten angeboten werden. Dies sollte – auch im Sinne einer verbesserten Unterrichtsqualität – dringend verbessert werden.“

Anne Albers, Leiterin des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik der GEW, benennt eine Reihe konkreter Maßnahmen, um die Begleitung von Quer- und Seiteneinsteiger*innen zu verbessern. Sie fordert verbindliche Vorgaben der Senatsverwaltung, um zu verhindern, dass Quer- und Seiteneinsteiger*innen immer mehr zusätzliche Aufgaben in den Schulen übertragen würden.

„Unser Ziel muss es doch sein, dass die Seiteneinsteiger*innen so aus- und weitergebildet werden, dass sie eine vollständige Lehramtsbefähigung erwerben können. Seiteneinsteigende brauchen gezielte Unterstützung, ausreichend Zeit und passgenaue Angebote, um sich zügig weiter qualifizieren zu können“, sagt sie und betont: „An der Motivation der Seiteneinsteigenden zur Weiterqualifizierung mangelt es nicht, sondern an geeigneten Angeboten aus der Senatsbildungsverwaltung. Erschreckend ist, dass die Senatsbildungsverwaltung keinen Überblick über die Qualifikationsvoraussetzungen dieser Gruppe hat.“ Der erste Schritt wäre, dass die Bildungssenatorin eine Übersicht über die individuellen Qualifikationsvoraussetzungen aller Seiteneinsteiger*innen erstellen lasse. Albers: „Nur so kann eine individuell zugeschnittene Beratung über mögliche Qualifizierungswege und gezielte Unterstützung erfolgen.“ News4teachers

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