STUTTGART. Die GEW kritisiert die Landesregierung von Baden-Württemberg dafür, dass sie bei der Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte auf der Bremse steht. „Eine zeitnahe Einführung einer Arbeitszeiterfassung von Lehrkräften (ist) derzeit nicht geplant“, so hatte Kultusministerin Theresa Schopper – gezwungen durch eine parlamentarische Anfrage – kundgetan (News4teachers berichtete). Sie spricht damit offenbar im Namen der gesamten KMK. Die Gewerkschaft mutmaßt, dass hinter dieser Blockadehaltung System steckt.
„Arbeitgeber*innen in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes erfassen schon lange die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten. Und jenseits der Lehrer*innen dokumentieren alle anderen Beschäftigten im Schuldienst, in der Schulverwaltung und im Kultusministerium ihre Arbeitszeit. Es wird Zeit, dass es eine Arbeitszeiterfassung für alle 130.000 Lehrkräfte in Baden-Württemberg gibt“ – meint jedenfalls die GEW im Südwesten.
Eigentlich stehen alle Landesregierungen nach zwei Gerichtsurteilen in der Pflicht, sich um das Thema zu kümmern. Bereits 2019 hatte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschieden, dass die Staaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die tägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemessen werden kann. Dadurch soll die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten garantiert werden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat diese Entscheidung 2022 untermauert und entschieden, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit ihrer Mitarbeitenden zu erfassen. Überdies stellte das BAG klar, dass die Einführung solcher Systeme der Mitbestimmung der betrieblichen Interessenvertretungen unterliegt.
„Offenbar hat die Landesregierung kein Interesse, dass ihr Versagen bei der Unterrichtsversorgung deutlich wird”
In einer Antwort auf eine Anfrage der SPD-Landtagsabgeordneten Katrin Steinhülb-Joss und Stefan Fulst-Blei hatte Kultusministerin Theresa Schopper aber nun ausgeführt, dass sie erst auf die durch die Rechtsprechung des EuGH und des BAG notwendige Änderung des Arbeitszeitgesetzes warten möchte – wie die anderen Kultusministerinnen und Kultusminister auch.
„Da mithin alle Länder von der möglichen Einführung einer Arbeitszeiterfassung im Bereich der Lehrkräfte in vergleichbarer Weise betroffen wären, sind die Länder in der Kultusministerkonferenz (KMK) übereingekommen, gemeinsam abgestimmt vorzugehen“, so Schopper. Aus ihrer grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber Arbeitszeit-Erfassung im Schuldienst macht sie dabei keinen Hehl: „Bei der Lehrkräftearbeitszeit gilt die Besonderheit, dass nur die wöchentliche Unterrichtsverpflichtung zeitlich genau festgelegt ist. Die übrigen von den Lehrkräften zu erbringenden Tätigkeiten sind hingegen zeitlich nicht festgelegt“, schreibt Schopper.
„Offenbar hat die Landesregierung kein Interesse, dass ihr Versagen bei der Unterrichtsversorgung deutlich wird, wenn die Lehrer*innen dokumentieren können, dass sie seit Jahren jonglieren und mehr arbeiten, weil an Schulen bereits zum Schuljahresbeginn nicht alle Stellen besetzt sind und den knapp 2.000 Stellen in der Vertretungsreserve gut 7.000 dauerhafte Ausfälle gegenüberstehen. Diese Unterrichtsversorgung auf Pump macht krank und führt zu weiteren Ausfällen“, sagt nun Monika Stein, Landesvorsitzende der GEW Baden-Württemberg.
Im Südwesten haben verbeamtete Lehrkräfte eine wöchentliche Arbeitszeit von 41 Stunden und 30 Urlaubstage. Studien zur Lehrkräftearbeitszeit wie zuletzt in Niedersachsen zeigen laut GEW, dass auch unter Berücksichtigung der geringeren Belastung in der unterrichtsfreien Zeit der Schulferien die Lehrerinnen und Lehrer länger arbeiten als vorgeschrieben.
„Über die letzten Jahre ist die Arbeitsbelastung aufgrund neuer Aufgaben stetig gewachsen, was natürlich zu einer Zunahme der Arbeitszeit geführt hat“
„Die Rechtsprechung zur Arbeitszeiterfassung muss umgesetzt werden, auch bei uns Lehrkräften. Zum Schutz der Beschäftigten und damit endlich die Überstunden nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden. Über die letzten Jahre ist die Arbeitsbelastung aufgrund neuer Aufgaben stetig gewachsen, was natürlich zu einer Zunahme der Arbeitszeit geführt hat“, sagt Farina Semler, stellvertretende GEW-Landesvorsitzende und Arbeitszeitexpertin der Bildungsgewerkschaft.
Die Arbeitszeit von Lehrkräften wird in Baden-Württemberg (wie den meisten anderen Bundesländern) durch das Deputat, die zu haltenden Unterrichtsstunden definiert. Dies ist nach Schularten unterschiedlich und reicht im Südwesten von 31 Wochenstunden bei Technischen und Fachlehrkräften über 28 Wochenstunden an den Grundschulen bis zu 25 an den Beruflichen Schulen und Gymnasien.
„Eine Arbeitszeiterfassung würde auch deutlich machen, dass zur Arbeit von Lehrer*innen auch der Elternabend, der Besuch bei Arbeitgeber*innen im Rahmen der Berufsorientierung, die Kooperation mit Jugendämtern für die Schüler*innen, zahlreiche Gutachten für Fördermaßnahmen, die fünftägige Klassenfahrt, eine E-Mail einer Schülerin abends um 21 Uhr, der Anruf eines Vaters am Sonntagabend und vieles mehr zählt“, sagt Stein. News4teachers / mit Material der dpa