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Tag der Demokratie: “Rechtsextremismus dringt immer tiefer in die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen ein“

BERLIN. Demokratische Werte scheinen bei jungen Menschen zunehmend an Zustimmung zu verlieren – und Schulen stehen vor der Herausforderung, ihren Auftrag der Demokratiebildung unter schwierigen Bedingungen zu erfüllen. Bildungsexperten schlagen anlässlich des Tags der Demokratie am (heutigen) 15. September Alarm und fordern eine bessere Unterstützung für Lehrkräfte, um den wachsenden Einfluss von extremistischen Ideologien auf junge Menschen einzudämmen.

Neonazi-Merchandising, frei im Internet erhältlich. Screenshot

Sanem Kleff, Direktorin der Bundeskoordination des Netzwerks „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, beschreibt die Situation als dramatisch. Nach den Ergebnissen der jüngsten Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen spricht sie vom „größten Rechtsruck unter Jugendlichen und Jungwähler*innen seit 1949“. Der hohe Anteil von Erstwählerinnen und Erstwählern, die ihre Stimme rechtsextremen Parteien gegeben haben, sei alarmierend.

„In Thüringen und Sachsen wählten 37 beziehungsweise 30 Prozent der Erstwähler die AfD“, erklärt Kleff. Diese Entwicklung sei bereits bei den U18-Wahlen erkennbar gewesen, wo in Thüringen 37,36 Prozent und in Sachsen 35,52 Prozent der Stimmen an die AfD gingen. In Brandenburg wird am nächsten Wochenende gewählt – und auch dort verheißt die vorangegangene U18-Wahl nichts Gutes: Die AfD liegt mit 28,6 Prozent bei den Präferenzen der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen auf Platz eins – mit großem Abstand vor SPD (15,8 Prozent), „Tierschutz hier!“ (12,6 Prozent), CDU (12,2 Prozent) und Bündnis Sara Wagenknecht (8,9 Prozent).

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Wichtig in diesem Zusammenhang zu wissen: Die AfD in Thüringen und Sachsen wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. Ihre zentrale Botschaft: Migrantenfeindlichkeit. Die Vorsitzenden der ostdeutschen AfD-Fraktionen hatten nach Bekanntwerden des Geheimtreffens in Potsdam von Rechtsextremen, das in der Folge zu bundesweiten Demonstrationen gegen die AfD führte, die „Remigrations“-Pläne der Partei in einer gemeinsamen Erklärung bekräftigt. „Deutschland muss wieder deutscher werden“, so heißt es darin – „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ ist eine verbreitete Neonazi-Losung.

Was damit gemeint ist, hat das Bundesverwaltungsgericht unlängst im Zusammenhang mit einer Entscheidung zum rechtsextremen, AfD-nahen Compact-Magazin ausgeführt: „Im Grunde soll jegliches Fremdsein unterdrückt und verwehrt werden“, so heißt es in der Begründung. Ein derartiger Anpassungsdruck mit dem Ziel der „Remigration“ als „freiwilliger Heimkehr“ bedeute nicht nur eine „demütigende Ungleichbehandlung“, sondern auch eine „Rechtsverweigerung für einen Teil der deutschen Staatsangehörigen“. Diesem Teil der Bevölkerung seien anknüpfend an ihre Herkunft oder „Rasse“ Rechte wie Meinungs-, Religions- und Versammlungsfreiheit versagt. Das spreche für eine aus der Vorstellung einer ethnisch definierten „Volksgemeinschaft“ ableitende Missachtung der Menschenwürde.

„Laut Schulgesetzen und Beutelsbacher Konsens hat Schule die Aufgabe, demokratische Werte und kritisches Denken zu fördern“

Ins Bild passt, dass die Brandenburger AfD in ihrem Wahlprogramm ankündigt, den Anteil von Migrantenkindern in Schulklassen auf zehn Prozent begrenzen zu wollen – was mit den übrigen passieren soll, dazu schweigt sich die Partei aus. Dass Kinder aufgrund ihrer Herkunft aus Schulen verbannt werden, hatte es in Deutschland zuletzt zwischen 1942 und 1945 gegeben, im Nationalsozialismus also.

Für immer mehr Schülerinnen und Schüler sind Fremdenfeindlichkeit und offene Diskriminierung aber offensichtlich kein Problem. Rechtsextremismus habe inzwischen eine Normalisierung und Banalisierung erfahren, die besonders bei jungen Menschen sichtbar werde – es handele sich um ein „massives Jugendproblem“, sagt Kleff. Dies sei eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie, denn „Rechtspopulismus und Rechtsextremismus dringen immer tiefer in die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen ein“, so Kleff weiter. Es gebe keine einfachen Erklärungen für diese Entwicklung, aber die Langzeitfolgen der Pandemie sowie die Auswirkungen internationaler Krisen, wie der Kriege in der Ukraine und Gaza, müssten stärker in den Blick genommen werden.

Kleff sieht die Schulen in einer zentralen Rolle, um dieser gefährlichen Tendenz entgegenzuwirken. Sie verweist auf den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schulen, der demokratische Werte und kritisches Denken fördern soll. „Laut Schulgesetzen und Beutelsbacher Konsens hat Schule die Aufgabe, demokratische Werte und kritisches Denken zu fördern“, betont Kleff. Lehrkräfte dürften sich dabei nicht neutral verhalten, sondern müssten klare Haltungen gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Gewaltverherrlichung zeigen. Nur so könne der demokratische Auftrag der Schulen erfüllt werden.

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Gerhard Brand, der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), hebt ebenfalls die zentrale Rolle der Bildung bei der Stärkung der Demokratie hervor. Anlässlich des Internationalen Tages der Demokratie am heutigen 15. September betont er: „Wir sind überzeugt, dass die einzige Chance, den besorgniserregenden Tendenzen langfristig zu begegnen, in hochwertiger Bildung liegt – unabhängig von der Herkunft der Schülerinnen und Schüler.“ Besonders in einer Zeit, in der Verrohung und Mobilisierung an den politischen Rändern zunehmen, sei es wichtig, den Fokus auf die demokratische Bildung zu legen. Bildung müsse für alle zugänglich sein, um Chancengleichheit zu gewährleisten und eine starke, demokratische Gesellschaft zu fördern, so Brand weiter.

„Gemeinsam müssen wir jetzt alle Kräfte mobilisieren, um unsere hart erkämpften Freiheiten und Rechte zu verteidigen“

Allerdings sieht er die Politik in der Verantwortung, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Schulen ihren Auftrag der Demokratiebildung auch tatsächlich erfüllen können. „Lehrkräfte sind die Schlüsselakteure in der demokratischen Bildung von Kindern und Jugendlichen“, erklärt Brand. Sie seien es, die Werte wie Toleranz, Respekt und Solidarität vermitteln und dadurch das demokratische Miteinander stärken. Doch die Bedingungen an den Schulen seien alles andere als optimal. Besonders der Lehrkräftemangel erschwere die Umsetzung dieser Aufgaben erheblich. Immer mehr Unterricht falle aus, und wichtige Fächer, die für die Demokratiebildung zentral seien, würden oft über längere Zeiträume nicht mehr unterrichtet. Projekte, die darauf abzielen, Vorurteile gegenüber Minderheiten abzubauen, fänden häufig nicht mehr statt.

Brand sieht diese Entwicklungen mit großer Sorge und fordert die Politik dazu auf, endlich entschieden zu handeln: „Der Lehrkräftemangel, marode Schulen und die Herausforderungen der Digitalisierung müssen mit Nachdruck angepackt werden.“ Ohne diese Maßnahmen werde es schwierig, extremistischen Kräften Einhalt zu gebieten. Auch Kleff fordert eine stärkere Unterstützung der Lehrkräfte, damit sie ihrer Aufgabe gerecht werden können. „Fortbildungen, Konzepte und Materialien zur Stärkung der Demokratieerziehung sind hier zentral“, sagt sie. Ohne diese Maßnahmen werde es den Schulen schwerfallen, die wachsende Herausforderung zu meistern. Ihr Appell: „Gemeinsam müssen wir jetzt alle Kräfte mobilisieren, um unsere hart erkämpften Freiheiten und Rechte zu verteidigen.“ News4teachers

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