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“Es sind ja nicht die behinderten Kinder schuld, dass Lehrer*innen immer mehr machen müssen”: Raúl Krauthausen über Inklusion

DÜSSELDORF. Von „Anne Will“ bis „Markus Lanz“: Raúl Krauthausen ist permanent im Einsatz, wenn es darum geht, die Rechte behinderter Menschen in den Medien zu vertreten. Der Sozialunternehmer und Autor ist Mitgründer der Organisation „Sozialhelden“ und gefragter Speaker in Sachen Barrierefreiheit und Inklusion. Mit News4teachers sprach er über Missverständnisse, schwache Argumente und ruinöse Empathie in der Diskussion um die schulische Inklusion – und weshalb das Gymnasium ein Problem im deutschen Bildungssystem darstellt.

Raúl Krauthausen setzt sich mit Humor und unermüdlichem Engagement seit über 20 Jahren für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ein. Für seine Arbeit erhielt er unter anderem das Bundesverdienstkreuz. Foto: Anna Spindelndreier

News4teachers: Für diejenigen, die dich noch nicht kennen, vielleicht zu Beginn die Frage: Wie würdest du deine Arbeit beschreiben und welche Rolle spielt das Thema Bildung dabei?

Raúl Krauthausen: Ja, ich habe auch sehr lange mit der Frage gehadert, was schreibe ich auf meine Visitenkarte? Dort steht „Aktivist für Inklusion und Barrierefreiheit“. Ich habe vor über 20 Jahren eine Organisation gegründet, die sich das Thema Inklusion auf die Fahne geschrieben hat. „Nichts über uns ohne uns“, das ist unsere Haltung. Das heißt, bei uns reden behinderte Menschen und nicht nichtbehinderte Menschen.

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Ich war in einem inklusiven Kindergarten, in einer inklusiven Grundschule, einer inklusiven weiterführenden Schule. Und ich dachte, das wäre das Normalste auf der Welt, dass alle Kinder so unterrichtet werden. Erst nach meiner Schulzeit habe ich erfahren, dass das damals was Besonderes war. Meine Eltern hatten kein Konzept von Inklusion, als sie mich eingeschult haben, sondern wir sind eigentlich den Fußstapfen einer anderen Familie gefolgt, die auch eine behinderte Tochter hatten. Ich habe also einfach das Glück gehabt, dass diese Tochter auf die richtige Schule ging. Als ich dann anfing zu studieren, merkte ich, dass meine Erfahrung gar kein Standard ist, im Gegenteil. Plötzlich war ich immer der einzige Behinderte in meinem Umfeld, auch später am Arbeitsplatz. Da habe ich mich gefragt: Jetzt ist meine Schulzeit schon recht lange her, warum tun sich immer noch alle so schwer? Es hat ja bei mir geklappt.

Ich habe mich deshalb mit dem Thema Inklusion in der Bildung immer wieder beschäftigt. Dabei fiel mir auf, dass nur Nichtbehinderte diskutieren. Also Eltern, Lehrer*innen, Politiker*innen, Pädagog*innen, Wissenschaftler*innen. Aber wir reden nie mit den Kindern und auch nicht mit Menschen mit Behinderungen. Wir reden auch nicht mit behinderten Wissenschaftler*innen. Wir reden nicht mit behinderten Eltern oder mit behinderten Lehrern und schon gar nicht mit behinderten Kindern. Das hat mich richtig wütend gemacht und seitdem setze ich mich mehr oder weniger ehrenamtlich mit diesem Thema sehr stark auseinander.

Was mich immer wieder erstaunt, ist, wie dünn die Argumente der Gegenseite sind und wie leicht man die entkräften könnte – wenn wir mehr wären, wenn man uns ernst nehmen würde, wenn man das anders deuten würde.

Ich habe unter anderem die Fundraising-Kampagne für den Kino-Dokumentarfilm „Die Kinder der Utopie“ mitentwickelt. Der Film wurde zufälligerweise an meiner alten Grundschule gedreht. Er hat vielen Menschen solche Argumentationshilfen gegeben und da bin ich immer noch sehr stolz darauf, was wir da geschafft haben.

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Themenfeld: Politische Bildung/Antisemitismus/Rassismus/muslimisches Leben in Deutschland & jüdisch-muslimischer Dialog

Mi. 12.02.2025 (10.30 bis 11.15 Uhr) Raúl Krauthausen Inklusionsaktivist, Autor und Medienmacher; im Gespräch mit Prof. Dr. Ines Oldenburg, Wissenschaftliche Direktorin am Institut für Pädagogik der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Themenfeld: Inklusion und Bildung, Barrierefreiheit

Do. 13.02.2025 (11.15 bis 12.00 Uhr) Dr. Insa Thiele-Eich Astronautenanwärterin, Klimaforscherin

Themenfeld: MINT/Erdkunde/Politik/Klimaforschung/Frauen und Beruf

Fr. 14.02.2005 (10.30 bis 11.15 Uhr) Leo Martin Ex-Geheimagent, Kommunikationsexperte

Themenfeld: Politik/Demokratiebildung/Verfassungsschutz/Kommunikation

Voraussetzung: Internetverbindung, ein Endgerät, ein Anzeigemedium (digitale Tafel/Beamer). Alternativ sind Sie herzlich eingeladen, am Messestand G56 in Halle 1 von ViewSonic live mit dabei zu sein. Für diesen Fall halten wir ein begrenztes Kontingent an Eintrittskarten für die Messe für Sie bereit.

Teilnehmerbegrenzung: Pro Termin max. 5 Klassen (oder 5 Einzelpersonen)

Anmeldung: Bitte schreiben Sie bei Interesse eine kurze E-Mail mit Ihrem Wunschtermin, dem Namen Ihrer Schule sowie Ihren Kontaktdaten an antonia.schroer@viewsonic.com.

Die Veranstaltung ist kostenfrei. Sämtliche Daten werden lediglich zur Kontaktaufnahme verwendet.

News4teachers: Worum geht es darin?

Raúl Krauthausen: Das ist der Nachfolgefilm des Films „Klassenleben“ von 2005. Damals  wurden sechs Kinder aus der Grundschule porträtiert. Der Film „Die Kinder der Utopie“ zeigt, was aus diesen Kindern 14 Jahre später geworden ist. Das hat mich wirklich sehr berührt, weil es ein sehr ehrlicher Film ist. Er zeigt, was alles gegangen ist, und eben auch, wo Leute wirklich gescheitert sind. Für mich stellt er die Frage in den Raum, ob das Leben nicht einfach auch eine Lotterie ist. Denn im Film ist auch jemand gescheitert, der keine Behinderung hat. Und da ist umgekehrt jemand glücklich mit Behinderung. Das ist kein Abo, dass du als behinderter Mensch automatisch unglücklich wirst und auch keine Garantie, dass du als nichtbehinderter Mensch glücklich wirst.

News4teachers: Bevor wir nochmal auf das Stichwort Argumente zu sprechen kommen: Könntest du kurz skizzieren, worum es bei dem Begriff Inklusion eigentlich geht? Und was ist das häufigste Missverständnis, dem du begegnest?

Raúl Krauthausen: Inklusion ist nichts anderes als die Annahme und die Bewältigung von menschlicher Vielfalt. Im kirchlichen Kontext würde man vielleicht Nächstenliebe sagen. Es ist nicht mehr und nicht weniger. Also wir dürfen nicht, wie es so häufig passiert, „Inklusion gleich Behinderung“ denken. Denn Inklusion meint wirklich alle. Jeder Mensch ist anders. Und eine inklusive Schule oder eine inklusive Gesellschaft ist in der Lage, die Bedürfnisse des Einzelnen ernst zu nehmen und darauf zu reagieren und nicht einzelne in das System zu pressen. Das ist, glaube ich, ein grundsätzliches Missverständnis. Und an diesem Missverständnis entlädt sich auch die ganze Diskussion.

Es ist eben nicht Integration, wo die Mehrheitsgesellschaft entscheidet, wie viel Platz die Minderheit bekommt und die Minderheit ewig dankbar sein soll. Sondern Inklusion sagt, es gibt keine Mehrheit mehr. Und das verstehen die meisten Leute nicht.

„… als ob behinderte Kinder plötzlich wie Erdmonster aus ihren Löchern auftauchen würden und jetzt die Weltherrschaft an sich reißen wollen“

Das merkt man auch im Wording. „Inklusionskinder“ heißt es beispielsweise immer wieder. Alle Kinder sind Inklusionskinder. Daran merkt man einfach, dass viele Leute noch sehr stark im Begriff der Integration verhaftet sind. Und daran kann sich dann natürlich die Argumentation nähren. Wenn nämlich alle eigentlich von Integration sprechen, aber den Begriff Inklusion nutzen, dann kommen natürlich solche Äußerungen wie: „Was sollen wir denn noch alles machen?“ Oder „Die sollen doch jetzt mal dankbar sein. Ist jetzt auch mal gut.“ Und so weiter.

Ich spreche über Bildung ja als Externer. Ich habe keine Kinder. Ich bin lange nicht mehr in der Schule gewesen als Schüler. Und ich habe keinen Lehrauftrag. Mir fällt aus dieser Perspektive immer wieder auf, dass sowohl Eltern als auch Lehrer*innen manchmal so tun, als ob behinderte Kinder plötzlich wie Erdmonster aus ihren Löchern auftauchen würden und jetzt die Weltherrschaft an sich reißen wollen. Aber in Wirklichkeit gab es ja immer gleich viele behinderte Kinder. Es ist ja nicht mehr geworden. Und in Wirklichkeit haben Lehrer*innen sich schon immer beschwert: “Was sollen wir denn noch alles machen?” Auch als ich Kind war, war das so. Das heißt, wann nehmen wir das denn jetzt wirklich ernst, wenn so was gesagt wird? Wenn es doch immer gesagt wird?

Es sind ja nicht die behinderten Kinder schuld, dass Lehrer*innen immer mehr machen müssen. Das liegt unter anderem an Pisa. Es liegt an dem Konkurrenzkampf der Bundesländer, es liegt an Bachelor-Master-Umstellung. Es liegt daran, dass in Schulen nicht genug Geld investiert wird, dass es Personalmangel gibt, dass Klassen immer größer werden. Es liegt auch an der Diversität der Nichtbehinderten. Wenn deine Eltern Alkoholiker sind oder arm, dann haben die keinen Inklusionsstatus und dann sind es auch keine Ausländer, auf die man schimpfen kann. Denn dann sind es halt Kinder von Alkoholikern und Alkoholiker können reich sein. Wenn du eine Aische in der Klasse hast, dann ist unklar, ob sie in der ersten Generation oder der vierten Generation aus der Türkei stammt. Das Schulsystem hat nie gelernt, diese Multidiversität anzunehmen, die größer wird.

Wir sehen die Chance nicht, die inklusive Pädagogik bietet. Dabei wissen wir aus der Forschung, dass kleine Klassen und mehr Pädagogen 90 Prozent aller Herausforderungen, die wir im Bildungssystem haben, lösen würden. 90 Prozent! Dabei würde dann kein Kind mehr untergehen und auch die Multidiversität kann besser gehandelt werden. Es würde primär das Kind gesehen und davon würden auch die Kinder profitieren, die nicht betroffen sind. Denn auch für ein Elite-Gymnasialkind ist eine Schulklasse mit 32 Kindern und einer Lehrkraft zu groß. Stattdessen werden die Gruppen aber alle gegeneinander ausgespielt, ohne zu sehen, dass wir so viel lernen könnten. Und ich meine das nicht in diesem Bullerbü-Duktus im Sinne von „Wir können alle von der Vielfalt lernen.“

Nein, wir können mit inklusiver Pädagogik den Druck für alle rausnehmen. Inklusion bedeutet aber auch immer Konflikte. Die ersten Schritte bringen erst mal keinen Profit. Die ersten Schritte sind Arbeit. Das tut weh. Die Leute werden sich verändern müssen. Wir werden zuhören müssen. Wir werden Dinge anders machen müssen. Wir werden Schulen umbauen müssen. Das wird Geld kosten, am Anfang. Das ist ja die Schwelle, über die wir gehen müssen. Und ich glaube, dass, wenn wir erzählen würden, dass Inklusion auch bedeuten kann, dass wir Konflikte lernen auszutragen. Dass wir lernen, Kompromisse zu finden. Dass wir gemeinsam daran wachsen können. Dass wir auch lernen, vielleicht Fehler einzugestehen. Dann können wir alle uns in unserem Leben weiterbilden, weil wir wissen, wie man sich ordentlich entschuldigt.

Aber ich möchte als behinderter Mensch nicht nur dann gewollt sein, wenn andere von mir lernen. Das ist der Unterschied. Der Prozess ist der, von dem wir lernen.

News4teachers: Du hast schon ein wichtiges Stichwort geliefert: mehr Pädagog*innen. In einem der meist kommentierten Artikel 2024 auf News4teachers ging es darum, dass immer mehr Schüler*innen Förderbedarf zugeschrieben wird und die Forderung des VBE, eine Doppelbesetzung mit Lehrkräften in inklusiven Klassen einzuführen. Ein Leserkommentar dazu lautete in etwa: „Das ist ja sowieso alles überhaupt nicht realisierbar. Da können wir auch gleich Freibier für alle und Heilmittel für alle Krankheiten der Welt fordern.” Inklusion scheint für viele Lehrkräfte eine Illusion zu sein. Wie antwortest du auf solche Reaktionen?

Raúl Krauthausen: Ja, wo fange ich da an? Zunächst einmal ist es schon falsch zu sagen, „doppeltes Lehrpersonal in Inklusionsklassen“. Es sollte „doppeltes Personal in jede Klasse“ heißen, weil jede Klasse Inklusionsklasse sein muss. Das ist auch kein Freibier für alle, sondern es sollte als Grundrecht eines jeden Schülers in Deutschland betrachtet werden. Dann wäre die Debatte nämlich eine ganz andere.

Dann haben wir noch das Phänomen des False Balancing. Nur, weil eine Lehrkraft das sagt, selbst wenn hundert Lehrkräfte das sagen, heißt das noch nicht, dass das wissenschaftlich stimmt. Im Journalismus wird das aber oft so behandelt, als wäre es gleichwertig. Genau dadurch bekommen die politisch Rechten auch so viel Aufmerksamkeit, weil wir das permanent gleichsetzen. Die setzen wir eher in Talkshows, obwohl sie von Tuten und Blasen keine Ahnung haben, als Menschen, die sich beruflich und wissenschaftlich schon lange damit auseinandersetzen.

„Wo kommt dieser Anspruch her, eine Ausbildung zu haben, bevor ich mit einem behinderten Menschen interagiere?“

Wenn Lehrer*innen Sorgen äußern, wie zum Beispiel „Ich weiß aber nicht, wie ich denen Mathe beibringen soll“, dann ist es ja eine konkrete Sorge, die man mit einem Handbuch oder mit einer Schulung oder mit einem Best Practice Beispiel lösen könnte. Denn das haben ja schon mal Leute gemacht. Wenn sie aber oberflächlich argumentieren, als im Sinne von „Was sollen wir denn noch alles machen?“ oder: „Dafür bin ich nicht ausgebildet.“, dann sehen wir nicht den Schrei nach Unterstützung. Und dann sagen dann leider Schuldirektorin, Schulbehörden, Minister*innen: „Ach nein, wenn Sie nicht ausgebildet sind, ja, dann können wir es natürlich nicht machen.“ Dabei sollte der Schluss sein: „Dann müssen wir halt ausbilden, und zwar alle und von Anfang an.“

Wobei das ja so absurd ist: Wo kommt dieser Anspruch her, eine Ausbildung zu haben, bevor ich mit einem behinderten Menschen interagiere? Wie sähe denn diese Welt aus? Das würde ja bedeuten, dass nur ausgebildete Fachkräfte – und das im Zeitalter von Fachkräftemangel – mit behinderten Menschen interagieren dürfen. Und das ist das hundertprozentige Gegenteil von Inklusion. Eltern behinderter Kinder hatten vorher auch keine Ausbildung. Wir müssen wegkommen von dieser Idee. Denn dieser Super-Referendar, der sich auskennt von A wie Autismus bis Z wie Zerebralparese und auch noch, wie man ein Kind mit Nussallergie im Unterricht am besten begleitet – den wird es nie geben. Und, was die wenigsten Leute wissen: An Sonderschulen für gehörlose Kinder zum Beispiel können die meisten Lehrer*innen auch keine Gebärdensprache. Wir glauben das aber immer als Mehrheitsgesellschaft. Das ist eben auch kein Paradies dort.

Der zweite Aspekt ist: Wenn hinter dieser Aussage „Dafür bin ich nicht ausgebildet“ wirklich die Sorge steckt, dass wir Kinder falsch unterrichten, wenn sie eine Behinderung haben, dann müssten wir auch so ehrlich sein und uns dafür interessieren, wie Kinder in Förderschulen eigentlich ausgebildet werden. Darum kümmert sich aber keiner. Sobald die Kinder aus dem Regelschulsystem sind, interessiert sich keiner mehr für sie. Sie haben keine Lobby. Das heißt, in Wirklichkeit geht es gar nicht um den Schutz der Kinder und eine gute Förderung für die Kinder. Es geht immer darum, das Regelschulsystem zu erhalten und zu schützen und bloß nichts zu verändern. Und das ist falsch, weil eine Lehrkraft und auch eine Rektorin und eigentlich auch die Schulbehörde, wenn wir ehrlich sind, nicht Rosinen picken darf.

Dass es immer mehr Kinder mit Förderstatus an Regelschulen gibt, das hat verschiedene Gründe. Einmal: Der Personalschlüssel wird damit gekoppelt. Je mehr E-Kinder, also Kinder mit Störungen im Bereich Entwicklung, desto besser. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass plötzlich Kinder zu E-Kindern werden, die vorher gar keinen Status hatten. Also lernauffällig, lernbehindert, verhaltensauffällig, ADHS, Autismus,… Als ich Kind war, gab es die Diagnose nicht. Da war es der Zappelphilipp, die stille Lisa. Dann war das halt so, aber jetzt haben sie einen Status. Sobald die Kinder aber zu sehr behindert sind, werden sie quasi ausgespuckt aus dem System. Und deswegen steigt sowohl die Exklusionsquote an Sonderschulen als auch die Inklusionsquote an Regelschulen. Wir müssen eigentlich mehr darauf gucken, warum steigt die Exklusionsquote? Welche Kinder werden denn aussortiert? Und dann wird immer mit dem verhaltensauffälligen Kind argumentiert, das Stühle durch die Klasse wirft. Das man nicht beruhigen kann, das sogenannte Systemsprenger-Kind. Und ganz ehrlich, wenn ich an meine Kindheit zurückdenke: Bei uns flogen auch Stühle. So ein Stuhl lässt sich halt geil werfen (lacht). Leben ist auch gefährlich, und das sage ich, obwohl ich Glasknochen habe. Schulgemeinschaften können auch richtig fiese Gemeinschaften sein. Aber die Logik, Stühle werfende Kinder in einen Raum in der Sonderschule zu stecken, wo alle Kinder Stühle werfen, ist noch viel gefährlicher. Und deswegen sollten wir sie gerecht verteilen auf alle.

Hier geht es zum zweiten Teil des Interviews mit Raúl Krauthausen: „Sonderschule für alle!“ 

Inklusion: Bundesbeauftragter Dusel fordert Abbau der Förderschul-Strukturen (“Können wir uns nicht mehr leisten”) – im Interview

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