BERLIN. „Sprachliche Bildung ist eine Kernaufgabe des Bildungssystems“ – so heißt es in der aktuellen Stellungnahme. Umso überraschender, dass sie für neu zugewanderte Kinder und Jugendliche, die über geringe Deutschkenntnisse verfügen, in Schulen offenbar nicht obligatorisch ist. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) empfiehlt nun, diesen gravierenden Missstand zu beheben – und „Verfahren der Diagnostik zu etablieren, ein Maßnahmepaket zur sprachlichen Bildung zentral zu entwickeln und evidenzbasierte Qualifizierungsangebote für Lehrkräfte zu schaffen“.
Kindern und Jugendliche aus zugewanderten Familien „sind auf professionelle Sprachförderung angewiesen, die ihren heterogenen Sprach- und Lernvoraussetzungen gerecht wird. Für den Unterricht in Deutsch als Zweitsprache (DaZ) sind qualifizierte Lehrkräfte und klare Rahmenvorgaben erforderlich“, heißt es in der nun herausgegebenen Stellungnahme der SWK.
Und: „Die Integration von Kindern und Jugendlichen aus zugewanderten Familien gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Bildungssystems. Inwieweit die Förderung dieser Kinder und Jugendlichen gelingt, ist nicht nur für ihre eigenen Bildungschancen, sondern auch für die wirtschaftliche Entwicklung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland von Bedeutung.“ So weit, und – mit Blick auf die desaströsen PISA-Ergebnisse – so nachvollziehbar.
„Von flächendeckenden Beschulungskonzepten kann kaum ausgegangen werden“
Dumm nur, dass die notwendige Sprachförderung in Deutschland offenbar keineswegs gewährleistet ist. „Von flächendeckenden Beschulungskonzepten kann kaum ausgegangen werden; das Spektrum reicht von Direktintegration bis zu einer teilweise zentral organisierten und im Anschluss mit einem Schulwechsel verbundenen parallelen Beschulung. Innerhalb dieses Spektrums werden standortabhängig teils separate Alphabetisierungskurse vorgeschaltet, teilweise wird Fachunterricht in den Sprachklassen integriert angeboten. Für die berufliche Bildung existieren teils Konzepte mit in die Sprachklasse integriertem Fachpraxisunterricht und begleitenden Praktika. Belastbare Daten über die Verbreitung der verschiedenen Modelle liegen nicht vor“, so heißt es in dem Papier, für das 18 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verantwortlich zeichnen.
Ihre Kernforderungen lauten:
- Verfahren der Diagnostik etablieren, die für Entscheidungen über Maßnahmen der sprachlichen Bildung von Kindern und Jugendlichen grundlegend sind.
- Ein Maßnahmepaket zur sprachlichen Bildung zentral entwickeln, das von den Schulen adaptiert und umgesetzt wird.
- Evidenzbasierte Angebote der Qualifizierung von Lehrkräften für sprachliche Bildung schaffen.
„Die Förderung von Deutsch als Zweitsprache ist äußerst anspruchsvoll“, erklärt Prof. Petra Stanat, SWK-Mitglied und Wissenschaftlicher Vorstand des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der Humboldt-Universität Berlin. „Wir brauchen Lehrkräfte, die hierfür ausgebildet sind und durch die Bereitstellung von Rahmenvorgaben, diagnostischen Instrumenten und Fördermaterial unterstützt werden. Leitend sollte ein Modell sein, bei dem neu zugewanderte Kinder und Jugendliche zunächst eine intensive Sprachförderung erhalten, in zunehmendem Umfang am Regelunterricht ihrer Klasse teilnehmen und die Sprachförderung auch nach vollständigem Übergang in die Regelklasse weitergeführt wird. Denn mit einer intensiven Sprachförderung in den ersten ein bis zwei Jahren ist es in der Regel nicht getan. Wer selbst schon einmal eine Sprache gelernt hat, weiß: Man braucht etwa fünf bis sieben Jahre, um sie wirklich zu beherrschen. Dies zeigt auch der Forschungsstand.“
„Unser Ziel ist es, dass alle Kinder und Jugendlichen selbstsicher sprechen und einander verstehen können“
Die SWK hält die Einrichtung einer zentralen Stelle für wesentlich, der die Zuständigkeit für die Diagnostik übertragen wird, um mit einer verbindlichen Lernausgangslagendiagnostik bereits vorhandene Deutschkenntnisse, den Grad der Alphabetisierung und andere relevante Vorkenntnisse zu erfassen, damit Schulen passgenaue Maßnahmen ergreifen können.
Die empfohlenen Maßnahmen zielen darauf ab, am Wissensstand der Kinder und Jugendlichen anzusetzen und ihnen möglichst zügig und schrittweise eine Integration in die Regelklasse zu ermöglichen. Anhand von Rahmenvorgaben für Sprachklassen, additive Sprachförderung und sprachsensiblen Unterricht, die an die Bedingungen in der jeweiligen Schule anzupassen sind, sollten die Schülerinnen und Schüler adaptiv gefördert werden. Auch für Jugendliche, die nach Verlassen einer Sprachförderklasse in eine Ausbildung wechseln, ist eine additive Sprachförderung sicherzustellen. Es wird zudem empfohlen, die Wirksamkeit der Förderung im Rahmen datengestützter Qualitätsentwicklung in Schulen und in Bildungsmonitorings nachzuverfolgen.
Die SWK empfiehlt darüber hinaus, evidenzbasierte Angebote zur Qualifizierung von Lehrkräften für sprachliche Bildung zu schaffen. Hierzu gehören Möglichkeiten der Spezialisierung in Deutsch als Zweitsprache in der Aus- und Weiterbildung sowie Module für alle Lehramtsstudierenden zu sprachsensiblem Fachunterricht.
Simone Oldenburg (Linke), Bildungsministerin von Mecklenburg-Vorpommern und Präsidentin der Bildungsministerkonferenz (wie die KMK sich nun nennt) meint dazu: „Das Beherrschen der deutschen Sprache ist die Grundlage für Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in all seinen Facetten. Sprachkenntnisse sind eine wesentliche Voraussetzung für den Schulerfolg und für den Einstieg ins Berufsleben. Unser Ziel ist es, dass alle Kinder und Jugendlichen selbstsicher sprechen und einander verstehen können. Sprache ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft. Unser Blick richtet sich dabei insbesondere auf neu zugewanderte Kinder und Jugendliche mit geringen Deutschkenntnissen. Eine professionelle Sprachförderung sicherzustellen, ist eine zentrale Aufgabe. Wir leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Chancengerechtigkeit im deutschen Bildungssystem.“ Newsteachers
Hier lässt sich die vollständige Stellungnahme herunterladen.