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Geschichtswissenschaftler appelliert an Lehrkräfte, “Fake History” zu entlarven

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JENA. Als hätte er es geahnt: Am Donnerstagabend vertrat AfD-Chefin Alice Weidel im Gespräch mit dem US-Milliardär Elon Musk die krude These, Hitler sei in Wahrheit Kommunist gewesen – ein „infames Propaganda-Manöver“, wie der Historiker Prof. Andreas Wirsching erklärte (News4teachers berichtete). Zuvor hatte sein Fachkollege Prof. Jens-Christian Wagner bereits einen Appell an Lehrkräfte in der „Zeit“ veröffentlicht. Titel: „Entlarvt rechte Legenden!“

Hitler – ein Linker? «Historisch grundfalsch.» Illustration: Shutterstock

Die Verbreitung geschichtsrevisionistischer Narrative und die Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus sind besorgniserregende Entwicklungen, die zunehmend Einfluss auf die Gesellschaft und insbesondere auf Schulen haben. Jens-Christian Wagner, Professor für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, ruft dazu auf, dieser Gefahr entschlossen entgegenzutreten. Lehrerinnen und Lehrer spielen dabei eine zentrale Rolle.

Die Leugnung und Verharmlosung nationalsozialistischer Verbrechen sind nicht neu. Doch während geschichtsrevisionistische Literatur früher nur schwer zugänglich war, reichen heute wenige Klicks im Internet, um auf entsprechende Inhalte zu stoßen. Diese digitale Verfügbarkeit hat laut Wagner weitreichende Folgen, die auch vor Schulen nicht haltmachen.

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Besonders problematisch ist, dass revisionistische Thesen zunehmend durch politische Akteure verbreitet werden. Wagner nennt in diesem Zusammenhang die AfD, deren Vertreter regelmäßig geschichtsverzerrende Parolen äußern. Ein prominentes Beispiel sei der AfD-Politiker Jörg Prophet, der voraussichtlich im Januar zum Vizepräsidenten des Thüringer Landtages gewählt wird. Prophet habe unter anderem Gedenkstättenarbeit als „Schuldkult“ diffamiert und die britischen Luftangriffe auf Dresden mit dem Holocaust gleichgesetzt. Wagner warnt: „Wenn solche Thesen aus den Parlamenten heraus verbreitet werden, verleihen sie den Narrativen eine scheinbare demokratische Legitimation.“

Nicht nur die Politik trägt zur Verbreitung von Fake-History bei. Soziale Medien wie TikTok spielen eine zentrale Rolle, vor allem bei der Ansprache jüngerer Zielgruppen. Wagner hebt als Beispiel den AfD-Politiker Maximilian Krah hervor, dessen Videos Hunderttausende (vor allem Jugendliche) erreichen. Darin appelliert Krah an den vermeintlichen Stolz auf deutsche Vorfahren und verneint pauschal deren Beteiligung an Verbrechen. Solche Inhalte, so Wagner, trägen zu einem gesellschaftlichen Rechtsruck bei, der sich besonders an Schulen zeige. Dies spiegle sich unter anderem in den Ergebnissen der Juniorwahlen in Sachsen und Thüringen wider (News4teachers berichtete).

Dieser Trend führt dazu, dass Rechtspropaganda und Geschichtsrevisionismus zunehmend in Klassenräumen und sogar bei Elternabenden diskutiert werden. Viele Lehrkräfte fühlten sich angesichts dieser Entwicklung ratlos. Wagner betont: „Meldeportale der AfD, auf denen Lehrer denunziert werden, die angeblich gegen das Neutralitätsgebot verstoßen, verstärken die Unsicherheit der Pädagoginnen und Pädagogen.“ (News4teachers berichtete.) Zudem gebe es vereinzelt Lehrkräfte, die selbst extreme rechte Positionen vertreten.

„Lehrkräfte müssen geschult werden, damit sie geschichtsrevisionistische Legenden und Signalwörter erkennen“

Ein weiterer Aspekt, der die Bekämpfung von Fake-History erschwert, ist das fehlende Wissen vieler Lehrkräfte über geschichtsrevisionistische Mythen. Wagner führt das Beispiel der Rheinwiesenlager an. Zwar ist bekannt, dass in diesen Lagern im Jahr 1945 etwa eine Million deutsche Kriegsgefangene untergebracht waren, von denen rund 10.000 starben. Geschichtsrevisionisten sprechen jedoch von bis zu sechs Millionen Toten und behaupten, es habe sich um einen amerikanischen Völkermord an den Deutschen gehandelt. Wenn solche Behauptungen im Unterricht geäußert werden, seien viele Lehrkräfte fachlich nicht in der Lage, fundiert zu widersprechen.

Wagner fordert daher eine umfassende historisch-politische Aufklärung. „Lehrkräfte müssen geschult werden, damit sie geschichtsrevisionistische Legenden und Signalwörter erkennen und deren Herkunft sowie Intention verstehen können“, erklärt er. Dabei sollten Fortbildungseinrichtungen, Gedenkstätten und Universitäten eng zusammenarbeiten.

Ein zentrales Anliegen Wagners ist es, Lehrerinnen und Lehrern deutlich zu machen, dass sie nicht allein sind. Er verweist auf den Fall zweier Lehrkräfte in Burg (Brandenburg), die rechtsextreme Vorfälle an ihrer Schule anprangerten und daraufhin als “Nestbeschmutzer” diffamiert wurden (News4teachers berichtete). Wagner kritisiert das Versagen von Schulaufsicht, Kollegium und Elternschaft in diesem Fall scharf und fordert, dass solche Vorgänge sich nicht wiederholen dürfen.

Lehrkräfte müssten wissen, dass es ihre verfassungsrechtliche Pflicht sei, sich gegen menschenfeindliche und verfassungswidrige Parolen zu positionieren. „Das ist kein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot, sondern ein Gebot unserer Demokratie“, betont Wagner. Wichtig sei jedoch, dass sie dabei Unterstützung von Schulleitungen, Bildungsbehörden und der Zivilgesellschaft erhielten. News4teachers

Hier geht es zum vollständigen Gastkommentar in der „Zeit“.

Bildungsfern, frauenfeindlich, rechtsextrem: Wie die AfD es schafft, junge Männer für sich zu mobilisieren

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