POTSDAM. Das Verwaltungsgericht Potsdam hat einer Lehrerin Recht gegeben, die sich gegen die Ablehnung ihrer Verbeamtung aufgrund ihres Körpergewichts gewehrt hatte. Sie soll 700 Gramm zu schwer gewesen sein, wie der „Spiegel“ berichtet. Das Gericht forderte eine genauere Prüfung individueller Gesundheitsfaktoren und kritisierte die Behörden scharf. Ein erhöhter Body-Mass-Index (BMI) reiche allein nicht aus, um eine gesundheitliche Nichteignung festzustellen.

Die Klägerin, 42 Jahre alt und Lehrerin für Deutsch und Englisch an einer Brandenburger Gesamtschule, hatte ihr Recht auf Verbeamtung eingefordert, nachdem das Land Brandenburg ihre Probezeit immer wieder verlängert hatte. Der Grund: Ein amtsärztliches Gutachten hatte aufgrund ihres BMI Zweifel an ihrer gesundheitlichen Eignung geäußert. Ihr BMI lag bei knapp über 30 und damit über der Schwelle zur vermeintlichen Adipositas, wie der „Spiegel“ berichtet.
Dabei hatte ihre Hausärztin ihr stets eine gute Gesundheit attestiert. „Ich finde dieses Vorgehen von Grund auf falsch“, erklärte die Lehrerin während der Verhandlung. Sie betonte, dass ihre Blutwerte und ärztlichen Untersuchungen keinerlei gesundheitliche Einschränkungen belegten. An ihrer beruflichen Eignung kann ohnehin kein Zweifel bestehen: Sie hat ihr Staatsexamen mit 1,2 abgeschossen.
„Bei einem Gutachten, das sich lediglich auf den BMI bezieht, wäre es am Schulamt gewesen, genauer hinzuschauen und nachzufragen“
Das Bundesverwaltungsgericht hatte bereits 2013 entschieden, dass gesundheitlich ungeeignet nur ist, wer mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ vor der Pension dienstunfähig wird. Diese Argumentation übernahm das Potsdamer Gericht. Die amtsärztliche Stellungnahme genüge nicht den Anforderungen, da sie sich lediglich auf allgemeine Risiken und nicht auf den individuellen Gesundheitszustand der Lehrerin beziehe. Auch das Schulamt habe Fehler gemacht, so das Gericht: „Bei einem Gutachten, das sich lediglich auf den BMI bezieht, wäre es am Schulamt gewesen, genauer hinzuschauen und nachzufragen.“
Günther Fuchs, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Brandenburg (die die Klage unterstützt hatte), lobte das Urteil: „Der Arbeitsmarkt ist katastrophal. Wir sollten über jeden froh sein, der als Lehrkraft anfängt, statt uns an Kleinigkeiten wie dem Gewicht abzuarbeiten.“ Fuchs wies darauf hin, dass Klagen wie diese keine Einzelfälle seien, viele Betroffene jedoch aus Angst vor Nachteilen gar nicht erst rechtliche Schritte einleiten würden.
Die betroffene Lehrerin sieht in ihrem Fall auch eine politische Dimension. „Es kann nicht sein, dass der Arbeitgeber einer Frau im 21. Jahrhundert vorschreibt abzunehmen, obwohl sie kerngesund ist“, kritisierte sie nach der Verhandlung. „Ich wollte kooperieren, das ist schließlich mein Arbeitgeber. Aber ich fand das so ungerecht, und ich war entsetzt, dass so etwas noch passiert. Die Klage war meine einzige Chance, politisch etwas zu erwirken.“ Sie schlägt vor, Kontrollmechanismen in den Behörden einzuführen und Artikel 3 des Grundgesetzes zu erweitern, um Diskriminierungen dieser Art zu verhindern.
Der Richter regte am Ende der Verhandlung einen Vergleich an. Das Land Brandenburg erklärte sich bereit, die Lehrerin so schnell wie möglich auf Lebenszeit zu verbeamten. Etwa einen Monat später erhielt sie ihre Ernennungsurkunde. „Es war eine politische Entscheidung, nicht abzunehmen“, erklärte sie nach dem Prozess. „Es ging um Selbstbestimmung und Body Positivity.“
„Seit ich pädagogisch arbeite, versuche ich Jugendliche darin zu bestärken, einen gesunden Umgang mit ihrem Körper zu finden“
Das Thema ist der Pädagogin nicht fremd. An ihrer Gesamtschule leitet sie ein Projekt zur „Gesunden Schule“. „Seit ich pädagogisch arbeite, versuche ich Jugendliche darin zu bestärken, einen gesunden Umgang mit ihrem Körper zu finden. Schönheitsideale und Körpermaße sind ein hochsensibles Thema für sie“, sagt sie. „Als Lehrerin möchte ich vermitteln, dass sie sein können, wie sie sind, und es nicht darum geht, wie sie aussehen.“ Natürlich gebe es einen Gesundheitsaspekt, aber der beruhe eben nicht allein auf dem BMI.
Tatsächlich spiegelt der Body-Mass-Index (BMI) das Risiko für Herz-Kreislauf- oder Krebserkrankungen aufgrund von Adipositas nur sehr begrenzt wider, wie unlängst das Büro der Nako-Gesundheitsstudie, einer Langzeitbevölkerungsstudie, die von einem Netzwerk deutscher Forschungseinrichtungen organisiert und durchgeführt wird, betonte. Der BMI sei aufgrund seiner weltweiten Akzeptanz und der einfachen Berechnung aus Körpergewicht und Größe zwar nützlich, um eine erste Einschätzung der Adipositas in der Bevölkerung vorzunehmen, das Krankheitsrisiko auf individueller Ebene spiegele aber nicht immer richtig wider.
Gründe dafür seien, dass der BMI keine Informationen über die Körperzusammensetzung liefere. Er könne zum Beispiel nicht zwischen Muskel- und Fettmasse unterscheiden und berücksichtige auch die Verteilung und Art des Fettgewebes nicht.
„Der prozentuale Körperfettanteil bei Frauen ist in der Regel höher als bei Männern mit gleichem BMI. Zudem spielt es eine wichtige Rolle, wo sich das Fettgewebe am Körper ansammelt, denn Fettgewebe ist nicht gleich Fettgewebe“, hieß es aus dem Nako-Studienzentrum. Insbesondere die Unterscheidung zwischen Unterhaut- und Organfettgewebe stehe im Fokus der Forschung.
Das tieferliegende Organfettgewebe gelte als hormonell aktiv, das bedeute, es schütte Entzündungsmarker aus, die mit einem erhöhten Risiko für Diabetes mellitus Typ 2 und koronarer Herzkrankheit einhergingen. „Daneben ist auch die Menge an Muskeln von zentraler Bedeutung. So führt ein hoher Muskelanteil dazu, dass das Gewicht und somit der BMI steigen“, hieß es. News4teachers
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