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Wieso es die Bildung – und die Demokratie – voranbringt, wenn Bürger intensiv mitsprechen: der Bürgerrat Bildung und Lernen

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STUTTGART. Was macht Demokratie aus? Wie viel Mitbestimmung braucht die Bildung? Und: Was wünschen sich Bürgerinnen und Bürger denn, wenn sie stärker in die Entwicklung des Bildungssystems einbezogen werden? Auf der didacta, Europas größter Bildungsmesse, diskutierte News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek mit drei Menschen, die sich mit diesen Fragen intensiv beschäftigen: zwei Mitgliedern des Bürgerrats Bildung und Lernen sowie Dr. Karl-Heinz Imhäuser, Vorstand der Montag Stiftung Denkwerkstatt, die diesen Bürgerrat ins Leben gerufen hat. Warum eigentlich?

“Bildung ist ein Zukunftsthema, das alle betrifft.“ Von links: News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek, die Bürgerratsmitglieder Maximiliane Junghans und Julia Hahn sowie Dr. Karl-Heinz Imhäuser, Vorstand der Montag Stiftung Denkwerkstatt. Foto: Bürgerrat Bildung und Lernen / Jonas Knaab

Die neue Folge des Podcasts „Schulschwatz – der Bildungstalk“ kommt von der diesjährigen Bildungsmesse Didacta. Auf dem „Forum Bildungsperspektiven“ widmete sich eine Podiumsdiskussion dem Leitthema Demokratiebildung und stellte den Bürgerrat Bildung und Lernen in den Mittelpunkt. News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek führte dabei durch eine Diskussion, die einen Bogen spannt: Von grundlegenden Fragen zum Format Bürgerrat – was ist das überhaupt? – über die konkreten Empfehlungen für Kitas und Schulen, die der Bürgerrat Bildung und Lernen beschlossen hat bis hin zur Perspektive des Projekts: Was passiert denn nun mit den Beschlüssen?

Zu Gast auf dem Podium sind zwei Mitglieder des Bürgerrats: die Schülerin Maximiliane Junghans (genannt Maxi) aus Kirchheim bei München und die Kindheitspädagogin Julia Hahn aus Stuttgart. Zudem nimmt Karl-Heinz Imhäuser, Vorstand der Montag Stiftung Denkwerkstatt, an der Diskussionsrunde teil. Er gibt Einblicke in die Entstehung des Bürgerrats und betont die Bedeutung der demokratischen Beteiligung an Bildungsprozessen. Hintergrund: Der Bürgerrat Bildung und Lernen war 2021 von der Montag Stiftung Denkwerkstatt ins Leben gerufen worden.

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Auf die Frage, was Demokratie für sie bedeutet, antwortet Maxi: „Demokratie bedeutet für mich, verschiedene Meinungen (zusammenzubringen, d. Red.), die zu einem Ganzen kombiniert werden“ – Vielfalt also, so betont sie. Julia Hahn ergänzt: „Gemeinsam miteinander zu diskutieren. Unterschiedlichste Meinungen werden respektvoll miteinander ausgehandelt. Und genau das machen wir im Bürgerrat.“

„Jeder darf sprechen und jedem wird zugehört. Das ist eine wertvolle Erfahrung“

Stiftungsvorstand Imhäuser erläutert, wie Bürgerinnen und Bürger zu Mitgliedern des Bürgerrats wurden: „Es handelt sich um eine Zufallsauswahl.“ Wie das praktisch vonstattenging, erläutern die beiden Teilnehmerinnen. „An meiner Schule wurde es ausgeschrieben, dass man sich auslosen lassen konnte“, berichtet Maxi (die Kinder und Jugendlichen konnten ja nicht direkt eingeladen werden). Julia Hahn erhielt hingegen unvermittelt einen Brief – und entschied sich nach kurzer Recherche zum Mitmachen.

„Die Idee war, neben den parlamentarischen Verfahren Bürgerinnen und Bürger stärker in Entscheidungsfindungsprozesse einzubinden. Bildung ist ein Zukunftsthema, das alle betrifft“, so erläutert Imhäuser die Motivation der Stiftung, sich zu engagieren. Die Diskussionen im Bürgerrat verliefen dann auf Augenhöhe, wie Maxi betont: „Die Erwachsenen haben uns behandelt, als wären wir mit ihnen auf einem Niveau, was sonst eigentlich nicht so oft passiert.“ Julia Hahn hebt hervor: „Jeder darf sprechen und jedem wird zugehört. Das ist eine wertvolle Erfahrung.“

Am Ende des mehrjährigen Prozesses wurden Handlungsempfehlungen für die Politik formuliert (News4teachers berichtete). Julia Hahn erläutert: „Wir haben Arbeitsphasen gehabt, in denen wir unsere Ideen schriftlich festgehalten haben. Die wurden dann in einer PowerPoint gesammelt und mithilfe eines Abstimmungstools bewertet.“ Die Entscheidungsfindung lief demokratisch ab, so Julia Hahn weiter: „Es gab verschiedene Abstufungen – volle Zustimmung, mittelmäßige Zustimmung oder Ablehnung. So wurde ein Gesamtbild erfasst.“

Ein zentrales Diskussionsthema war die Bewertung von Schülerleistungen – Noten abschaffen? Laut Imhäuser gab es dazu zunächst große Meinungsunterschiede. Bemerkenswert: Durch den intensiven Austausch zum Thema veränderten sich die Positionen: „Am Ende sprach sich eine große Mehrheit dafür aus, Noten erst ab der achten oder neunten Klasse einzuführen. Das ist ein klares Signal an die Politik.“ Schülerin Maxi findet die Idee überzeugend: „Also, ich finde das Notensystem insgesamt nicht so gut, weil na ja, du wirst nach dieser einen kleinen Zahl da bewertet. Mehr ist es dann ja auch nicht wirklich.“

Ein weiteres zentrales Thema: die Bedeutung von mehr Freiheit im Bildungssystem. Maxi unterstreicht die Forderung, dass die Eigenverantwortung mit dem Alter der Schülerinnen und Schüler zunehmen sollte. Sie erklärt, dass es nicht sinnvoll sei, Jugendlichen kaum mehr Verantwortung für ihr eigenes Lernen zu übertragen als Kindergartenkindern – was aber de facto so sei.

Julia Hahn, die als Pädagogin und ehemalige Montessori-Schülerin einen besonderen Blick auf das Thema mitbringt, betont die Bedeutung flexibler Lernstrukturen. Sie verweist darauf, dass es bereits erfolgreiche Pilotprojekte in Deutschland gibt, bei denen Kinder selbst entscheiden können, wann sie welche Fächer lernen. Sie spricht sich dafür aus, solche Best-Practice-Beispiele stärker zu vernetzen und das Wissen daraus weiterzugeben.

„Die Diskussionen bilden die Fachdiskurse, die laufen, fast eins zu eins ab“

Freieres Lernen – ja oder nein? Die Frage führte im Bürgerrat zu einer differenzierten Diskussion. Während einige befürchteten, dass ein Selbstbestimmen des Lernstoffs zu chaotischen Zuständen führen könnte, war sich die Mehrheit der Bürgerratsmitglieder am Ende dann doch einig, dass eine flexible Gestaltung des Lernplans in einem gesetzten Rahmen möglich sein muss. Julia Hahn erklärt: „Freiheit bedeutet jetzt nicht, ich suche mir alles aus und muss dann kein Deutsch oder kein Mathe mehr lernen, wenn ich keine Lust darauf habe, sondern ich kann halt bestimmen, wann ich was mache – und wie.“

Karl-Heinz Imhäuser zeigt sich wenig überrascht darüber, dass diese Positionen im Bürgerrat nach tiefer Diskussion eine breite Mehrheit fanden (anders als schlichte Meinungsumfragen zu Bildungsthemen nahelegen). Die Bürgerinnen und Bürger seien in ihren Diskussionen zu ähnlichen Ergebnissen gekommen wie wissenschaftliche Expertinnen und -experten: „Die Diskussionen bilden die Fachdiskurse, die laufen, fast eins zu eins ab.“

Was passiert jetzt mit den Empfehlungen des Bürgerrats? Zunächst mal werden sie den Kultusministerinnen und Kultusministern in Deutschland übergeben. Sie fließen dann in eine große Abschlussveranstaltung ein, bei der Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Bildung zusammenkommen, um konkrete Umsetzungsmöglichkeiten zu diskutieren. Ziel sei es, so Imhäuser, dass Entscheidungsträger*innen einzelne Forderungen übernehmen und aktiv in ihren Verantwortungsbereichen umsetzen.

Maxi und Julia Hahn äußern sich abschließend zu ihren persönlichen Wünschen für die Zukunft des Bildungssystems. Maxi fände es spannend, einen „Minibürgerrat“ an ihrer Schule zu etablieren, betont jedoch: „Wenn dieser Bürgerrat dann gegründet werden sollte, dann müssten die Lehrer und die Schüler sich auf einer Augenhöhe begegnen.“ Julia Hahn spricht sich für eine parteiübergreifende Zusammenarbeit in der Bildungspolitik aus, da Bildung kein rein parteipolitisches Thema sein dürfe.

„Ich würde das Bildungssystem in allen Bundesländern angleichen“

Auf die abschließende Frage, was sie als Bildungsministerin sofort ändern würde, antwortet Maxi ohne zu zögern: „Ich würde das Bildungssystem in allen Bundesländern angleichen.“ Sie erklärt, dass es für Schülerinnen und Schüler ungerecht sei, dass die Bildungschancen so stark vom Wohnort abhingen. Einheitliche Bildungsstandards und eine bessere Vergleichbarkeit der Schulabschlüsse wären aus ihrer Sicht essenziell. Julia Hahn ergänzt, dass sie als Kultusministerin vor allem mehr Mitspracherechte für Schülerinnen und Schüler einführen würde, da sie selbst am besten wüssten, wie sie lernen wollen und was sie für ihre Zukunft brauchen.

Auf die Frage, welche Maßnahme er als Kultusminister als erstes umsetzen würde, antwortet Karl-Heinz Imhäuser: „Geld zur Verfügung stellen und Strukturen entwickeln, dass Bürgerinnen und Bürger, Kinder und Jugendliche Teil der Demokratieentwicklung in Bezug auf Beratungsfragen werden.“ Im Vorfeld politischer Beratungen möchte er Bürgerräte für spezifische Fragen einbinden, um den Bürgerinnen und Bürgern eine lautere Stimme im demokratischen Prozess zu geben. News4teachers

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