STUTTGART. Was macht Demokratie aus? Wie viel Mitbestimmung braucht die Bildung? Und: Was wünschen sich Bürgerinnen und Bürger denn, wenn sie stärker in die Entwicklung des Bildungssystems einbezogen werden? Auf der didacta, Europas größter Bildungsmesse, diskutierte News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek mit drei Menschen, die sich mit diesen Fragen intensiv beschäftigen: zwei Mitgliedern des Bürgerrats Bildung und Lernen sowie Dr. Karl-Heinz Imhäuser, Vorstand der Montag Stiftung Denkwerkstatt, die diesen Bürgerrat ins Leben gerufen hat. Warum eigentlich?

Die neue Folge des Podcasts „Schulschwatz – der Bildungstalk“ kommt von der diesjährigen Bildungsmesse Didacta. Auf dem „Forum Bildungsperspektiven“ widmete sich eine Podiumsdiskussion dem Leitthema Demokratiebildung und stellte den Bürgerrat Bildung und Lernen in den Mittelpunkt. News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek führte dabei durch eine Diskussion, die einen Bogen spannt: Von grundlegenden Fragen zum Format Bürgerrat – was ist das überhaupt? – über die konkreten Empfehlungen für Kitas und Schulen, die der Bürgerrat Bildung und Lernen beschlossen hat bis hin zur Perspektive des Projekts: Was passiert denn nun mit den Beschlüssen?
Zu Gast auf dem Podium sind zwei Mitglieder des Bürgerrats: die Schülerin Maximiliane Junghans (genannt Maxi) aus Kirchheim bei München und die Kindheitspädagogin Julia Hahn aus Stuttgart. Zudem nimmt Karl-Heinz Imhäuser, Vorstand der Montag Stiftung Denkwerkstatt, an der Diskussionsrunde teil. Er gibt Einblicke in die Entstehung des Bürgerrats und betont die Bedeutung der demokratischen Beteiligung an Bildungsprozessen. Hintergrund: Der Bürgerrat Bildung und Lernen war 2021 von der Montag Stiftung Denkwerkstatt ins Leben gerufen worden.
Auf die Frage, was Demokratie für sie bedeutet, antwortet Maxi: „Demokratie bedeutet für mich, verschiedene Meinungen (zusammenzubringen, d. Red.), die zu einem Ganzen kombiniert werden“ – Vielfalt also, so betont sie. Julia Hahn ergänzt: „Gemeinsam miteinander zu diskutieren. Unterschiedlichste Meinungen werden respektvoll miteinander ausgehandelt. Und genau das machen wir im Bürgerrat.“
„Jeder darf sprechen und jedem wird zugehört. Das ist eine wertvolle Erfahrung“
Stiftungsvorstand Imhäuser erläutert, wie Bürgerinnen und Bürger zu Mitgliedern des Bürgerrats wurden: „Es handelt sich um eine Zufallsauswahl.“ Wie das praktisch vonstattenging, erläutern die beiden Teilnehmerinnen. „An meiner Schule wurde es ausgeschrieben, dass man sich auslosen lassen konnte“, berichtet Maxi (die Kinder und Jugendlichen konnten ja nicht direkt eingeladen werden). Julia Hahn erhielt hingegen unvermittelt einen Brief – und entschied sich nach kurzer Recherche zum Mitmachen.
„Die Idee war, neben den parlamentarischen Verfahren Bürgerinnen und Bürger stärker in Entscheidungsfindungsprozesse einzubinden. Bildung ist ein Zukunftsthema, das alle betrifft“, so erläutert Imhäuser die Motivation der Stiftung, sich zu engagieren. Die Diskussionen im Bürgerrat verliefen dann auf Augenhöhe, wie Maxi betont: „Die Erwachsenen haben uns behandelt, als wären wir mit ihnen auf einem Niveau, was sonst eigentlich nicht so oft passiert.“ Julia Hahn hebt hervor: „Jeder darf sprechen und jedem wird zugehört. Das ist eine wertvolle Erfahrung.“
Am Ende des mehrjährigen Prozesses wurden Handlungsempfehlungen für die Politik formuliert (News4teachers berichtete). Julia Hahn erläutert: „Wir haben Arbeitsphasen gehabt, in denen wir unsere Ideen schriftlich festgehalten haben. Die wurden dann in einer PowerPoint gesammelt und mithilfe eines Abstimmungstools bewertet.“ Die Entscheidungsfindung lief demokratisch ab, so Julia Hahn weiter: „Es gab verschiedene Abstufungen – volle Zustimmung, mittelmäßige Zustimmung oder Ablehnung. So wurde ein Gesamtbild erfasst.“
Ein zentrales Diskussionsthema war die Bewertung von Schülerleistungen – Noten abschaffen? Laut Imhäuser gab es dazu zunächst große Meinungsunterschiede. Bemerkenswert: Durch den intensiven Austausch zum Thema veränderten sich die Positionen: „Am Ende sprach sich eine große Mehrheit dafür aus, Noten erst ab der achten oder neunten Klasse einzuführen. Das ist ein klares Signal an die Politik.“ Schülerin Maxi findet die Idee überzeugend: „Also, ich finde das Notensystem insgesamt nicht so gut, weil na ja, du wirst nach dieser einen kleinen Zahl da bewertet. Mehr ist es dann ja auch nicht wirklich.“
Ein weiteres zentrales Thema: die Bedeutung von mehr Freiheit im Bildungssystem. Maxi unterstreicht die Forderung, dass die Eigenverantwortung mit dem Alter der Schülerinnen und Schüler zunehmen sollte. Sie erklärt, dass es nicht sinnvoll sei, Jugendlichen kaum mehr Verantwortung für ihr eigenes Lernen zu übertragen als Kindergartenkindern – was aber de facto so sei.
Julia Hahn, die als Pädagogin und ehemalige Montessori-Schülerin einen besonderen Blick auf das Thema mitbringt, betont die Bedeutung flexibler Lernstrukturen. Sie verweist darauf, dass es bereits erfolgreiche Pilotprojekte in Deutschland gibt, bei denen Kinder selbst entscheiden können, wann sie welche Fächer lernen. Sie spricht sich dafür aus, solche Best-Practice-Beispiele stärker zu vernetzen und das Wissen daraus weiterzugeben.
„Die Diskussionen bilden die Fachdiskurse, die laufen, fast eins zu eins ab“
Freieres Lernen – ja oder nein? Die Frage führte im Bürgerrat zu einer differenzierten Diskussion. Während einige befürchteten, dass ein Selbstbestimmen des Lernstoffs zu chaotischen Zuständen führen könnte, war sich die Mehrheit der Bürgerratsmitglieder am Ende dann doch einig, dass eine flexible Gestaltung des Lernplans in einem gesetzten Rahmen möglich sein muss. Julia Hahn erklärt: „Freiheit bedeutet jetzt nicht, ich suche mir alles aus und muss dann kein Deutsch oder kein Mathe mehr lernen, wenn ich keine Lust darauf habe, sondern ich kann halt bestimmen, wann ich was mache – und wie.“
Karl-Heinz Imhäuser zeigt sich wenig überrascht darüber, dass diese Positionen im Bürgerrat nach tiefer Diskussion eine breite Mehrheit fanden (anders als schlichte Meinungsumfragen zu Bildungsthemen nahelegen). Die Bürgerinnen und Bürger seien in ihren Diskussionen zu ähnlichen Ergebnissen gekommen wie wissenschaftliche Expertinnen und -experten: „Die Diskussionen bilden die Fachdiskurse, die laufen, fast eins zu eins ab.“
Was passiert jetzt mit den Empfehlungen des Bürgerrats? Zunächst mal werden sie den Kultusministerinnen und Kultusministern in Deutschland übergeben. Sie fließen dann in eine große Abschlussveranstaltung ein, bei der Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Bildung zusammenkommen, um konkrete Umsetzungsmöglichkeiten zu diskutieren. Ziel sei es, so Imhäuser, dass Entscheidungsträger*innen einzelne Forderungen übernehmen und aktiv in ihren Verantwortungsbereichen umsetzen.
Maxi und Julia Hahn äußern sich abschließend zu ihren persönlichen Wünschen für die Zukunft des Bildungssystems. Maxi fände es spannend, einen „Minibürgerrat“ an ihrer Schule zu etablieren, betont jedoch: „Wenn dieser Bürgerrat dann gegründet werden sollte, dann müssten die Lehrer und die Schüler sich auf einer Augenhöhe begegnen.“ Julia Hahn spricht sich für eine parteiübergreifende Zusammenarbeit in der Bildungspolitik aus, da Bildung kein rein parteipolitisches Thema sein dürfe.
„Ich würde das Bildungssystem in allen Bundesländern angleichen“
Auf die abschließende Frage, was sie als Bildungsministerin sofort ändern würde, antwortet Maxi ohne zu zögern: „Ich würde das Bildungssystem in allen Bundesländern angleichen.“ Sie erklärt, dass es für Schülerinnen und Schüler ungerecht sei, dass die Bildungschancen so stark vom Wohnort abhingen. Einheitliche Bildungsstandards und eine bessere Vergleichbarkeit der Schulabschlüsse wären aus ihrer Sicht essenziell. Julia Hahn ergänzt, dass sie als Kultusministerin vor allem mehr Mitspracherechte für Schülerinnen und Schüler einführen würde, da sie selbst am besten wüssten, wie sie lernen wollen und was sie für ihre Zukunft brauchen.
Auf die Frage, welche Maßnahme er als Kultusminister als erstes umsetzen würde, antwortet Karl-Heinz Imhäuser: „Geld zur Verfügung stellen und Strukturen entwickeln, dass Bürgerinnen und Bürger, Kinder und Jugendliche Teil der Demokratieentwicklung in Bezug auf Beratungsfragen werden.“ Im Vorfeld politischer Beratungen möchte er Bürgerräte für spezifische Fragen einbinden, um den Bürgerinnen und Bürgern eine lautere Stimme im demokratischen Prozess zu geben. News4teachers
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Die Empfehlungen des Bürgerrates sind ja beileibe nicht neu. Sie klingen wie ein Best of der üblichen Feuilletonthemen: keine Noten, selbstbestimmtes Lernen etc.
Der Witz ist: In den Grundschulen (in SH) ist das weitgehend schon lange Realität – mit „durchwachsenen“ Ergebnissen.
Wir haben (dadurch) schon lange ganz andere Baustellen (Basis-Fertigkeiten werden nicht mehr systematisch ge- und erlernt, Unruhe durch viel „Flexibilität“, DAZ-Kinder ohne Sprachkenntnisse, I-Kinder mit speziellen Bedürfnissen, Mediensucht, fehlende Mitwirkung von Eltern, Verwahrlosung, Absentismus und und und).
Mir braucht wirklich keiner mehr mit dem Zeug von vorgestern zu kommen.
Aber schön, dass man in der Runde noch jemanden gefunden hat, den diese Plattitüden überzeugen konnten.
Einfach nix zu sagen, mitgehen, nicken.
Vorgehen analog zu “großen Fünfjahresplänen” wählen.
Sauber dokumentieren.
Es gibt 80 Millionen Trainer der Fußballnationalmannschaft. Warum nicht auch in der Bildung?
Ich bin für Noten erst ab Klasse 9 und bis dahin für ein Primat von Glücksunterricht und Schulschwatz bevorzugt bei Kindheitspädagoginnen.
Wann konstituieren sich eigentlich die folgenden Bürgerräte zum geselligen mitschwätzen und demokratischen wertschätzen
Es gab – und gibt – Bürgerräte zu diversen Themenfeldern. Gerne hier nachlesen: https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/buergerraete-bericht-100.html
Herzliche Grüße
Die Redaktion
Danke für den link @ Redaktion.
Ich fragte mich immer, wo die Initiative für das kostenlose Schulmittagessen herkommt.
“Allerdings kann man mit Sicherheit sagen, dass Bürgerräte, die offiziell politisch beauftragt wurden, die politische Wirksamkeit erhöhen.”
Schön wäre, wenn Menschen, die sich bereits zu einem wichtigen Thema treffen, trotzdem nicht in Parteien arbeiten wollen, aber bereits vorgearbeitet haben, diese Beauftragung bekommen können. Das wäre dann effektiv und demokratisch. Ich finde, Bürgerräte sind Demokratieinstrumente +
( Die derzeitige NGOuntersuchung ist auch eine gute Sache, um Ungutes zukünftig auszuschließen).
Liebe Redaktion,
ungewollt sprechen Sie doch hier genau das Problem an: Jeder, der mal in der Schule war oder gar Elternteil ist, meint, im Bildungsbereich mitreden zu können. Leider nur aus seiner ganz extrem begrenzten Sicht meist einer Grundschule und einer weiterführenden Schule und der weiterhin begrenzten Sicht von Schülern und Eltern, die schon allein mit konkreten schulorganisatorischen Fragen völlig überfordert sind.
Trotzdem: Im Bildungsbereich hat jeder seine Meinung, so wenig fundiert sie auch ist. Beispiel, auch für einen stark eingeschränkten Blickwinkel: Der Vorschlag zu einem Minibürgerrat an Schulen, wo sich Lehrkräfte und Schüler auf Augenhöhe treffen. Gibt es doch schon längst, zumindest in meinem Bundesland. Nennt sich Schulkonferenz, wo Schülervertreter ein Drittel der Delegierten stellen.
Bei Fragen z.B. von Krankenhausreformen ist das aber nicht so. Oder bei Ideen zur Verbesserung von Kommunalverwaltungen. Oder Justizreformen. Oder, oder…
Lieber Küstenfuchs,
dass Lehrkräfte in der Bildungsdebatte eine wichtige Perspektive einnehmen – und wir dieser ja auch täglich breiten Raum einräumen, ob in redaktionellen Beiträgen oder im Leserforum -, ist selbstverständlich. Schule besteht aber nicht nur aus Lehrkräften.
Genauso wenig, wie allein Landwirte für Landwirtschaftspolitik zuständig sein sollten (es gibt ja dabei auch noch Fragen, die über die Belange von Bauern hinausgehen – wie der Umweltschutz) oder allein Soldaten für Verteidigungspolitik (die ja nicht nur militärische Fragen betrifft, sondern zum Beispiel auch das Thema Ressourcen), sind allein Lehrkräfte in der Bildungspolitik gefragt. Die betrifft letztlich alle Bürgerinnen und Bürger, weil dabei wesentliche Zukunftsfragen dieser Gesellschaft zu verhandeln sind – etwa die ökonomischen Perspektiven unseres Landes. Vor allem eine Frage rückt dabei zunehmend – angesichts der Dynamik der Entwicklungen im Informationszeitalter – in den Mittelpunkt: Was sollen die Kinder und Jugendlichen überhaupt lernen? Schließlich müssen sie in einer Zukunft beruflich und gesellschaftlich bestehen, die auch wir Erwachsenen nicht mehr überblicken können.
Das ist eine Kernfrage für junge Menschen, deren Lebensperspektive sich damit unmittelbar verbindet – es ist aber kein Thema in den bestehenden Schulkonferenzen. Die formale Schülermitwirkung beschränkt sich, überspitzt gesagt, darauf, ob Kakao oder Milch im Automaten in der Pausenhalle platziert werden soll. Schülerinnen und Schüler möchten aber auch bei für sie wirklich relevanten Themen mitsprechen. Lehrkräfte übrigens auch. Und darauf bezieht sich die Idee.
Herzliche Grüße
Andrej Priboschek
Sehr geehrter Herr Priboschek,
die Schulkonferenzen führte ich das Beispiel an, als im Artikel die Schülerin einen “Mini-Bürgerrat” auf Schulebene mit Lehrkräften auf Augenhöhe forderte. Übrigens geht es in Schulkonferenzen um erheblich mehr als Kakao: In SH haben diverse Schulen in ihrer Schulkonferenz entschieden, freies Lernen als durchgängiges Unterrichtsprinzip festzulegen (siehe als EIN Beispiel https://www.shz.de/lokales/itzehoe/artikel/innovative-lernmethoden-an-der-schule-schenefeld-kreis-steinburg-48390090).
Im Übrigen steht es außer Frage, dass der Bildungsbereich seine Lehrinhalte hinterfragen muss. Ich persönlich halte es beispielsweise für völlig absurd, KI aus der Schule heraushalten zu wollen. Hier ist es sicher so, dass nicht nur Lehrkräfte mitreden sollten.
Aber wenn ich in ihrem Artikel lese, dass Schülerbewertungen ein zentrales Thema der Diskussion war/ist, dann frage ich mich schon, wo da die breitgefächerte Expertise ist. Die Sicht einzelner Schüler oder Eltern ist da viel zu eingeschränkt und die Erfahrungen viel zu gering. Wer keine Notenzeugnisse hat, vermisst diese, weil die Textbausteine zu schwammig und die Kreuze zu Teilleistungen zu willkürlich sind. Wer Notenzeugnisse hat, fühlt sich auf eine Zahl reduziert und/oder hat gerade nur die Wut auf den Deutschlehrer, der eine 3 statt einer 2 gegeben hat. In beiden Fällen fehlt der Überblick über die Folgen der Art der Bewertungen vollständig, wie die Erfahrungen in SH zeigen, wo jede Grundschule bzw. deren Schulkonferenz (so viel zum Thema Kakaoautomat) zu entscheiden hatte, ob es Noten oder Berichtszeugnisse gibt.
Alleine, dass diese Frage eine zentrale im Bürgerrat ist, lässt mich an der Sinnhaftigkeit zweifeln. Wir haben ganz massive andere Probleme im Bildungsbereich.
Ich bin dafür, alle Noten abzuschaffen.
Der “Bürgerrrat” hat bestimmt recht.
Ich bin dafür, im Rahmen des chilligen Schulschwatzes am Glücksrad äh im Kompetenzkarussell zunächst nur die schlechten Noten abzuschaffen.
So ein bisschen gegenseitige Lobhudelei und kollektives Schulterklopfen gehören einfach zum Glücksunterricht dazu.
🙂 dann geht das, wenn wir nur noch 1er und 2er haben auch wieder los ? – oder vielleicht wirds leiser, mit weniger Beschwerden, weniger Knalltütenlärm……
Macht nix, ist eine Definitionssache: Die Einserkandidaten sind die wie bisher Vielversprechenden, die Zweierkandidaten sind die Malschaun-Truppe (incl.Spätzündern) und Tiktokgehorsamen-Schule- ist – Schxxxe-Aktivisten.
Hmm, das gäbe weniger Arbeit für uns, mehr Pädagogische Freiheit, mehr Motivation für die Zweier – vlt. gar nicht so schlecht…..
Preisfrage: Wem würde diese Einteilung vielleicht/wohl nicht gefallen ?
„weil na ja, du wirst nach dieser einen kleinen Zahl da bewertet.“
Dadurch, dass sie ständig wiederholt wird, wird diese Aussage auch nicht zutreffender, sondern verkürzt mindestens so stark, wie das beklagte Notenverfahren. Jeder Schüler bekommt über das (Halb-)Jahr viele individuelle Rückmeldungen bei jeder Wortmeldungen, durch jeden Kommentar in einer Klassenarbeit oder einem Test, jedem Notengespräch und hat sogar durch aktives Nachfragen noch mehr Möglichkeiten für ein individuelles Feedback. Die Note ist dann lediglich eine Zusammenfassung. Wenn die vielfältigen Rückmeldungen Anregung genug für eine Änderung der Unterrichts- und Lernaktivitäten sind, dann kann man Noten tatsächlich weglassen. Ich wünschte z.B., viele Schüler würden meine Korrekturen und Kommentare in schriftlichen Arbeiten zum Anlass nehmen, gewisse Inhalte nochmal zu wiederholen.
Und wann sollen SuS die Zeit finden für Wiederholung? Der Stoff geht immer weiter, ohne Rücksicht auf Verluste. Dieser Gleichschritt ist nicht darauf ausgelegt, dass alle SuS alles gut verstehen und können.
Wenn man alle Hausaufgaben, Vokabeln etc. nachmittags erledigt, um wenigstens den aktuellen Stoff gut zu können, bleibt eh kaum noch Zeit für Freizeit. Und ohne Freizeit keine Erholung. Wenn man 2 Wochen wegen Krankheit ausfällt, hat man schon ein massives Problem, um nicht abgehängt zu werden. Denn, wenn man krank ist, ist man krank und trotzdem wird erwartet, dass SuS den Stoff können. Muss halt Zuhause nachgeholt werden oder am besten gleich noch während der Krankheit Zuhause erledigt. Und hier gibt es schon LuL, die sich weigern, Vertretungsaufgaben während ihrer Krankheit, bereitzustellen.
Das System ist und macht krank.
“Ich wünschte z.B., viele Schüler würden meine Korrekturen und Kommentare in schriftlichen Arbeiten zum Anlass nehmen, gewisse Inhalte nochmal zu wiederholen.”
Ich wünschte mir das auch, aber nur, wenn es die Zeit erlauben würde.
Jeden Tag kommt eine gewaltige Menge an neuem Stoff aus jedem Fach hinzu. Klausuren, die vor einem Monat oder sogar eineinhalb Monaten geschrieben wurden, geraten schnell in den Hintergrund, weil sich die Schüler längst mit dem neuen Stoff für die nächste Klausur beschäftigen müssen.
Da das Feedback auf schriftliche Arbeiten regelmäßig mit einem Monat bis eineinhalb Monaten Verzögerung kommt, bleibt keine Zeit mehr, sich damit auseinanderzusetzen.
In den Schulen wird auf bereits behandeltes Material nicht mehr zurückgegriffen, es wird nicht wiederholt, und Themen, die einmal abgeprüft wurden, tauchen später nie wieder auf.
In den unteren Klassen ist es noch möglich, dass sich Schüler mit eventuellen Wissenslücken oder Verständnisproblemen auseinandersetzen. Ab der Mittelstufe ,besonders in der Oberstufe bleibt am Gymnasium jedoch keine Zeit mehr dafür.
Drei Klausuren pro Woche, dazu noch Projekte und weitere Tests…da bleibt keine Luft für Wiederholungen.
An der Realschule ist es etwas milder aber nur ein wenig. Nur an der Mittelschule und in der Grundschule bleibt dafür noch Zeit.
Letztendlich läuft es darauf hinaus: Wenn du den Stoff sofort verstehst – super. Wenn nicht – Pech gehabt. Und so geht es de facto das gesamte Schulleben lang, Tag für Tag.
Die Schüler finden unterschiedliche Wege, um sich durch die Absurditäten des Unterrichts, der Anforderungen und der Prüfungen heute zu manövrieren:
Manche teilen sich die Fächer so ein, dass sie in einigen kaum lernen und sich einfach durchmogeln, während sie in anderen etwas mehr investieren, aber irgendwann an ihre Grenzen stoßen.
Andere versuchen, in allen Fächern gute Noten zu halten – mit viel Kaffee und nächtelangem Lernen (eine ganz normale Praxis in der Oberstufe) und greifen dabei jedoch oft auf bulimisches Lernen zurück.
Aber am Ende behält niemand nach dem Schulabschluss mehr als 5 % des gesamten Lernstoffs – das ist Fakt, denn genau so funktioniert das menschliche Gehirn.
Die Schüler verlassen die Schule, ohne einfache Zinsrechnung berechnen zu können, ohne das Wesen der englischen Sprache wirklich zu verstehen, ohne einen Text anständig zu übersetzen oder frei zu sprechen usw. aber sie bestehen ihre Abschlussprüfung, oft mit besten Leistung.
Denn genau so ist das System leider konzipiert. Viel Druck, viel zu viel Stoff und viel Arbeit – de facto um sonst – für alle Beteiligten.
Von all den Bäumen sieht niemand mehr den Wald – weder die Lehrer noch die Schüler.
Die Schulen sind zu einem Selbstzweck geworden – mit echter nachhaltiger Bildung haben sie heute nur noch wenig zu tun.
“Die Schüler verlassen die Schule, ohne einfache Zinsrechnung berechnen zu können, ohne das Wesen der englischen Sprache wirklich zu verstehen, ohne einen Text anständig zu übersetzen oder frei zu sprechen usw. aber sie bestehen ihre Abschlussprüfung, oft mit besten Leistung.”
Für Englisch kann ich Ihnen sagen, dass in meinem Bundesland am Ende des 9., 10. und 13. Jahrgangs Sprechprüfungen (KEINE mündlichen Prüfungen) in den Abschlussprüfungen anstehen. Monologisch und dialogisch ohne Vorbereitungszeit, d.h. die Kids müssen das aus dem Stehgreif hinbekommen.
Wir sind dazu verpflichtet, viel mündlich zu arbeiten. Und das Wesen der englischen Sprache wird man als Schüly eh tendenziell nicht verstehen, wenn man keine Sprachaffinität hat.
BTW: Übersetzen ist eine Kunst für sich. Mein Mann ist staatlich anerkannter Übersetzer, weshalb ich sagen kann, dass Ihre Erwartungshaltung de facto nicht angemessen ist.
In Schule gibt es Sprachmittlung. Da geht es darum, Inhalt sinngemäß in Englisch oder Deutsch wiedergeben zu können.
Mal wieder kann ich sagen, dass Ihre Ausführungen auf mein Bundesland nicht zutreffen.
An meiner Schule ist es nicht so wie Sie es schildern.
„Julia Hahn ergänzt, dass sie als Kultusministerin vor allem mehr Mitspracherechte für Schülerinnen und Schüler einführen würde, da sie selbst am besten wüssten, wie sie lernen wollen und was sie für ihre Zukunft brauchen.“
Wo haben sie das denn gelernt? Ist das angeboren? Brauchen wir dann überhaupt noch Schulen? Oder ist das einfach nur erschreckender Unsinn?
Das ist der Kern (unter anderem) der Montessori-Pädagogik. Gerne hier nachlesen: https://www.news4teachers.de/2024/09/montessori-die-orientierung-am-kind-und-das-selbstregulierte-lernen-begeistern-mich/
Herzliche Grüße
Die Redaktion
…und genau das, liebe Redaktion, ist der Kern des Problems der von der wissenschaftlichen Entwicklungspsychologie höchst umstrittenen entwicklungspsychologischen Anteile der Theorie der Montessori-Pädagogik.
PS: Ich verbleibe in der Hoffnung, dass Sie einen “herrschaftsfreien Diskurs” (Habermas) ermöglichen.
Ihr Quellenverweis auf eine angebliche Umstrittenheit dürfte genau eine relativ jüngst erschienene sein und diese ist in der Tat “höchst umstritten”.
Für gelingende sog. herrschaftsfreie Diskurse sollten übrigens a l l e Ihr Möglichstes beitragen – sollte selbstverständlich sein.
Sooo stimmt das aber nicht: Montessori heißt beileibe nicht “Mach, was Du willst” – sondern:
Gib dem Kind Zeit und Raum und vor allem Orientierung, damit es sich in eigenem Tempo und manchmal auch auf eigenen – aber begleiteten – Wegen entwickeln kann.
Nicht von ungefähr heißt es “Hilf mir, es selbst zu tun!” …das Kind braucht und soll also Hilfe haben (Lehrer, Mitschüler), es soll nicht irgendwas lernen, sondern das, was notwendig ist um weiterzukommen (vorbereitete Umgebung) und es soll selbst aktiv werden (ausprobieren, erfahren, Hand und Kopf nutzen), statt Vorgegebebenes auswendig zu lernen, nachzuplappern, abzuschreiben, für die Prüfung zu lernen.
Es heißt eben nicht “Mach, was Du willst, uns ist es egal!”
Angeboren ist uns als “Säugetier” lediglich die Prädisposition, lernen zu können und für Neues aufnahmefähig zu sein.
Das nutzen viele Reformpädagogen – im Gegensatz zur “alten Schule”.
Schade, dass “Montessori” immer wieder so verkürzt wird.
In der Praxis leider oftmals auch – m.E. nicht gut verstanden, nicht gut gemacht oder unter falschen/fehlenden Voraussetzungen.
Ja, einiges ist nicht mehr “up to date” und erscheint “veraltet”.
Aber trifft das nicht auf das gesamte Bildungssystem zu?
Müssten wir nicht das gesamte Bildungssystem an neue Anforderungen anpassen, statt auf bestimmte, einstmals innovative Ideen einzuprügeln (das meist noch ohne sie wirklich zu kennen, geschweige denn erfahren zu haben)?
Ich würde mir wünsche, die Lösung zu finden zwischen Notwendigkeiten, vorhandenen Ressourcen und guten, bewährten Ansätzen aller Richtungen, die uns insgesamt weiterbringen.
“Montessori heißt beileibe nicht ‘Mach, was Du willst'” – genau das erklärt doch auch Frau Hahn. Gerne nochmal lesen.
Herzliche Grüße
Die Redaktion
Beim Essen wissen Kinder ja auch, was für sie am Besten ist, deshalb haben wir ja die fitteste Jugend eher.
Schokolade, Chips und Energy-Drinks.
Sollte ever statt eher heißen.
Einfach komplett ernst nehmen.
Ist das wirksamste Gegenmittel:
“Verstehe ich gut, dass Du das nicht gelernt hast, da war für Dich sicherlich keine Relevanz erkennbar.”
Schade, dass hier reflexartig die eigene Existenz bedroht zu sein scheint, sobald es um Mitspracherechte oder gar “selbstständiges Lernen” geht.
Ich reagiere auf eine beinahe esoterisch anmutende Interpretation von Mitsprache und Selbstständigkeit, von der ich denke, dass sie nicht im Sinne der Kinder ist – im Gegenteil.
Genialer Beitrag.
Richtige Fragen.
Ich tippe auf “angeboren”.
Noten abschaffen zu wollen rührt wohl daher, dass die erbrachten Schülerleistungen seit Jahren immer mehr zurückgehen. Damit zeigt man: “Eigentlich wollen wir keine Leistung mehr erbringen, sondern in der Wohlfühloase chillen, bis wir die Schule durchlebt haben.”
Nein, daran liegt es nicht, denn auch an Schulen, die durchgängig Noten vergeben, haben sich die realen Schüler*innenleistungen verschlechtern.
Das können Sie den Klagen der hier kommentierenden Gymnasialkräfte entnehmen.
Noten komplett abzuschaffen bedeutet in der Regel, dass die Kids halbjährlich Prüfungen absolvieren müssen, um ihren Kenntnisstand nachzuweisen.
Und zur Folge würde das dann schlussendlich haben, dass alle Aufnahme bzw. Einstellungstest absolvieren und bestehen müssten.
Ich bin ehrlich, tatsächlich würde ich genau so ein System bevorzugen.
Oder eher – meine eigener Anspruch oder die Erwartungen meiner Eltern stressen mich derart, dass ich fix und fertig bin, wenn es nur eine 3 geworden ist….
Man sollte weg von “wie gut kann man was an Tag x” zu “solange lernen, bis man es kann”…
Es geht doch darum, Kindern Dinge beizubringen (oder noch besser: sie zu befähigen, es sich selbst beizubringen) – Endziel sollte also sein, dass das Kind es kann und nicht wie gut auf einer Skala von 1-6. Das müsste unser Anspruch sein!
…Noten werden leider immer noch überbewertet, auch außerhalb von Schuluniversen.
Wie wollen Sie es denn sonst machen? Bedenken Sie dabei, dass Wortzeugnisse faktisch auch nichts anderes sind als Noten. Abgesehen davon wollen sich die allermeisten Kinder mit den anderen messen und vergleichen. Ohne Wettbewerb keine Leistung.
Ich würde da Stefan Ruppaners Konzept bevorzugen. Jeder lernt im eigenen Tempo und wenn man soweit ist, schreibt man einen Gelingensnachweis. Es geht doch nur darum, was zu lernen und nicht um Wettbewerb. Ja, es soll Kinder geben, die Wettbewerb brauchen, aber es gibt auch welche, die das so unter Druck setzt, dass sie krank werden. Es sollte einfach mehr Wahlmöglichkeiten unterschiedlichster Schulformen geben. Alternativem zum Standard sind leider immer noch unterrepräsentiert.
Und das ist Quatsch: “Ohne Wettbewerb keine Leistung.” – das würde ja bedeuten, das LuL garnichts leisten ;-). Wieviel wird denn die Arbeit der LuL gemessen und wieviele werden mit den anderen verglichen – vermissen Sie das? Brauchen Sie das um gute Leistungen zu bringen (alles mal vorausgesetzt, dass Sie Lehrkraft sind).
Würden Sie nicht protestieren, wenn Sie anstatt eines erläuternden Berichtes von Ärzt*innen eine aussagenarme Zahl erhalten würden?
Wohin letztlich krankmachendes Wettbewerbsdenken aka “Schneller, höher und weiter” führt, zeigt sich eindrucksvoll im Substanzmissbrauch, Stichwort Doping.
Schade, dass Sie kooperative Lernenformen komplett ignorieren.
Ein zentrales Diskussionsthema war die Bewertung von Schülerleistungen – Noten abschaffen? Laut Imhäuser gab es dazu zunächst große Meinungsunterschiede. Bemerkenswert: Durch den intensiven Austausch zum Thema veränderten sich die Positionen: „Am Ende sprach sich eine große Mehrheit dafür aus, Noten erst ab der achten oder neunten Klasse einzuführen. Das ist ein klares Signal an die Politik.“ Schülerin Maxi findet die Idee überzeugend: „Also, ich finde das Notensystem insgesamt nicht so gut, weil na ja, du wirst nach dieser einen kleinen Zahl da bewertet. Mehr ist es dann ja auch nicht wirklich.“
Die große Mehrheit hat sich also dafür entschieden, dass man Noten erst in der 8. oder 9. Klasse einführt.
Wir haben ab Klasse 7 Noten, zu dem Zeitpunkt noch gemeinsam mit bekannten schriftlichen Berichten. Bei “Textzeugnissen” finden sich die Kinder immer ganz gut, sobald sie die Noten sehen, gibt es dann lange Gesichter.
Ab der 9. Klasse geht es um erste richtige Abschlüsse. Und in dem Jahrgang will man das erste Mal Ziffernnoten vergeben? Dann gibt es die Noten, wenn es eigentlich schon zu spät ist! – Will das wirklich die Mehrheit so?
Maxi unterstreicht die Forderung, dass die Eigenverantwortung mit dem Alter der Schülerinnen und Schüler zunehmen sollte. Sie erklärt, dass es nicht sinnvoll sei, Jugendlichen kaum mehr Verantwortung für ihr eigenes Lernen zu übertragen als Kindergartenkindern – was aber de facto so sei.
Julia Hahn, die als Pädagogin und ehemalige Montessori-Schülerin einen besonderen Blick auf das Thema mitbringt, betont die Bedeutung flexibler Lernstrukturen. Sie verweist darauf, dass es bereits erfolgreiche Pilotprojekte in Deutschland gibt, bei denen Kinder selbst entscheiden können, wann sie welche Fächer lernen. Sie spricht sich dafür aus, solche Best-Practice-Beispiele stärker zu vernetzen und das Wissen daraus weiterzugeben.
Auch das klingt nach einer tollen Idee:
Wir wollen also z.B. pubertierenden Kindern die Verantwortung geben, ob und wann sie etwas lernen? Außerhalb der Gymnasien sieht man jetzt schon immer mehr “Null-Bock”-Stimmung.
Die SuS, die bei uns ganz eigenverantwortlich “lernen”, sitzen irgendwo auf den Fluren und quatschen. Mit “lernen” hat das nicht viel zu tun.
Warum müssen sich eigentlich die Lehrkräfte immer mehr verbiegen, möglichst viel Service leisten, um den Kindern die größtmögliche Flexibilität zu liefern? Bekommen die Jugendlichen es dann in den Ausbildungsbetrieben auch so geboten?
Ich bin übrigens durchaus dafür, den SuS Verantwortung zu übergeben. Aber es gelingt ja teilweise nichtmal, SuS aus der Oberstufe ihre eigene Kursfahrt (mit-)planen zu lassen. Selbst da muss man als Lehrkraft mit eingreifen, damit die Fahrt überhaupt stattfindet. Oder sollte man in solchen Fällen die Verantwortung bei den fast erwachsenen SuS lassen, auch wenn das bedeutet, dass die Fahrt im Zweifelsfall ausfällt?