WIESBADEN. Die Gewaltkriminalität unter Kindern und Jugendlichen ist 2024 erneut gestiegen – und hat alarmierende Höchststände erreicht. Das geht aus der heute veröffentlichten Polizeilichen Kriminalstatistik hervor. Demnach registrierte die Polizei vor allem eine Zunahme bei tatverdächtigen Kindern, also den unter 14-Jährigen. Die steigende Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen ist auch ein Problem, das Schulleitungen seit Längerem beobachten und Lehrkräfte zunehmend belastet.
Im Zusammenhang mit Gewaltdelikten führte die Polizei 2024 laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) 13.755 Kinder als tatverdächtig. Das waren 11,3 Prozent als im Vorjahr. Ebenso ist die Zahl der tatverdächtigen Jugendlichen gestiegen, und zwar um 3,8 Prozent auf 31.383. Mit Blick auf alle Tatverdächtigen der Gewaltkriminalität machten Kinder der PKS zufolge einen Anteil von sieben Prozent aus, Jugendliche einen Anteil von 15,9 Prozent – ebenfalls Höchstwerte im Langzeitvergleich.
Psychische Belastungen als Risikofaktor
Auf der Suche nach einer möglichen Erklärung der Entwicklung verweist die Kriminalstatistik auf den Anstieg psychischer Belastungen bei Kindern und Jugendlichen. „Psychische Belastungen sind zwar keine direkte Ursache für kriminelles Verhalten, aber im Zusammenwirken mit anderen ungünstigen Faktoren können sie die Wahrscheinlichkeit der Begehung von (Gewalt-)Straftaten erhöhen.“ Als bedeutsame Risikofaktoren, die sich auch gegenseitig verstärken können, nennt die PKS:
- „wirtschaftliche Sorgen und fehlende Teilhabemöglichkeiten“,
- „Gewaltakzeptierende Einstellungen und mit Gewaltverhalten gekoppelte Männlichkeitsnormen“,
- „psychische Belastungen beispielsweise aufgrund von Zukunftssorgen im Zusammenhang mit multiplen gesellschaftlichen Krisen“,
- „häusliche Gewalt oder eine geringe Involviertheit der Eltern in das Leben ihrer Kinder“.
„Die PKS bietet kein exaktes Spiegelbild der Kriminalitätswirklichkeit“
Hinsichtlich der Aussagekraft der Kriminalitätsstatistik mahnt das Bundesinnenministerium jedoch zur Vorsicht: „Die PKS bietet kein exaktes Spiegelbild der Kriminalitätswirklichkeit, sondern eine je nach Deliktsart mehr oder weniger genaue Annäherung an die Realität.“ So können verschiedene Aspekte die Entwicklung der Zahlen beeinflussen, etwa wie häufig Menschen eine Straftat anzeigen oder wie stark die Polizei in einem Bereich kontrolliert und dadurch die Wahrscheinlichkeit erhöht, Delikte aufzudecken. Ebenso können sich wie tatsächliche Kriminalitätssteigerungen oder -rückgänge Änderungen in der Art und Weise, wie die Polizei Delikte erfasst, oder Änderungen im Strafrecht auf die Fallzahlen auswirken.
Allerdings: Die hohe Zahl an Kindern und Jugendlichen unter den Tatverdächtigen von Gewaltdelikten spiegelt auch das Erleben an den Schulen wider. So ergab jüngst eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag des VBE unter Schulleitungen in Deutschland, dass körperliche und psychische Gewalt an ihrer Schule in den vergangenen fünf Jahren eher zugenommen habe (News4teachers berichtete). Das berichteten 60 Prozent der Befragten. Dagegen registrierten gerade einmal vier Prozent einen Rückgang der Gewalt.
Lehrkräfte beschimpft, bedroht, beleidigt, gemobbt oder belästigt
Dabei wurden in den meisten Fällen Schülerinnen und Schüler zu Tätern gegenüber Lehrkräften. So gingen beispielsweise physische Übergriffe in 97 Prozent der Fälle von Schülerinnen und Schülern aus. Auch im Falle von Cybermobbing nannten die Schulleitungen in 72 Prozent der Fälle am häufigsten Schüler*innen als Täter.
„Gewalttaten gegen Lehrkräfte sind keine Einzelfälle“, kommentierte Gerhard Brand, baden-württembergischer Landes- und Bundeschef des VBE, die Ergebnisse. Viele Schulleitungen berichteten in der Umfrage von Fällen, bei denen Lehrkräfte beschimpft, bedroht, beleidigt, gemobbt oder belästigt wurden. Knapp zwei Drittel aller Befragten (65 Prozent) kann sich an einen entsprechenden Fall in den vergangenen fünf Jahren erinnern. An mehr als jeder dritten Schule wurden Lehrkräfte über das Internet bedroht (36 Prozent) oder auch körperlich angegriffen (35 Prozent). Das sind ähnliche Werte wie bei einer Befragung im Jahr 2022. 2018 lagen die Werte deutlich niedriger.
Regelmäßige Grenzüberschreitungen
„Das soziale Klima ist in den letzten Jahren spürbar rauer geworden, das spiegelt sich auch an den Schulen wider“, sagt Brand. Die Daten bestätigten, was viele Lehrkräfte und Schulleitungen immer wieder äußerten: Das soziale Miteinander breche auf, die Empathiefähigkeit bei Kindern und Eltern habe nachgelassen, Konflikte eskalierten häufiger und schneller. „Wir beobachten, dass der Respekt gegenüber schulischen Autoritäten abnimmt und es regelmäßig zu Grenzüberschreitungen kommt“, sagte der Gewerkschaftschef.
Man habe von der Politik Versprechungen gehört, dass das Thema ernst genommen und Chefsache werde. „Wenn die Politik es wirklich so behandelt hat, dann hat sie auf ganzer Strecke versagt“, kritisiert Brand. Von den Kultusministerien forderte er, die Vorfälle überhaupt erst einmal zu erfassen – und betroffene Lehrkräfte besser zu unterstützen. News4teachers / mit Material der dpa