FRANKFURT AM MAIN. In Frankfurt soll eine sanierungsbedürftige Berufsschule übergangsweise in ein Gebäude einziehen, das aktuell von zwei neu gegründeten Gymnasien genutzt wird. Eine effiziente Übergangslösung – könnte man meinen. Doch bei manchen Gymnasialeltern sorgt dieser Plan für Empörung. Eine Onlinepetition ist gestartet, rechtliche Schritte stehen im Raum. Der Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung (BvLB) reagiert fassungslos: Die Äußerungen der Eltern seien „unerträglich“, der Tonfall erinnere an „Kastendenken“.
Was ist passiert? Die Julius-Leber-Schule in Frankfurt, eine Berufsschule mit den Schwerpunkten Gesundheits- und Verkehrsberufe, muss dringend saniert werden. Ihr Gebäude stammt aus dem Jahr 1956 und ist mit Schadstoffen wie Asbest belastet. Der ursprüngliche Plan einer Sanierung im laufenden Betrieb wurde verworfen – zu groß war der Widerstand gegen die damit verbundenen Belastungen.
Nun will Bildungsdezernentin Sylvia Weber (SPD) die Berufsschule für drei Jahre in die „Neue Börse“ in Frankfurt-Bockenheim auslagern – ein ehemaliger Bürokomplex, den die Stadt bereits für 30 Jahre angemietet hat. Dort sind zwei neu gegründete Gymnasien – das Stadtgymnasium und das Neue Gymnasium – im Aufbau. Derzeit sind pro Schule nur ein Jahrgang vorhanden, das Gebäude mit seinen acht Riegeln und 46.000 Quadratmetern ist weitgehend leer. Dennoch schlägt der Plan, die Berufsschule temporär mit einzuquartieren, hohe Wellen.
Ängste, Vorwürfe und eine Petition
„Junge Erwachsene haben ganz andere Themen als Kinder, die elf oder zwölf Jahre alt sind“, sagte der Vorsitzende des Elternbeirats des Stadtgymnasiums, Taskin Tasan, laut Frankfurter Allgemeiner Zeitung. Er sieht das pädagogische Konzept der Schule gefährdet und bezweifelt, dass das Gebäude groß genug für drei Schulen sei. Eine Mutter nannte das Vorhaben „grob fahrlässig“.
Die Onlinepetition, die innerhalb eines Monats immerhin 500 Unterstützer gefunden hat, listet in den dazugehörigen Kommentaren Horrorszenarien auf: Berufsschüler könnten „schlechten Einfluss“ auf die Gymnasiasten haben. Genannt werden „Alkohol, Drogen, Rauchen, Sex und andere ,erwachsene‘ Verhaltensweisen“. Ein Kommentar: „Hier wird die Sicherheit und Entwicklung unserer Kinder riskiert!“
Schulleiter mahnen zur Sachlichkeit
Oliver Schulz, Leiter der Julius-Leber-Schule, zeigt sich betroffen. „Ich habe kein Verständnis für eine Verunglimpfung und Diffamierung meiner Schülerinnen und Schüler“, sagte er gegenüber der FAZ. Auch im Kollegium stoße die Vorverurteilung auf Unverständnis. „Wir werden falsch dargestellt. Mit Ausnahme des Neuen Gymnasiums hat uns niemand gefragt, wer wir überhaupt sind und was wir machen.“
Er verweist auf die gesellschaftliche Bedeutung der Ausbildungsgänge: 72 Prozent der Schüler seien im Gesundheitswesen tätig, etwa in Krankenhäusern oder Arztpraxen. Die übrigen in Verkehrsberufen – bei der Bahn oder bei Logistikunternehmen wie Schenker oder Lufthansa. „Ich möchte, dass unsere Berufsschüler als gleichwertiger, essenzieller Teil der Gesellschaft anerkannt werden, und nicht als Menschen zweiter Klasse.“
Auch Nils Franke, Schulleiter des Neuen Gymnasiums, wirbt um Verständnis. Er sieht die Herausforderungen, aber auch die Chancen: „Es ist nicht ohne, wenn drei Systeme auf engem Raum ineinandergreifen. Man muss Vereinbarungen treffen, damit das gut läuft.“ Versetzte Pausenzeiten, getrennte Toiletten und eine gesonderte Mensanutzung seien denkbar. Franke: „Ich glaube, es ist machbar. Für drei bis dreieinhalb Jahre geht das auf.“ Allerdings müsse die Stadt den Zeitplan einhalten – Verzögerungen wie beim Bau der Turnhalle schürten Zweifel.
Lehrer-Verband: „Berufsschüler sind Teil der Lösung“
Die schärfste Reaktion kommt vom Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung (BvLB). In einer Pressemitteilung zeigen sich die Bundesvorsitzenden Pankraz Männlein und Sven Mohr empört über das Narrativ, das in der Petition mitschwingt. Sie schreiben: „Prononcierte Äußerungen in Richtung Berufsschule und ihre Schülerschaft sind für den Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung (BvLB) und seine Mitglieder unerträglich!“
Und weiter: „Wie kann es sein, dass junge Erwachsene, die sich wie an der Julius-Leber-Berufsschule in Frankfurt mitten in einer qualifizierten Berufsausbildung befinden – viele davon im Gesundheitswesen oder in systemrelevanten Verkehrsberufen –, pauschal als potenzielle Gefahr für Gymnasiastinnen und Gymnasiasten dargestellt werden?“ Die Bundesvorsitzenden rücken das Bild zurecht: „Berufsschülerinnen und Berufsschüler sind keine Problemfälle – sie sind Teil der Lösung. Sie tragen Verantwortung im Berufsalltag, sie stemmen Versorgung, Transport, Pflege und Organisation. Sie halten, oft unsichtbar, unsere Gesellschaft am Laufen – jetzt und in Zukunft.“
Was sich in der Frankfurter Debatte zeige, sei ein „alarmierendes Maß an Bildungsdünkel und sozialer Distanzierung“: „Es irritiert, dass Eltern ausgerechnet in einem so zentralen Bildungsort wie Frankfurt suggerieren, Gymnasiastinnen und Gymnasiasten müssten vor Berufsschülerinnen und Berufsschülern geschützt werden – als seien letztere Menschen ‚zweiter Klasse‘. (…) Dabei wäre genau das Gegenteil wichtig: Begegnung. Miteinander. Respekt.“
Und schließlich der Appell: „Lassen wir uns nicht von diffusen Ängsten oder diffamierenden Äußerungen leiten. Statt Mauern zu errichten, sollten wir Brücken bauen – zwischen Schulformen, Lebenswegen und Milieus. Denn nur so funktioniert eine demokratische, inklusive und zukunftsfähige Gesellschaft.“
Das Bildungsdezernat will nach den Sommerferien eine endgültige Entscheidung treffen. New4teachers