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“Alarmierende Fakten”: Jede dritte Lehrkraft krankgeschrieben – wegen Überlastung

HANNOVER. Die Situation an Niedersachsens Schulen spitzt sich dramatisch zu – nicht nur organisatorisch, sondern auch gesundheitlich: Laut einer aktuellen Umfrage des Philologenverbands (PHVN) war bereits jede dritte Lehrkraft aufgrund schulisch bedingter Überlastung krankgeschrieben. Das Ergebnis ist aus Sicht des PHVN ein alarmierendes Signal für das Bildungssystem – und ein vernichtendes Urteil über die Arbeit von Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne).

Ausgebrannt. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

„Unsere Befragung hat gezeigt, dass die Arbeitsbelastung an den Schulen deutlich zugenommen hat und mehr als Dreiviertel bestätigen, dass sich ihre Arbeitsbedingungen in den letzten fünf Jahren verschlechtert haben. Das sind alarmierende Fakten“, erklärte der PHVN-Vorsitzende Dr. Christoph Rabbow. Besonders gravierend: Mehr als 80 Prozent der Befragten gaben an, gesundheitliche Auswirkungen wie Schlafstörungen, Gereiztheit oder chronischen Stress zu spüren. Fast ein Drittel leidet nach eigenen Angaben sogar unter stressbedingten Erkrankungen. Rund 1.700 Lehrerinnen und Lehrer, überwiegend von Gymnasien, hatten an der Befragung teilgenommen.

„Besonders bedenklich ist, dass sich unsere Lehrkräfte von Politik und Schulverwaltung nicht wahrgenommen fühlen und zu großen Teilen gesundheitliche Auswirkungen durch ihre Arbeit hinnehmen müssen. Dies ist ein Zustand, den wir so nicht hinnehmen können“, so Rabbow. 88 Prozent der Befragten attestierten Politik und Verwaltung, ihre Belastungen schlicht zu ignorieren. Rabbow: „Es muss Schluss sein mit der Selbstbeweihräucherung der Landesregierung, was bereits geschafft worden sei. Es muss Schluss sein mit dem Denken in Legislaturperioden und der Konzeptlosigkeit in der Bildungspolitik.“

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Gefährdungsanzeigen im Abiturzeitraum – Lehrkräfte haben Angst vor Konsequenzen

Die Belastung sei nicht gleichmäßig über das Jahr verteilt, so die Ergebnisse der Umfrage. Besonders kritische Phasen seien die Zeit zwischen Ostern und Pfingsten (73 Prozent) sowie die Wochen zwischen Herbstferien und Weihnachten (55 Prozent) – also genau die Zeiträume, in denen Abiturvorklausuren und -prüfungen stattfinden. Viele Lehrkräfte nannten die kurzen Korrekturfristen in dieser Phase „unzumutbar“.

Dass in den vergangenen Monaten vermehrt Gefährdungsanzeigen von Lehrkräften während der Abiturzeit öffentlich geworden waren, wertet Rabbow vor diesem Hintergrund als systemisches Problem. „Es bestätigt sich, dass unsere Kolleginnen und Kollegen insbesondere in der Zeit der Abiturvorklausuren und des Abiturs erheblichen Belastungen ausgesetzt sind. Die Folgerung der Kultusministerin, dass es sich bei den Gefährdungsanzeigen um Einzelfälle handele, können vor dem Hintergrund unserer Ergebnisse neu eingeordnet werden.“

Besonders bedenklich: Fast 60 Prozent der Befragten gaben an, dass sie aus Angst vor Nachteilen – etwa Einträgen in die Personalakte, einem schlechten schulischen Standing oder Nachteilen bei Beförderungen – darauf verzichten, eine offizielle Gefährdungs- oder Überlastungsanzeige abzugeben. „Diese Zahlen zeigen, dass unsere Lehrkräfte offenbar große Bedenken haben, ihre Arbeitsbelastung öffentlich zu machen. Ein bedenklicher Befund“, so Rabbow.

Was helfen könnte: kleinere Klassen, weniger Bürokratie, klare Regeln für Teilzeit

Die Umfrage zeigte auch, welche Maßnahmen Lehrkräfte als entlastend empfinden würden:

Der PHVN hat daraus einen 5-Punkte-Plan entwickelt:

  1. Senkung der Kurs- und Klassengrößen (maximal 20 Schüler in der Oberstufe, 25 in der Mittelstufe).
  2. Einstellung von Verwaltungsassistenzen und perspektivisch Nutzung von KI-Systemen zur Entlastung.
  3. Mehr Entlastungsstunden für Oberstufenlehrkräfte und Streichung der Minusstunden-Zählung nach dem Abitur.
  4. Ausgleich der Mehrarbeit von Teilzeitlehrkräften durch zusätzliche Anrechnungsstunden.
  5. Konsequente Umsetzung der Erlasslage, dass Teilzeitkräfte nur anteilig an Konferenzen, Aufsichten und Abiturkorrekturen teilnehmen müssen.

„Wir brauchen, besonders vor dem Hintergrund der ansteigenden Schülerzahlen, jede Lehrkraft im System. Frau Hamburg muss die Belastungen deutlich reduzieren, um vorhandene Potenziale zu erhalten und neue zu heben. Wertschätzung und Attraktivitätssteigerung dürfen nicht bloße Floskeln bleiben, sondern müssen aktiv mit Leben gefüllt werden“, forderte Rabbow.

12.000 zusätzliche Lehrkräfte notwendig – Numerus Clausus abschaffen?

Um diese Entlastungen umzusetzen, müsste das Land deutlich mehr Personal gewinnen. Der Philologenverband schätzt, dass Niedersachsen bis 2032 rund 12.000 zusätzliche Lehrkräfte braucht – allein um Pensionierungen und steigende Schülerzahlen auszugleichen.

Daher fordert der Verband auch einen radikalen Schritt: die Abschaffung des Numerus Clausus für das Lehramtsstudium. Zugleich solle ein Mentoringsystem für Lehramtsstudierende eingeführt werden, um die Abbrecherquote zu senken.

Das Kultusministerium selbst rechnet damit, dass die Schülerzahl in Niedersachsen von derzeit rund 898.000 bis 2034 auf mehr als eine Million ansteigt. Zwar würden in diesem Jahr voraussichtlich 772 Lehrkräfte mehr eingestellt, als in Pension gehen – Kultusministerin Julia Willie Hamburg räumte jedoch erst kürzlich ein, dass der Fachkräftemangel damit „längst nicht gebannt“ sei. News4teachers / mit Material der dpa

Studie: Mehrzahl der Lehrkräfte ist – aufgrund von Überlastung – höherem Gesundheitsrisiko ausgesetzt

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