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Höchststand bei Lehrkräften in Teilzeit (“weil sie sonst an Grenzen kämen”)

WIESBADEN. Immer mehr Lehrkräfte in Deutschland arbeiten in Teilzeit – im Schuljahr 2023/2024 waren es 43,1 Prozent, wie aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen. Eine Extrawurst für Lehrerinnen und Lehrer, wie reflexhaft viele mutmaßen werden? Eher nicht: Die vergleichsweise hohe Quote hat nachvollziehbare Gründe – und die Einschränkung von Teilzeit könnte den Lehrkräfte-Mangel sogar noch verschärft haben.

Vor allem Lehrerinnen arbeiten in Teilzeit. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

„Es gibt genügend Lehrkräfte, die freiwillig in Teilzeit arbeiten, weil sie sonst an ihre psychischen und physischen Grenzen kämen. Eine Einschränkung dieser Möglichkeit wäre ein Frevel“, erklärte VBE-Bundesvorsitzender Gerhard Brand im März 2023.

Der Satz beschreibt einen Trend, der sich seitdem noch verstärkt hat: Im Schuljahr 2023/2024 arbeiteten nach Angaben des Statistischen Bundesamts 43,1 Prozent der Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen in Teilzeit – ein neuer Höchstwert. Im Vorjahr waren es noch 42,3 Prozent. Bei den Lehrerinnen lag der Anteil bei 50,7 Prozent, bei den Lehrern bei 22,6 Prozent. Zum Vergleich: In der Gesamtwirtschaft arbeiten 30,9 Prozent der Beschäftigten in Teilzeit – aller Beschäftigten wohlgemerkt.

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„Weil im Lehrberuf der Frauenanteil so hoch ist, fällt auch die Gesamtquote aller Lehrkräfte höher aus – ohne dass dafür besondere Privilegien verantwortlich wären“

Teilzeit von Lehrkräften ist ein Politikum – in Zeiten des Lehrkräftemangels. Eine entscheidende Rolle in der politischen Debatte spielte ein Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz aus dem Januar 2023. Darin war von einer Teilzeitquote von „rund 47 Prozent“ die Rede – deutlich höher als im Durchschnitt aller Beschäftigten. Ein Privileg wurde in den Raum gestellt. Mehrere Kultusministerien nahmen diese Zahl zum Anlass, über Einschränkungen der Teilzeitmöglichkeiten nachzudenken oder diese einzuführen.

Doch kurz darauf stellte der Bildungsforscher Prof. Klaus Klemm klar, dass diese Berechnung nicht haltbar war. Die SWK habe neben hauptamtlichen Lehrkräften auch stundenweise Beschäftigte – etwa Geistliche, Tanzlehrer oder Handwerksmeister – in die Quote einbezogen, die nicht verpflichtet werden könnten, mehr zu arbeiten. „Die Teilzeitquote bei Lehrern liegt nicht bei rund 47 Prozent, wie es in den Empfehlungen der SWK heißt, sondern laut Statistischem Bundesamt bei 41“, sagte Klemm.

Klemm erklärte dazu, dass die im Vergleich immer noch recht hohe Teilzeitquote im Lehrberuf vor allem mit dem hohen Frauenanteil zusammenhängt: Rund 70 Prozent der Lehrkräfte sind Frauen – in der Gesamtwirtschaft liegt der Anteil bei 47 Prozent. Frauen arbeiten insgesamt deutlich häufiger in Teilzeit als Männer: Laut Statistischem Bundesamt lag die Quote 2020 bei allen beschäftigten Frauen bei 48 Prozent, bei Lehrerinnen bei rund 47 Prozent (also annähernd gleich). Der gesamtwirtschaftliche Durchschnitt aller abhängig Beschäftigten – Männer und Frauen – liegt dagegen nur bei 29 Prozent Teilzeitquote. „Weil im Lehrberuf der Frauenanteil so hoch ist, fällt auch die Gesamtquote aller Lehrkräfte höher aus – ohne dass dafür besondere Privilegien verantwortlich wären“, so Klemm.

SWK-Vorsitzender Prof. Olaf Köller räumte daraufhin ein, „stärker differenzieren“ zu müssen. Ohne stundenweise Beschäftigte und Referendare liege die Quote bei etwa 40 Prozent. Eine grundlegende Neubewertung lehnte er jedoch ab.

Trotz dieser Korrektur setzten mehrere Bundesländer die SWK-Empfehlung in unterschiedlichem Maße um. Baden-Württemberg beispielsweise kündigte im Frühjahr 2023 verschärfte Regeln für Teilzeit an. Andere Länder legten höhere Hürden für neue Anträge fest oder appellierten an Lehrkräfte, ihre Stunden freiwillig zu erhöhen. Wieder andere beließen es beim bisherigen Verfahren. In den aktuellen Zahlen spiegelt sich dieser Kursunterschied wider: Hamburg verzeichnet im Schuljahr 2023/2024 eine Teilzeitquote von 55,0 Prozent, Bremen von 52,2 Prozent, Baden-Württemberg von 50,1 Prozent. Am anderen Ende liegen Thüringen mit 23,0 Prozent und Sachsen-Anhalt mit 23,1 Prozent.

Für Tanja Küsgens, Bundessprecherin der Frauen im VBE, liegen die Hauptgründe für Teilzeit unter Lehrkräften auf der Hand. Im März 2023 sagte sie: „Teilzeit ist vielfach weiblich. Wer Teilzeit im Lehrberuf einschränkt, greift in die Selbstbestimmung von Frauen ein.“ Viele Lehrkräfte übernähmen weiterhin den Hauptteil der Care-Arbeit oder pflegten Angehörige. Einschränkungen würden die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verschlechtern – und wohl noch mehr Lehrerinnen aus dem Beruf drängen.

Umfrage der Robert Bosch Stiftung – „Das Deputatsmodell ist ein überkommenes Modell“

Ohnehin ist es mehr als fraglich, ob Einschränkungen der Teilzeitmöglichkeiten im Lehrkräfteberuf tatsächlich für mehr Arbeitsaufkommen sorgen – oder, über höhere Krankenstände zum Beispiel, dieses Volumen womöglich sogar noch verringern. Umfragen legen das jedenfalls nahe.

Eine repräsentative Befragung für das Deutsche Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung vom Juni 2023 zeigt zum Beispiel, dass zwei Drittel der befragten Teilzeit-Lehrkräfte bereit wären, ihre Arbeitszeit zu erhöhen. Bei den über 40-Jährigen waren es sogar 73 Prozent. Die entscheidende Bedingung: Die Abkehr vom sogenannten Deputatsmodell, das nur die Zahl der zu haltenden Unterrichtsstunden erfasst und alle anderen Tätigkeiten weitgehend ignoriert. „Das deutsche Deputatsmodell ist ein überkommenes Modell“, sagte seinerzeit Dagmar Wolf von der Stiftung (News4teachers berichtete).

Laut der Umfrage wünschen sich 73 Prozent der Befragten ein Arbeitszeitmodell, das auch außerunterrichtliche Aufgaben wie Teamzeiten, Fortbildungen oder Elternarbeit vollständig erfasst. Hinzu kommen organisatorische Belastungen, die unabhängig vom Deputat anfallen – etwa Verwaltungsarbeit, die Zeit frisst, ohne dass sie im Stundenplan sichtbar wird. Wolf warnte ausdrücklich davor, Teilzeit zu beschneiden: „In unserem aktuellen Schulsystem wird der Lehrkräftemangel nicht dadurch behoben, dass Teilzeit-Lehrkräfte mehr arbeiten. Der Arbeitsplatz Schule muss wieder attraktiver werden. Dazu gehört, die Sorgen der Lehrkräfte ernst zu nehmen und auf ihre Reformforderungen einzugehen.“

Umfrage des Bayerischen Philologenverbands – „Klarer könnte das Ergebnis nicht sein“

Eine bereits im Sommer 2022 durchgeführte Umfrage des Bayerischen Philologenverbands unter fast 5.000 Mitgliedern kam zu ähnlichen Ergebnissen. Auch hier gaben viele Teilzeit-Lehrkräfte an, sie könnten sich eine Aufstockung vorstellen – aber nur unter klaren Bedingungen. Entscheidend sei, dass zusätzliche Unterrichtsstunden nicht automatisch zu mehr außerunterrichtlichen Aufgaben führten. Der Verbandsvorsitzende Michael Schwägerl formulierte es so: „Klarer könnte das Ergebnis nicht sein: Die Kolleginnen und Kollegen wollen unterrichten und möchten dafür ausreichend Zeit haben.“ (News4teachers berichtete auch darüber.)

Genannt wurden unter anderem zusätzliche Projekte, geforderte Konzepte, externe Evaluationen, Fachsitzungen, Schulveranstaltungen und Dienstbesprechungen, die den Unterricht zunehmend in den Hintergrund drängten. Dazu kamen mehr Vertretungen und ein erhöhter Korrekturaufwand, insbesondere nach krankheitsbedingten Ausfällen. Schwägerl forderte deshalb mehr Unterstützungskräfte an Schulen und eine deutliche Entlastung von Verwaltungsaufgaben.

VBE-Chef Brand stieß in dieselbe Kerbe: „Was wir wirklich brauchen, sind Entlastung von Verwaltungsaufgaben, Unterstützung durch multiprofessionelle Teams und eine auskömmliche Finanzierung aller Aufgaben, die Schule umsetzen soll.“ News4teachers / mit Material der dpa

“Krise führt dazu, dass wir handeln müssen”: Druck auf Teilzeit-Lehrkräfte steigt

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