Ein Kommentar von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.
Schaden von den Grundschülern abwenden? Verachtung für Kinder? Esoterische Unterrichtsmethode? Wohlgemerkt: Die Rede ist hier von der Arbeit der Grundschullehrkräfte in Deutschland.
Um die mal richtig einzuordnen: Die deutschen Grundschulen, die internationalen Vergleichsstudien TIMSS und IGLU belegen das, gehörten – anders als die vom PISA-Schock gebeutelten weiterführenden Schulen – 15 Jahre lang zur Weltspitze, bevor deutsche Viertklässler in den vergangenen Jahren tatsächlich leichte Leistungseinbußen zeigten, während andere Staaten davonzogen. Übrigens auch in Mathematik, was mit „Lesen durch Schreiben“ ja nun gar nichts zu tun haben kann. In den vergangenen Jahren hat es allerdings in Deutschland keineswegs eine „flächendeckende Einführung“ von „Lesen durch Schreiben“ gegeben, wie der „Welt“-Kommentar nahelegt. Im Gegenteil. Tatsächlich haben einige Bundesländer, zuletzt Baden-Württemberg, ihren Grundschullehrern die Methode bereits verboten. Wie die dann für die Leistungseinbußen der jüngsten Zeit verantwortlich sein können, ist mir ein Rätsel.
Sehr viel wahrscheinlichere Ursachen sind doch wohl Entwicklungen, die die Grundschulen in den letzten Jahren mit voller Wucht getroffen haben: die Inklusion vor allem, aber auch die Aufnahme von Flüchtlingskindern und anderen sprachlich förderbedürftigen Schülern. Auch die dank des Wirtschaftsbooms drastisch gestiegene Erwerbstätigenquote unter Frauen mag ihren Einfluss haben – viele Mütter fallen als Förderkräfte am Nachmittag aus. Stattdessen eine einzelne Lehrmethode für Leistungsdefizite verantwortlich zu machen, ist für Politiker bequem. Dann sind eben die Lehrer schuld, und nicht die völlig unzureichende Ressourcenausstattung der Schulen. „Schwarzer Peter“ heißt das Spiel.
Und es verfängt. Beim Bildungsbarometer des Münchner ifo-Instituts, der umfassendsten Umfrage zur Schulpolitik in Deutschland also, lehnt eine Mehrheit der Deutschen „Schreiben nach Gehör“ ab. Dabei dürfte es kaum jemanden geben, der überhaupt erklären könnte, was es mit der Methode auf sich hat. Die mediale Berichterstattung beschränkt sich meist auf Zerrbilder, siehe oben.
Vor den Karren gespannt
Umso unverständlicher, dass sich auch Lehrer – genauer: der Philologenverband und der Deutsche Lehrerverband – vor den Karren spannen lassen. Sie müssten eigentlich wissen, dass Eltern und Politiker kaum die richtigen Instanzen sind, um fachgerecht über pädagogische Kernkompetenzen – und dazu gehören Unterrichtsmethoden zweifellos – zu urteilen. Wenn der Damm jetzt bricht, können sich auch Gymnasiallehrer nicht mehr sicher sein, dass nicht bald auch ihre Methoden öffentlich verhackstückt werden: Frontalunterricht verbieten? Die Klagen der Universitäten über kaum studierfähige Abiturienten könnten das nahelegen. Gruppenarbeiten verbieten? Bestimmte Sitzordnungen verbieten? Warum nicht? Auch dazu werden sich sicher bald Studien finden lassen, die einen Zusammenhang zum Lernerfolg erkennen lassen. Ein Germanistik-Professor will unlängst ja auch herausgefunden haben, dass ein Lehrer, der sich von seinen Schülern duzen lässt, negativen Einfluss auf die Rechtschreibung hat. Welches Verbot sich daraus ableiten lässt, liegt auf der Hand.
Es geht hier nicht darum, die Ergebnisse der aktuellen Studie der Universität Bonn – Auslöser der aktuellen Debatte – in Zweifel zu ziehen. Es kann gut sein, dass die Wissenschaftler Recht haben und der klassische „Fibel“-Unterricht im Schnitt bessere Rechtschreib-Ergebnisse hervorbringt als „Lesen durch Schreiben“. Damit ist aber weder etwas darüber ausgesagt, wie viele Grundschulen in Deutschland „Lesen durch Schreiben“ überhaupt in Reinform verwenden (Praktiker sagen: sehr wenige). Noch bedeutet der Befund, dass die Fibel für jeden einzelnen Schüler die beste Unterrichtsmethode ist. Wichtig ist also eine seriöse Einordnung der Studie. Wie es überhaupt darum geht, die Erkenntnisse der Bildungsforschung systematisch in die Schulen zu tragen. Dass es daran hapert, das legen jüngst erschienene Berichte über eine völlig unzureichende Qualität der Lehrerfortbildung nahe (News4teachers berichtete).
Lange Rede, kurzer Sinn: Das Verbot einer Lehrmethode löst keine Bildungsprobleme – es schafft neue. Unterrichtsmethoden werden endgültig der fachlichen Expertise von Lehrkräften entzogen und politisiert. Dabei brauchen Lehrer, das macht der berühmteste Bildungsforscher der Welt, John Hattie, immer wieder deutlich, ein großes Methodenrepertoire, um auf unterschiedliche Lernsituationen angemessen reagieren zu können. Sie müssen allerdings auch in der Lage sein, die Ergebnisse ihres Methodeneinsatzes kritisch zu überprüfen und ihren Unterricht zu evaluieren. Ihnen dafür Zeit und das nötige Know-how zu geben, das wäre ein Ziel, mit dem sich die Schulen in Deutschland voranbringen ließen.
Am Rande: In diesen Tagen fand in Düsseldorf der Deutsche IT-Leiter-Kongress statt. Ein wesentliches Thema: der Fachkräftemangel – und eine Schulbildung, die an den Bedürfnissen einer zunehmend digitalen Gesellschaft völlig vorbei geht. Referenten malten das Bild von Deutschland als einem automobilen Technik-Museum an die Wand, das den Anschluss an neue Entwicklungen und Kommunikationswege völlig zu verlieren droht. Und wir streiten in der Bildung vor allem über – deutsche Rechtschreibung? Mmmm.
Auch auf der Facebook-Seite von News4teachers wird das Thema hitzig diskutiert.