BRAUNSCHWEIG. Noch in diesem Jahr sollen die ersten Gelder aus dem Digitalpakt Schule fließen. Doch bis das digitale Lehren und Lernen Routine wird, dürfte es noch eine weiter Weg sein. Über fünf Jahre haben Wissenschaftler einen Modellversuch an einem Braunschweiger Gymnasium begleitet. Besonders das Unterrichtsmaterial hat sich dabei als Knackpunkt erwiesen.
Die anstehende, massive Digitalisierung der Schulen schafft Verunsicherung. Wie soll die technische Ausstattung aufgebaut und genutzt werden, um die Chancen des Einsatzes digitaler Medien im Unterricht bestmöglich zu nutzen? Wo sind die Grenzen? Wie können digitale Medien so in den Unterricht integriert werden, dass der Einsatz der Technik kein Selbstzweck ist? Fragen, die Lehrer, Schulleiter und Verantwortliche bis in die Ministerien hinein bewegen.
Über eine mittlerweile mehr als siebenjährige Erfahrung verfügt das Braunschweiger Raabegymnasium. Mit Unterstützung einer örtlichen Stiftung konnte das Gymnasium bereits 2012 jahrgangsweit in der siebten Klasse Tablet-Notebook-Hybride, sogenannte 2in1-Geräte einführen. Fünf Jahre lang begleitete das Georg-Eckert-Institut – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung (GEI) diesen Prozess, führte Unterrichtsbeobachtungen durch und interviewte regelmäßig Schüler, Lehrer und Eltern zu ihren Erfahrungen im Umgang mit der Technik. Besonders wichtig sei dabei gewesen, so Institutsleiter Eckhardt Fuchs, „zu untersuchen, wie die beteiligten Akteure die Chancen und Herausforderungen von digitalen Medien bewerten“.
Lehrern kommt beim Einsatz digitaler Medien eine zentrale Rolle zu, erklärt GEI-Projektleiterin Annekatrin Bock. „Lehrer, die besonders kompetent mit Tablets umgehen, loslassen und den Lernenden Eigenverantwortung zugestehen, werden mit positiven Unterrichtsergebnissen belohnt“. Dafür sei eins besonders wichtig: der souveräne, pädagogisch-didaktische Umgang mit digitalen Medien müsse bereits in der Lehrerbildung und –Weiterbildung einen größeren Stellenwert erhalten.
Die Einzelergebnisse der Studie zeigten, Bock zufolge, dass in diesen Zeiten medialen Wandels Unsicherheit herrsche. In den Rückmeldungen spiegele sich in großen Teilen oft die Sorge, ob das eigene Vorgehen der ‚richtige‘ Weg für die Digitalisierungsprozesse an Schulen sei“. Außerdem nutze sich das Motivationspotenzial der Geräte im Unterricht ab; langfristig müsse eine kreative Idee für interessanten Unterricht mit digitalen Medien treten. Mediennutzung um ihrer selbst willen, demotiviere die Schüler und werde den Potenzialen der Technik nicht gerecht.
Hinsichtlich der technischen Ausstattung wechselte die Schule Im Laufe des Versuchs, von Schulrechnern zu einem elternfinanzierten 1:1 Ausstattungsmodell, wobei keine Festlegung auf ein bestimmtes Gerätemodell erfolgte. Die Ersteinrichtung mit entsprechend vorbereitetem, selbstentwickelten Installationsstick übernahm weiterhin die Schule, ebenso den Support bei kleineren technischen Problemen. Darüber hinaus waren die Eltern verantwortlich. Wurden die Geräte zu Hause vergessen, arbeiteten die Schüler teilweise mit dem Smartphones als Ersatzgeräten im Unterricht. Das Nebeneinander verschiedener technischer Optionen führte dazu, dass mittlerweile im Klassenraum in Bezug auf Hardware, Betriebssystem oder verfügbare Software viele unterschiedliche Geräte vorhanden sind. Der Großteil der anfänglichen technischen Schwierigkeiten ist nach Angaben des Medienbeauftragten der Schule allerdings überwunden. Es stehe eine Reihe unterschiedlicher Optionen zur Verfügung, etwa schulische Notebooks im Medienwagen, PCs in Computerräumen, Laptop und Beamer sowie interaktive Whiteboards in den meisten Klassenräumen. Die Schule arbeitet mit einem Schulserver als Kommunikationsplattform. Seitdem der Schulträger WLAN-Access-Points nachgerüstet habe und darüber hinaus ein vom Fachbereich der Stadt verwaltetes WLAN-Netzwerk etabliert wurde, gebe es aus Sicht der Schule keine Probleme mehr mit dem WLAN.
Von den meisten Lehrern wurden die mobilen Endgeräte vor allem als punktuelle Bereicherung für den Unterricht empfunden, etwa um unkompliziert und ohne Folien- oder Kopierkosten Fotos, Grafiken oder Statistiken aus aktuellen Onlinequellen für die Veranschaulichung des Unterrichtsthemas einzusetzen. Aus ihrer Sicht stand bei dem Modellversuch vor Allem die Frage nach dem Mehrwert und Mehraufwand der Geräte für die Unterrichtsvorbereitung und –umsetzung im Mittelpunkt.
Der Mehrwert sei dabei durchgängig auch mit Mehraufwand verbunden gewesen. So waren die Lehrer stets auch für den Fall vorbereitet, dass die Technik unter Umständen nicht funktionierte. Als erschwerend für den Aufbau von Nutzungsroutinen und Unterrichtsszenarien werteten sie den Wechsel zwischen unterschiedlichen technischen Lösungen in verschiedenen Klassenräumen.
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Deutlich wurde besonders der Wunsch nach klareren Strukturen bei der Einführung und Verwendung von mobilen Endgeräten. Auch bei der Auswahl aus der Vielzahl digitaler Angebote wünschten sich einige mehr Unterstützung.
Die Schüler zeigten sich mit dem Einsatz der mobilen Endgeräte noch weitgehend unzufrieden. So würden Geräte bisher nur selten im Unterricht eingesetzt und dabei meist einseitig für bestimmte Office-Anwendungen und Onlinerecherche genutzt. Insgesamt vermissten die Schüler Möglichkeiten zu kreativen Tätigkeiten im Unterricht, etwa Bild- oder Videobearbeitung. Viele Schüler formulierten in der Befragung das Bedürfnis, stärker eigenverantwortlich mit den Geräten umgehen zu dürfen, zum Beispiel selber entscheiden zu können, ob sie handschriftliche oder digitale Notizen machen.
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Bei technischen Pannen wünschten sie sich andererseits zwar mehr Unterstützung durch die Lehrer schätzten deren Kompetenz aber als eher gering ein. Oft hätten Mitschüler besser helfen können. Ein Teil der befragten Schüler schlägt daher aus eigener Einschätzung Fortbildungen und Workshops für die Lehrenden vor.
Eine stärkere Verbindlichkeit der Gerätenutzung für das digitale Lehren und Lernen wünschten sich auch die befragten Eltern. „Sehr deutlich“, so der Projektbericht formulierten sie die Erwartung, das Lehrer durch Fortbildungen oder Workshops besser dazu befähigt werden, mit den mobilen Endgeräten im Unterricht zu arbeiten. Den Preis der 2in1-Geräte und schätzen die meisten Befragten im Verhältnis zur Qualität und Nutzungshäufigkeit der Geräte als zu teuer ein.
Stark kritisierten die Lehrer, wie auch Eltern und Schüler, die bisher verwendeten digitalen Schulbücher. So wurde der Weg zum Öffnen der Bücher auf den mobilen Endgeräten bisher noch als langwierig und umständlich empfunden. Dabei habe sch als besonders problematisch erwiesen, das jeder Verlag ein anderes Verfahren des Online-Zugangs habe und zum Teil für die Arbeit mit dem Buch eine Onlineverbindung zwingend notwendig sei. Diese Umstände wurden als „lästig“ empfunden, was dazu führte, dass die analogen den digitalen Schulbüchern vorgezogen wurden. Insgesamt seien die Anbieter aus Perspektive der Nutzer bisher noch zu zögerlich bei der Bereitstellung einfach zugänglicher und multimedial nutzbarer digitaler Schulbücher.
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Der Mehrwert der Verwendung digitaler Bücher entstand aus Lehrersicht erst dadurch, dass Verlinkungen zu anderen Bildern, Videos oder Dateien möglich seien. Statische, pdf-ähnliche Versionen von Schulbüchern seien dagegen wenig sinnvoll. Schüler kritisierten besonders, dass die Arbeit mit den Büchern auf den zuweilen kleinen Anzeigeflächen kein Lesevergnügen sei. Zu oft müssten digitale Buchseiten auf dem Gerät umständlich hin und hergeschoben oder vergrößert und verkleinert werden um sie zu lesen.
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Auch wenn es sich beim untersuchten Modellversuch um ein sehr konkretes Szenario handele, ließen sich aus Sicht der Forscher eine Reihe von Handlungsimplikationen ableiten, die auch nach dem Digitalpakt-Beschluss noch Aktualität besitzen dürften. Im Kern liefen diese besonders darauf hinaus, Schulen zunächst derart auszustatten, dass sie ohne ‚technischen Bruch‘ Unterricht mit digitalen Medien so umsetzen können, wie er zuvor mit analogen Medien ablief. Erst wenn die strukturelle Ausgangsbasis geschaffen sei und Nutzer mobiler Endgeräte keine Gedanken mehr auf den alltäglichen Gebrauch der Geräte verwenden müssen, würden Kapazitäten frei, um tatsächlich neue, zukunftsträchtige Lehr- und Lernszenarien zu entwickeln. Konkret sei durch die Bildungspolitik ein Handlungsrahmen zu schaffen, in dem sich die Lehrer und Schüler auf das zu konzentrieren könnten, was für sie zähle: das digitale Lehren und Lernen. (zab, pm)
• Die Studie ist als kostenloser Download im Repositorium des Georg-Eckert-Instituts erhältlich
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