Interview: „Das Tippen am Computer kann das Handschreiben nicht ersetzen“

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BERLIN. Immer mehr Schülerinnen und Schüler haben Probleme mit dem Handschreiben – sagen ihre Lehrerinnen und Lehrer. Eine aktuelle Umfrage des VBE und des Schreibmotorik Instituts unter mehr als 2.000 Lehrkräften aus ganz Deutschland liefert diesen Befund (News4teachers berichtete). Warum die Entwicklung so problematisch ist und was dagegen getan werden kann, erläutert Dr. Marianela Diaz Meyer, Ergonomie-Expertin und Geschäftsführerin des Schreibmotorik Instituts, im Interview.

Ergonomie-Expertin Marianela Diaz Meyer übt mit Kita-Kindern die richtige Stifthaltung. Foto: Tina Umlauf

News4teachers: Warum ist es wichtig, dass Kinder eine Handschrift erlernen?

Diaz Meyer: Weil Handschreiben schlauer macht. Die handschriftlichen Bewegungen aktivieren zwölf Hirnareale und unterstützen dadurch nachhaltig das Lesen- und Schreibenlernen. Sowohl Kinder als auch Erwachsene können besser Lesen lernen, sich Faktenwissen besser merken sowie ein besseres inhaltliches Verständnis erlangen. Handschreiben spielt also eine entscheidende Rolle für die Bildungschancen. Wer heute nicht mehr richtig mit der Hand schreiben kann, tut sich auch bei elementaren Dingen wie Lesen oder Rechtschreibung immer schwerer.

News4teachers: Sind leserlich und „schön“ dabei wichtige Kriterien?

Diaz Meyer: Wenn wir vom Handschreiben sprechen, denken wir zuerst an die Schrift selbst. Dabei sind die Bewegungen, die zur Schrift führen, das Entscheidende. Sie nennen wir Schreibmotorik. Es gibt grundsätzlich drei Aspekte, die eine gute Handschrift ausmachen: Das sind die Lesbarkeit, das Schreibtempo und die Ausdauer. Wichtig ist in erster Linie nicht eine schöne Schrift, sondern dass ein Kind flüssig und lesbar schreiben kann, wie es in Deutschland in den bundesweit geltenden Bildungsstandards vorgegeben ist.

Leichter und flüssiger schreiben dank ergonomischem Füller

Mama Sabine und Tochter_STABILO EASYbirdy: „Der Füller liegt super gut in der Hand.“ Foto: privat

Die überwiegende Mehrheit der Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland stellt fest, dass sich die Handschrift der Schülerinnen und Schüler verschlechtert hat.

Ein ergonomischer Füller kann Kinder unterstützen, ihre Schreibfähigkeiten zu verbessern. Deshalb hat STABILO die Schulfüller STABILO EASYbirdy und STABILO EASYbuddy entwickelt. Denn: für ein sauberes Schriftbild ist auch die Wahl des Schreibgeräts entscheidend.

 Weitere Informationen gibt es hier.

News4teachers: Wie macht es sich denn bemerkbar, dass Kinder immer schlechter schreiben können?

Diaz Meyer: Das fängt damit an, dass bereits mehr als ein Drittel der Kinder Probleme hat, eine gut lesbare, flüssige Schrift zu entwickeln – wie unsere aktuelle Lehrer-Umfrage, die STEP-Studie, gezeigt hat. Durch die Schwierigkeiten werden die Mädchen und vor allem die Jungs immer langsamer, kommen mit dem Schreiben im Unterricht und auch bei Schulaufgaben nicht mehr hinterher. Das hat wiederum schlechtere Noten zur Folge. Nicht einmal die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufte kann noch 30 Minuten von Hand schreiben, ohne Beschwerden zu bekommen wie Schmerzen, Verkrampfungen oder Ermüdungserscheinungen. Deshalb müssen immer mehr Kinder einen Ergotherapeuten aufsuchen.

News4teachers: Wir leben im Zeitalter der Digitalisierung. Ist Handschreiben da nicht ein bisschen antiquiert?

Diaz Meyer: Es gibt mehrere wissenschaftliche Studien, die ganz eindeutig belegen, dass das Tippen am Computer das Schreiben von Hand beim Lernen nicht ersetzen kann. Von Hand zu schreiben bedeutet, dass wir charakteristische Buchstabenformen schreiben. Der damit verbundene Bewegungsablauf wird im Gehirn verarbeitet, was wiederum das Schreiben- und Lesenlernen unterstützt. Schreibanfänger können etwa Buchstaben, die sie mit der Hand zu schreiben gelernt haben, besser erkennen. Beim Tippen handelt es sich dagegen immer um die gleiche Bewegung, egal ob ich ein A, ein S oder ein B drücke. Leistungsfähigkeit wird auch künftig nicht antiqiert sein. Handschreiben fördert die Merkfähigkeit, das inhaltliche Verständnis und die Kreativität – kurz: es macht schlauer.

News4teachers: Sind die digitalen Medien schuld daran, dass Kinder nur noch mangelhaft schreiben können?

Diaz Meyer: Ursächlich für diese Entwicklung ist sicher auch die Tatsache, dass sich Kindheit in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verändert hat. Kinder verbringen immer weniger Zeit mit Bewegungsspielen, was sich dann bei der Motorik, insbesondere auch der Fein- und Schreibmotorik, bemerkbar macht. Kindergarten und Schule sollten hier gegensteuern. Denn es geht ja beim Handschreiben nicht um eine schöne, aber im Zeitalter der Digitalisierung doch verzichtbare Kulturtechnik – sondern um echte Bildungschancen.  Dabei sehen wir die anstehende Digitalisierung der Schulen nicht als Gegensatz. Die zunehmende Digitalisierung bietet sogar Chancen, moderne Technik und Bewegungslernen miteinander zu verbinden.

News4teachers: Wer soll dafür sorgen, dass Kinder wieder mehr mit der Hand schreiben? Und wie bringt man die Kinder dazu?

Diaz Meyer: Hier sind alle gefragt: Lehrer, Eltern und auch die Politik. Von der Politik wünschen wir uns auch als Schreibmotorik Institut Unterstützung, damit wir unter anderem herausfinden können,  wie sich Digitalisierung und Handschreiben an den Schulen miteinander verbinden lässt. Viele Lehrer haben die Problematik bereits erkannt und wollen mehr Zeit und mehr Wertschätzung für das Thema. Aber sie können es nicht allein schaffen. Auch die Eltern müssen ihren Teil dazu beitragen – etwa,  in dem sie es ihren Kindern vorleben. Oder in dem sie sie so oft wie möglich etwas mit der Hand schreiben lassen. Denn generell haben Kinder Spaß am Schreiben und der setzt meist schon früh ein. Bis zur Einschulung schreiben Kindergartenkinder allein 400 Mal ihren eigenen Namen. Und selbst wenn es nur Krickelkrackel ist: Diese feinen Bewegungen, die Schnelligkeit – die sind letztlich wichtig.

Hintergrund

Das gemeinnützige Schreibmotorik Institut beschäftigt sich mit der Forschung auf den Gebieten der Schreibmotorik und der Schreibergonomie.

Um Entwicklungen und mögliche Probleme aufzeigen zu können, hat das Schreibmotorik Institut gemeinsam mit dem Verband Bildung und Erziehung (VBE) eine bundesweite Umfrage unter Lehrerinnen und Lehrern aus Grundschulen und weiterführenden Schulen durchgeführt. Die Studie trägt den Titel STEP 2019 („Studie über die Entwicklung, Probleme und Interventionen zum Thema Handschreiben“). Das Schreibmotorik Institut koordiniert darüber hinaus ein von der EU gefördertes Forschungsprojekt zur Handschreib-Förderung im Rahmen von Erasmus+, das in Kooperation mit der Regierung von Niederbayern an dortigen Grund- und Mittelschulen umgesetzt wird.

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

 

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