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Meidinger: Schlecht qualifizierte Seiteneinsteiger vor Schulklassen zu stellen, „ist ein Verbrechen an den Kindern“

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BERLIN. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, hat eine unzureichende Qualifizierung von Seiteneinsteigern in den Lehrerberuf kritisiert. Vielerorts würden Menschen, die kein abgeschlossenes Lehramtsstudium aufweisen, ohne qualitätssichernde Vorgaben auf Schüler losgelassen. Die sei „ein Verbrechen an den Kindern“, sagte Meidinger der „Welt“. „Innerhalb von zwei Wochen Uni-Absolventen, die noch nie etwas von Pädagogik und Didaktik gehört haben, per Crashkurs zur Grundschullehrkraft auszubilden, das ist doch absurd.“ Das zeige, wie gering die notwendige Berufsprofessionalität der Lehrerschaft von der Politik geschätzt werde. Der Verband bak Lehrerbildung, in dem Lehrerausbilder organisiert sind, sieht das ähnlich.

Kritisiert die Praxis, Seiteneinsteiger flott vor Klassen zu bringen, mit kräftigen Worten: Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands (und selbst Leiter eines bayerischen Gymnasiums). Foto: Deutscher Lehrerverband

In ganz Deutschland gibt es einen großen Bedarf an Lehrern. Insbesondere an Grundschulen ist der Bedarf groß. Das Problem dürfte in den kommenden Jahren andauern – die KMK hat unlängst eine Prognose vorgelegt, nach der bis 2023 bundesweit mindestens 12.000 Grundschullehrer fehlen. Eine Maßnahme, um dem Lehrermangel kurzfristig zu begegnen: die Einstellung von Seiten- beziehungsweise Quereinsteigern, Menschen also, die über keine pädagogische Qualifikation verfügen. Der Anteil solcher Seiteneinsteiger in den Lehrerberuf steigt aufgrund des Lehrermangels deutschlandweit stetig an.

Fast zwei Drittel aller neuen Lehrer in Berlin sind gar keine richtigen

Laut einer aktuellen Erhebung der „Rheinischen Post“ (News4teachers berichtete) lag bei den Neueinstellungen in den Schuldienst der Anteil derjenigen ohne pädagogische Qualifikation zum Schuljahresbeginn im Bundesdurchschnitt bei rund 16 Prozent – allerdings seien die Unterschiede gewaltig. Sie schwanken dem Bericht zufolge zwischen 61 Prozent (Berlin) und vier Prozent (Rheinland-Pfalz). Westdeutsche Flächenländer wie Nordrhein-Westfalen liegen der Abfrage unter den 16 Kultusministerien der Länder zufolge zwischen zehn und zwölf Prozent, die meisten ostdeutschen Länder kommen dem Bericht zufolge auf Werte um 30 Prozent, Sachsen allerdings auf 50 Prozent. Bayern und das Saarland kommen bislang ohne Seiteneinsteiger aus.

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Vielerorts, so Meidinger, würden Seiteneinsteiger ohne alle qualitätssichernden Vorgaben auf die Schüler losgelassen. In den Ländern, wo der Mangel am größten sei, beispielsweise in Berlin und vielen östlichen Bundesländern, hätten die Ministerien oft gar kein Interesse, dass die Quereinsteiger erst mal ordentlich ausgebildet würden, weil sie dann nicht gleich voll in die Unterrichtsversorgung gesteckt werden könnten, vermutet Meidinger. „Dazu kommt, dass es für die Quereinsteiger keine ausreichende Zahl von Ausbildungslehrern gibt.“

Dass Seiteneinsteiger ohne jegliche Vorbereitung eine Schulklasse unterrichten müssen, ist tatsächlich keine Seltenheit. „In den Ländern gibt es viele verschiedene Modelle für die Qualifizierung von Seiteneinsteigern oder Quereinsteigern – von einem vollwertigen Referendariat mit ergänzendem pädagogischen Seminar bis hin zu einer eigenen Ausbildung über zwei Jahre, die dann aber nebenher geschieht, während die Arbeit in der Schule schon läuft“, erklärte Helmut Klaßen, Bundesvorsitzender des Bundesarbeitskreises (bak) Lehrerbildung. „Verschärfend“, so Klaßen, kommt hinzu: „Der Lehrermangel hat in einigen Regionen bereits ein solches Ausmaß angenommen, dass dort eigentlich jeder Kandidat in den Schuldienst durchgewunken wird. Selbst diejenigen, die am Ende durchfallen, bekommen hinterher eine unbefristete Stellte im Lehramt.“

“Tendenzen einer Deprofessionalisierung der Lehrerausbildung”

In einem Positionspapier bezieht der bak Lehrerbildung Stellung zum Seiteneinstieg. „Mit großer Sorge sind klare Tendenzen einer Deprofessionalisierung der Lehrerausbildung festzustellen, teils herrschen skandalöse Missstände an deutschen Schulen – und dies in vielen Bundesländern. Als Bundesverband der Lehrkräfte in der 2. Phase der Lehrerbildung (Referendariat bzw. Vorbereitungsdienst) beobachten wir, dass in sehr vielen Bundesländern der Lehrermangel dazu führt, dass Schüler*innen von Studierenden ohne Staatsexamen oder von Quereinsteiger*innen ohne entsprechende Zusatzqualifizierungen unterrichtet werden bzw. zukünftig unterrichtet werden sollen.“ In keinem ähnlich verantwortungsvollen Beruf – etwa unter Ärzten – wäre es denkbar, den Personalmangel mit dafür nicht ausreichend qualifizierten Kräften zu beheben.

„Nach Auffassung des bak gilt für alle Lehrämter, angefangen von der Primarstufe bis hin zur beruflichen Bildung, dass die Durchführung der Kernaufgaben eine hohe Anforderung darstellt, die auf jeden Fall eine qualifizierte Lehrerbildung erfordert. Diese Qualität der Lehrerbildung sieht der bak durch die flächendeckend steigende Zahl der Quereinstei-ger*innen erheblich gefährdet“ – insbesondere eben dann, wenn es zu keiner wirklich qualifizierten Auswahl und Nachqualifizierung komme. Aus Sicht des Verbands hat diese mindestens zwei Jahre zu dauern und beinhaltet in dieser Zeit keine ergänzenden Aufgaben im Arbeitsumfeld Schule. „Damit die Nachqualifizierung gelingt, müssen Schulen und die Seminare bzw. Studienseminare dafür mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet werden.“

Lorz: “Wir werden in einigen Ländern nicht ohne Quereinsteiger auskommen”

Der scheidende Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK), Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU), sagte der „Welt“: „Auf mittlere Sicht werden wir in einigen Ländern nicht ohne Quereinsteiger auskommen.“ Er fügte an: „Wir sind uns darüber bewusst, dass diese auch entsprechend qualifiziert werden müssen.“ Im kommenden Jahr würden daher alle Länder ihre Bemühungen „weiter verstärken“, Seiteneinsteiger gezielt fortzubilden und zu qualifizieren.

Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) forderte angesichts des Lehrermangels, so schnell wie möglich in allen Bundesländern die Zahl der Referendariatsplätze und der Studienplätze erheblich zu erhöhen. «Hamburg plant einen Ausbau von 40 Prozent», sagte der Sprecher der SPD-geführten Kultusministerien. «Wir müssen auch dafür sorgen, dass weniger junge Menschen ihr Studium abbrechen. Dazu braucht es an den Universitäten bessere Betreuungs- und Förderangebote.»

Quer- und Seiteneinsteiger sollten nur im Notfall eingesetzt werden, sagte er weiter. «Sie sollten in jedem Fall mindestens ein ordentliches Unterrichtsfach mit Master-Abschuss oder Staatsexamen studiert haben.» Die pädagogischen Qualifikationen könnten dann nachträglich auch mit einem erweiterten Referendariat ergänzt werden. News4teachers / mit Material der dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

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