WÜRZBURG. „Es reicht! Rote Karte für das Kultusministerium!“, stand auf einem Plakat zu lesen. „Mehr geht nicht“, hieß es. Und: „eine himmelschreiende Ungerechtigkeit”. Hunderte von Lehrern demonstrierten am Wochenende in Würzburg gegen das sogenannte „Piazolo-Paket“. Genauer: Gegen die Ankündigung des bayerischen Kultusministers, Lehrer an Grund- und Mittelschulen (wie in Bayern die Hauptschulen heißen) aufgrund des Lehrermangels länger arbeiten zu lassen. Seitdem herrscht Aufruhr in den Kollegien.
Rund um die Uhr, so heißt es, gingen in der Zentrale des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) Beschwerde-Emails ein. Anlass: die Ankündigung des Kultusministers, Lehrer an Grund- und Mittelschulen müssten künftig mehr arbeiten (News4teachers berichtete). Diejenigen, die jünger als 58 Jahre sind, haben im Rahmen eines Arbeitszeitkontos vorübergehend 29 statt 28 Unterrichtsstunden pro Woche zu halten. In fünf Jahren soll die Mehrarbeit dann ausgeglichen werden. Zudem dürfen Förderschullehrer im Rahmen einer Antragsteilzeit höchstens noch auf 23, Grund- und Mittelschullehrer auf 24 Wochenstunden reduzieren. Ein vorzeitiger Ruhestand wird künftig in der Regel erst ab 66 Jahren erlaubt. Längere Auszeiten, sogenannte Sabbat-Jahre, werden nicht mehr genehmigt.
“Ich kenne keinen Lehrer, der aus Jux und Tollerei Teilzeit arbeitet”
„Die Reaktionen der Kollegen reichen von Empörung über Wut bis hin zu Verzweiflung“, berichtet Patricia Laube, Kreisverbandsvorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) in Dillingen, gegenüber der “Augsburger Allgemeinen”. „Es ist nicht unbedingt die Einführung des verpflichtenden Arbeitszeitkontos, auch wenn das die Kolleginnen und Kollegen an den Grundschulen, die bereits über die Maßen durch Inklusion, Migration, differenzierte Zeugnisse und Lernentwicklungsgespräche belastet sind, durchaus trifft“, betont sie. Viel schwerer wiege die Einschränkung der Teilzeitmöglichkeiten sowie die Verschlechterungen beim Antragsruhestand.
„Ich kenne keinen Kollegen, der aus Jux und Tollerei Teilzeit arbeitet. Viele signalisieren mir: Mehr schaffe ich nicht“, berichtet Patricia Laube. Auch junge Kollegen arbeiten ihr zufolge einige Wochenstunde Stunden weniger – damit sie das Pensum schaffen. Die Anforderungen an Lehrkräfte in der Grundschule seien so vielfältig, die Erwartungen von Eltern und Schülern so hoch, dass sich viele Kollegen dem nicht mehr gewachsen fühlen. Die Folge des nun angekündigten Maßnahmenpakets sei absehbar: „So treibt unser Arbeitgeber zunehmend sein Personal in Dienstunfähigkeit und Krankheit!“
Vor allem ältere Lehrerinnen und Lehrer bekommen Probleme
Probleme, so erklärt Kerstin Rehm, BLLV-Kreisvorsitzende in Freising, gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“, hätten vor allem ältere Teilzeitkräfte. „Sie haben jahrelang 15, 16, Stunden gehalten und müssen künftig 24 Wochenstunden plus eine Arbeitszeitkontostunde arbeiten.“ Für manche Kollegin bedeute das eine Arbeitszeiterhöhung von über 60 Prozent.
Ein weiterer Aufreger: Geld für die zusätzliche Unterrichtsstunde bekommen die Lehrer nicht. Wenn die Rückgabephase in fünf Jahren beginnt, ist so mancher Betroffene womöglich gar nicht mehr im Dienst. „Das heißt, wenn Sie als ältere Lehrerin in drei Jahren krank oder in Pension sind, sehen Sie davon nie etwas“, betont Rehm. Würde die Mehrarbeit bezahlt – und zwar umgehend –, hätten die Lehrer wenigstens einen positiven Effekt, so Rehm. Sie könne sich über das Verfahren nur wundern, „das Land Bayern blüht derzeit, die Steuereinnahmen sprudeln, das Geld dafür müsste doch da sein“.
Auch Rehm ist davon überzeugt, dass der Schuss nach hinten losgeht. Denn es sei gut möglich, dass viele Teilzeitkräfte gesundheitliche Gründe geltend machen – und die künftig vorgeschriebenen Stunden dann doch nicht leisten. 95 Prozent der Grundschullehrkräfte seien Frauen, viele hätten Kinder erzogen, betreuten jetzt oft Angehörige. Rehm nennt die Neuerung eine “Respektlosigkeit des Kultusministers gegenüber den Lebensälteren und ihrer bisherigen Leistung. Wenn sie 30 Jahre alt sind, schaffen sie die 24 Wochenstunden Minimum, aber wenn sie 54 sind, nicht mehr unbedingt.”
Die „Augsburger Allgemeine“ schildert den Fall einer Würzburger Lehrerin, die im August 64 Jahre alt wird – und 42 Dienstjahre in einer Förderschule ihren Dienst versehen hat. In Vollzeit, obwohl sie selbst zwei Kinder großgezogen hat. Sie hatte vor Weihnachten den Antrag gestellt, nach Schuljahresende in Pension gehen zu können. Bislang war das kein Problem. Plötzlich schon. In der vergangenen Woche – zwei Tage nach der Veröffentlichung des „Piazolo-Pakets“ – eröffnete die Schulleitung ihr, dass aus dem baldigen Ruhestand nichts werde. Sie müsse aufgrund der Weisung aus München weitermachen. „Sehr bitter“ fühle sich das an, sagt sie dem Bericht zufolge. „Wenn man über 60 ist, merkt man eben jedes Extrajahr. Die körperliche Verfassung wird schlechter; man ist einfach nicht mehr so belastbar.“ News4teachers
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