Was das „Piazolo-Paket“ für betroffene Lehrer bedeutet: Manche müssen plötzlich 60 % mehr arbeiten – für andere platzt der baldige Ruhestand

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WÜRZBURG. „Es reicht! Rote Karte für das Kultusministerium!“, stand auf einem Plakat zu lesen. „Mehr geht nicht“, hieß es. Und: „eine himmelschreiende Ungerechtigkeit“. Hunderte von Lehrern demonstrierten am Wochenende in Würzburg gegen das sogenannte „Piazolo-Paket“. Genauer: Gegen die Ankündigung des bayerischen Kultusministers, Lehrer an Grund- und Mittelschulen (wie in Bayern die Hauptschulen heißen) aufgrund des Lehrermangels länger arbeiten zu lassen. Seitdem herrscht Aufruhr in den Kollegien.

Zieht den Ärger der bayerischen Grund- und Mittelschullehrer auf sich: Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler). Foto: Andreas Gebert / StMUK

Rund um die Uhr, so heißt es, gingen in der Zentrale des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) Beschwerde-Emails ein. Anlass: die Ankündigung des Kultusministers, Lehrer an Grund- und Mittelschulen müssten künftig mehr arbeiten (News4teachers berichtete). Diejenigen, die jünger als 58 Jahre sind, haben im Rahmen eines Arbeitszeitkontos vorübergehend 29 statt 28 Unterrichtsstunden pro Woche zu halten. In fünf Jahren soll die Mehrarbeit dann ausgeglichen werden. Zudem dürfen Förderschullehrer im Rahmen einer Antragsteilzeit höchstens noch auf 23, Grund- und Mittelschullehrer auf 24 Wochenstunden reduzieren. Ein vorzeitiger Ruhestand wird künftig in der Regel erst ab 66 Jahren erlaubt. Längere Auszeiten, sogenannte Sabbat-Jahre, werden nicht mehr genehmigt.

„Ich kenne keinen Lehrer, der aus Jux und Tollerei Teilzeit arbeitet“

„Die Reaktionen der Kollegen reichen von Empörung über Wut bis hin zu Verzweiflung“, berichtet Patricia Laube, Kreisverbandsvorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) in Dillingen, gegenüber der „Augsburger Allgemeinen“. „Es ist nicht unbedingt die Einführung des verpflichtenden Arbeitszeitkontos, auch wenn das die Kolleginnen und Kollegen an den Grundschulen, die bereits über die Maßen durch Inklusion, Migration, differenzierte Zeugnisse und Lernentwicklungsgespräche belastet sind, durchaus trifft“, betont sie. Viel schwerer wiege die Einschränkung der Teilzeitmöglichkeiten sowie die Verschlechterungen beim Antragsruhestand.

„Ich kenne keinen Kollegen, der aus Jux und Tollerei Teilzeit arbeitet. Viele signalisieren mir: Mehr schaffe ich nicht“, berichtet Patricia Laube. Auch junge Kollegen arbeiten ihr zufolge einige Wochenstunde Stunden weniger – damit sie das Pensum schaffen. Die Anforderungen an Lehrkräfte in der Grundschule seien so vielfältig, die Erwartungen von Eltern und Schülern so hoch, dass sich viele Kollegen dem nicht mehr gewachsen fühlen. Die Folge des nun angekündigten Maßnahmenpakets sei absehbar: „So treibt unser Arbeitgeber zunehmend sein Personal in Dienstunfähigkeit und Krankheit!“

Vor allem ältere Lehrerinnen und Lehrer bekommen Probleme

Probleme, so erklärt Kerstin Rehm, BLLV-Kreisvorsitzende in Freising, gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“, hätten vor allem ältere Teilzeitkräfte. „Sie haben jahrelang 15, 16, Stunden gehalten und müssen künftig 24 Wochenstunden plus eine Arbeitszeitkontostunde arbeiten.“ Für manche Kollegin bedeute das eine Arbeitszeiterhöhung von über 60 Prozent.

Ein weiterer Aufreger: Geld für die zusätzliche Unterrichtsstunde bekommen die Lehrer nicht. Wenn die Rückgabephase in fünf Jahren beginnt, ist so mancher Betroffene womöglich gar nicht mehr im Dienst. „Das heißt, wenn Sie als ältere Lehrerin in drei Jahren krank oder in Pension sind, sehen Sie davon nie etwas“, betont Rehm. Würde die Mehrarbeit bezahlt – und zwar umgehend –, hätten die Lehrer wenigstens einen positiven Effekt, so Rehm. Sie könne sich über das Verfahren nur wundern, „das Land Bayern blüht derzeit, die Steuereinnahmen sprudeln, das Geld dafür müsste doch da sein“.

Auch Rehm ist davon überzeugt, dass der Schuss nach hinten losgeht. Denn es sei gut möglich, dass viele Teilzeitkräfte gesundheitliche Gründe geltend machen – und die künftig vorgeschriebenen Stunden dann doch nicht leisten. 95 Prozent der Grundschullehrkräfte seien Frauen, viele hätten Kinder erzogen, betreuten jetzt oft Angehörige. Rehm nennt die Neuerung eine „Respektlosigkeit des Kultusministers gegenüber den Lebensälteren und ihrer bisherigen Leistung. Wenn sie 30 Jahre alt sind, schaffen sie die 24 Wochenstunden Minimum, aber wenn sie 54 sind, nicht mehr unbedingt.“

Die „Augsburger Allgemeine“ schildert den Fall einer Würzburger Lehrerin, die im August 64 Jahre alt wird – und 42 Dienstjahre in einer Förderschule ihren Dienst versehen hat. In Vollzeit, obwohl sie selbst zwei Kinder großgezogen hat. Sie hatte vor Weihnachten den Antrag gestellt, nach Schuljahresende in Pension gehen zu können. Bislang war das kein Problem. Plötzlich schon. In der vergangenen Woche – zwei Tage nach der Veröffentlichung des „Piazolo-Pakets“ – eröffnete die Schulleitung ihr, dass aus dem baldigen Ruhestand nichts werde. Sie müsse aufgrund der Weisung aus München weitermachen. „Sehr bitter“ fühle sich das an, sagt sie dem Bericht zufolge. „Wenn man über 60 ist, merkt man eben jedes Extrajahr. Die körperliche Verfassung wird schlechter; man ist einfach nicht mehr so belastbar.“ News4teachers

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Lehrermangel: Piazolo ordnet Mehrarbeit für Grundschullehrer an – BLLV und GEW kündigen “massiven Widerstand” an

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7 Kommentare
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SR500
4 Jahre zuvor

Soll der tolle Minister doch mal mit anpacken als Experte in Sachen Bildung, ist das für ihn doch locker zu schaffen!
Immerhin sollte seine Leistungsfähigkeit bei knappem Verdienst von ca. 185 000 €/a enorm sein. Zusätzlich bekommt er ja noch ca. 4000€ Steuerentlastung! Ich nehme solche Leute nicht ernst!
Wie will man mich zwingen mehr zu arbeiten? Eine Kündigung würde der Schule noch weniger bringen.
Aussicht: Spätestens 1 Jahr nach Durchdrücken der Neuerungen wird es Krankmeldungen hageln.

Meiner Meinung nach müssen die Schulleitung schützend vor den Kollegen stehen. Einfach mal „Nö“ sagen!

lehrer002
4 Jahre zuvor
Antwortet  SR500

Bin da bei Ihnen. Mit welcher Qualifikation ist er überhaupt Bildungsminister? Wenn er wirklich Lehrer sein sollte, dürften ihm doch die Probleme und Anstrengungen der Arbeit, die viele in die Teilzeitarbeit treiben, bekannt sein. Und in fast einem Atemzug erteilt genau dieser Minister, der jetzt auf die Folgsamkeit der Kollegien hofft, A13 eine Absage. Unfassbar!

Grundschullehrer
4 Jahre zuvor

Ich behaupte mal, dass man alldies den GrundschullehrerINNEN nicht zumuten würde, wenn auch viele Männer in dieser Berufsgruppe zu finden wären. Mit den Frauen kann man es ja machen! Die erdulden und erleiden alles – so kann man die Zumutungen interpretieren, die der Minister für die Grundschullehrerinnen bereithält. Skandalös! Bezahlt die Grundschullehrer besser, dann findet ihr auch wieder welche, anstatt diejenigen, die noch da sind, für eure eigene, verfehlte Politik zu bestrafen! Hier ist die GEW am Zug!

lehrer002
4 Jahre zuvor
Antwortet  Grundschullehrer

Ich denke nicht, dass es daran liegt, dass es primär Grundschullehrerinnen gibt. Auch als männlicher Kollege erwischt man sich doch oft dabei, deutlich toleranter und folgsamer zu sein, was Mehrarbeit und Privatanschaffungen, um die miserable Ausstattung der Klassenräumer zu verbessern, betrifft, als beispielsweise ein Berufskolleglehrer.
Aber wir müssen die Kinder sonst halt auch in einem Saustall, der sich „Grundschule“ nennt, unterrichten, wo dann unser pädagogisches Gewissen greift.

OlleSchachtel
4 Jahre zuvor

Unfasslich, da werden Lehrer bestraft weil die Politik versagt hat und dann noch nicht mal Gehalt für die Mehrarbeit. Die Grundschullehrer bekamen die letzten Jahre immer mehr Aufgaben und dafür Null Anerkennung. Da denke ich auch Massenkrankmeldungen sind da sie einzige Möglichkeit sich zu wehren. Bezahlte Mehrarbeit auf freiwilliger Basis fände ich in Ordnung, doch so. .

ysnp
4 Jahre zuvor

Aus allen Äußerungen von Herrn Piazolo in Interviews und schriftlich, auch aus Äußerungen der Staatssekreärin und den dennoch weiter angeordneten Maßnahmen (ich meine die Projektwoche zur Alltagskompetenz, die eine Woche später angekündigt wurde) kann man Folgendes herauslesen:
– Zumindest in Worten sagt man, dass man die Grundschullehrer für hochqualifiziert hält und ungern darauf verzichtet.
– Aber, und das ist das Traurige: Man will nicht wahrhaben, dass Grundschullehrer über die Maßen sowohl zeitlich als auch emotional belastet werden. Mein Eindruck ist, dass man im Kultusministerium wenig Ahnung vom Alltag einer Grundschullehrkraft hat.

Das liegt vielleicht daran, dass sehr viele ausgebildete GrundschullehrerInnen ihren Beruf aus Überzeugung machen. Und das nutzt man in allen Richtungen aus: Hohe zeitliche Belastung, große Heterogenität, die höchste Stundenzahl im Volldeputat, jeden Morgen selbstverständliche Vorviertelstunde ohne Anrechnung.
Es gibt Dinge, die wollen wir GrundschullehrerInnen selbst, weil sie uns für pädagogisch sinnvoller erscheinen als eine andere Variante, z.B. die Lernentwicklungsgespräche. Schade, dass wir dann noch von oben mit Dingen belastet werden, die viele von uns gar nicht so wollen.

Das Problem ist, dass das Kind jetzt schon in den Brunnen gefallen ist und die Maßnahmen aus der momentanen Not heraus geboren sind. Für unsere Schule verschlechtert sich dadurch die pädagogische Situation, da wir wahrscheinlich einen Lehrer verlieren werden und unser Ganztag nicht mehr von einem Lehrertandem geführt werden kann.

Aber es muss unbedingt mittel- und langfristig etwas geschehen. Man muss mehr Studienplätze bereitstellen und mehr Leute für den Beruf des Grund-und Mittelschullehrers motivieren. Die Konkurrenzsituation mit dem Gehalt muss nivelliert werden. Die Studiensituation könnte man so umbauen, dass alle Schularten erst einmal ein gemeinsames Grundstudium mit Hospitationen in allen Schularten haben.

Insgesamt müssten Berufe, die im weitesten Sinne sozial sind (ist inzwischen auch der Lehrberuf) gesellschaftlich wieder hoffähig werden.

ysnp
4 Jahre zuvor

Vielleicht noch eine Erläuterung zu den 60 Prozent:
Das betrifft diejenigen, die bisher die familienpolitische Teilzeit hatten. Die kann man nämlich noch wählen, da hat sich nichts geändert.
Wenn man aber die wegen der 18jährigen Kinder nicht mehr beantragen kann, muss man die Antragsteilzeit stellen. Und dafür muss man mindestens 24 Unterrichtsstunden halten.

Für die anderen, die die Kriterien der familienpolitischen Teilzeit nicht erfüllen, gab es ab letzten Schuljahr die Pflicht, bei der Antragsteilzeit mindestens 21 Unterrichtsstunden zu halten. Diese wurde jetzt um 3 Unterrichtsstunden auf 24 erhöht.
Für viele Teilzeitler (keine familienpolitische) bedeutet das für nächstes Schuljahr 3 Stunden mehr arbeiten.

Was dem Kultusministerium vielleicht nicht so präsent ist, ist, dass viele deshalb reduziert arbeiten, dass die Aufgaben in der Grundschule einigermaßen akzeptabel erfüllt werden können. Aus diesem Grund habe ich auch ein paar Stunden reduziert. Volles Deputat war mir zu stressig und ich arbeite dennoch wöchentlich mehr als ich in einem vollen Deputat an wöchentlicher Arbeitszeit abzuleisten hätte. Man darf nicht vergessen, dass Grundschullehrer in Bayern fast ausnahmslos KlassenlehrerInnen sind mit den ganzen umfangreichen Aufgaben und fast allen Fächern.