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Inklusion? Ja, aber… Giffey zeigt sich skeptisch, Förderschulen zu schließen

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NEUKLOSTER. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat sich kritisch zur Schließung von Förderschulen geäußert. Sie finde die Idee der Inklusion grundsätzlich gut, sagte Giffey am Dienstag beim Besuch einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen in Mecklenburg-Vorpommern. «Und dann kommt das wahre Leben. Und man sieht eben, dass Förderschulen an ganz vielen Stellen etwas ermöglichen, das an der normalen Schule nicht möglich ist.» Tatsächlich scheint Giffeys Haltung in der deutschen Politik mittlerweile vorzuherrschen: Die Zahl der Förderschüler steigt sogar wieder. Ist der Schwung bei der Inklusion endgültig dahin?

Tritt für den Erhalt der Förderschule ein – trotz Inklusion: Bundesfamilienministerin Franziska Giffey. Foto: SPD Schleswig-Holstein / flickr (CC BY 2.0)

Giffey besuchte die Förderschule in Neukloster, weil sie am Patenschaftsprogramm «Menschen stärken Menschen» teilnimmt, das vom Bundesfamilienministerium gefördert wird. Zu den Bedingungen, die Regelschulen eben nicht bieten können, gehörten Klassen mit im Schnitt zehn Kindern, wie in Neukloster, wo besonders auf die Kinder eingegangen werden könne, meinte die Bundesfamilienministerin. «Wo verhaltensauffällige Kinder wieder plötzlich Spaß an der Schule haben, weil anders gelernt wird.» Die reine Lehre der Inklusion sei manchmal schön, aber die Wirklichkeit sei eben doch oft eine andere. Als Schuldezernentin im Berliner Bezirk Neukölln habe sie das fünf Jahre lang erlebt. «Wir haben nicht die Entscheidung getroffen, alle Schulen, die eine besondere Förderung ermöglichen, dicht zu machen.»

Land will Förderschulen schließen

Das Land Mecklenburg-Vorpommern will seine 38 Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen schrittweise bis 2027 auslaufen lassen. Betroffene Kinder sollen in herkömmlichen Schulen im gemeinsamen Unterricht oder in eigenen Lerngruppen unterrichtet werden. Pikant: Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern ist Schwesigs Parteifreundin und Vorgängerin im Amt der Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig.

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Hintergrund des Schließungsbeschlusses: Der Bundestag hat 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert und damit in Deutschland verbindlich gemacht. „Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung“, so heißt es in Artikel 24. „Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen (…)“. Menschen dürfen nicht aufgrund ihrer Behinderung „vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden“. Sie müssen „Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben“.

Seit 2009 ist die Zahl der Förderschulen in Deutschland gesunken. Allerdings nicht so drastisch, wie man von einem „integrativen Bildungssystem“ vielleicht erwarten könnte: von 3.337 auf 2.835 (2018), wie das Statistische Bundesamt meldet. Die meisten Bundesländer wollen Förderschulen mittlerweile auch langfristig erhalten – um Eltern ein Wahlrecht einzuräumen. Aus Sicht des Deutschen Kinderhilfswerks widerspricht das der Behindertenrechtskonvention. Das Menschenrecht auf inklusive Bildung „steht den Kindern höchstpersönlich zu und entzieht sich damit der Verantwortung anderer; es steht auch nicht zur Disposition der Eltern“, so heißt es im „Kinderrechte-Index“ des Kinderhilfswerks.

Zahl der Förderschüler wächst sogar wieder

Tatsächlich scheint die Inklusion weitgehend ins Stocken geraten zu sein. Dies legt eine im Bundesdurchschnitt steigende Exklusionsquote nahe – heißt: Die Zahl der Schüler an Förderschulen wächst seit Kurzem wieder. Dabei loben sich die meisten Bundesländer dafür, immer mehr Förderschüler an Regelschulen zu unterrichten. Wie geht das zusammen?

„In einigen Bundesländern sind die Inklusionsquoten in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen. Allerdings lässt sich gleichzeitig feststellen, dass die Zahl an Diagnosen für sonderpädagogischen Förderbedarf ebenfalls angestiegen ist, sodass mit einer steigenden Inklusionsquote nicht zwangsläufig ein Rückgang der Schüler/innenzahlen an Förderschulen einhergeht. In den meisten Bundesländern ist die Ressourcenverteilung an die Zahl der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf gekoppelt, was den zahlenmäßigen Anstieg erklären könnte“, so erklärt der „Kinderrechte-Index“ das Phänomen.

Im Klartext: Vermeintliche Erfolge bei der Inklusion existieren zu einem Gutteil nur auf dem Papier. Die Zahl der Schüler an Förderschulen war in Deutschland laut Statistischem Bundesamt zwischen 2013 und 2018 lediglich von 343.000 auf 321.000 gesunken – also nur um 6,5 Prozent. Seitdem steigt sie wieder. Wie Franziska Giffey heute eben feststellte: Die reine Lehre der Inklusion sei vielleicht schön. Aber die Wirklichkeit ist eben doch oft eine andere. News4teachers / mit Material der dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Auch der Bundesvorsitzende des Verbands Deutscher Realschullehrer (VDR) beteiligt sich an der Debatte auf der Facebook-Seite von News4teachers.

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