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„Verheerende Situation“: Realschullehrer fordern, den Eltern die Wahl der weiterführenden Schule wieder zu nehmen – und greifen VBE und GEW an

STUTTGART. In einer geharnischten Pressemitteilung haben die organisierten Realschullehrer – in Gestalt des Verbands Deutscher Realschullehrer (VDR) sowie des Realschullehrerverbandes Baden-Württemberg (RLV) – im Streit um schwächere Schüler nachgelegt und andere Lehrerverbände angegriffen. „VBE und GEW verlieren sich in ideologiegesteuerten Pseudodiskussionen, die zu keinem zukunftsfähigen Ergebnis führen“, heißt es in dem Papier. Der Hintergrund: Die beiden Verbände, die vor allem Grundschullehrer vertreten, lehnen eine Rückkehr zur verbindlichen Grundschulempfehlung ab.

“Ideologische Gleichheitsfantasien”: Jürgen Böhm, Bundesvorsitzender des VDR. Foto: Marco Urban / VDR

Auslöser des hochkochenden Streits ist die unlängst erhobene Forderung der Arbeitsgemeinschaft der Realschuldirektoren in Baden-Württemberg, den Eltern die Entscheidungsfreiheit über den Bildungsweg wieder zu streichen (News4teachers berichtete). Denn zu viele Eltern nutzten das Recht nicht verantwortungsvoll, meinen die Schulleitungen. «Etwa ein Viertel der neuen Schüler haben nicht die passende Grundschulempfehlung und leiden darunter», sagte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Holger Gutwald-Rondot. «Die Eltern versuchen es einfach einmal – ohne Rücksicht auf die Kinder.» Tatsächlich möchte Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) das Anmeldeverfahren zumindest verschärfen, indem Eltern künftig die Grundschulzeugnisse vorlegen müssen.

GEW: “Keine zuverlässige Prognose für die Schullaufbahn”

GEW-Landeschefin Doro Moritz lehnt das Ansinnen, den Grundschullehrern wieder die alleinige Entscheidung aufzubürden, hingegen ab. Sie sagt: „Die Grundschulempfehlung war noch nie eine zuverlässige Prognose für die Schullaufbahn und wird es auch nie sein.“

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Auch dem VBE-Bundesvorsitzenden Udo Beckmann behagt die Debatte um strengere Zugangsregelungen für die Realschule und fürs Gymnasium nicht. Eine Grundschulempfehlung von den Lehrern kombiniert mit der Einschätzung der Eltern sei eine solide Grundlage für die beste Entscheidung, meint er. «Die Entwicklung eines Kindes lässt sich am besten von denjenigen einschätzen, die tagtäglich Zeit mit ihm verbringen: den Eltern und Lehrkräften», sagt er und betont: „Neun- bis Zehnjährige unter Druck zu setzen und in einem Mini-Abitur zukunftsrelevante Entscheidungen herbeizuführen, halte ich nicht für zielführend.“ Festgelegte Notendurchschnitte, die wie in Bayern am Ende der Grundschulzeit darüber entscheiden, welche weiterführende Schule das Kind besuchen kann, setzten Kinder unter nicht zu rechtfertigenden psychischen Druck.

“Der Bildung Deutschlands nachhaltig geschadet”

Dem halten die Realschullehrer nun ihr kräftig formuliertes Papier entgegen. „Das Hauptanliegen muss es sein, dass die katastrophalen bildungspolitischen Weichenstellungen der letzten Landesregierung korrigiert werden und eben nicht nur an Symptomen herumgedoktert wird“, so meint die RLV-Landesvorsitzende Karin Broszat mit Blick auf die Entscheidung von Grün-Rot in Baden-Württemberg, den Eltern das letzte Wort bei der Wahl der weiterführenden Schule zu überlassen. Eine Regelung, wie sie mittlerweile in den meisten Bundesländern gilt. Das behagt den beiden Realschullehrer-Verbänden gar nicht. „Zu den gemeinsamen Kernforderungen des RLV und des VDR gehört selbstverständlich die Wiedereinführung einer bindenden Grundschulempfehlung zum Wohle der Kinder, nicht nur an den Realschulen, sondern an allen Schularten in einem differenzierten Schulsystem, zu dem sie sich uneingeschränkt bekennen“, so heißt es.

Der Bundesvorsitzende des VDR, Jürgen Böhm, untermauert diese Forderung. Er schimpft: „Die fatalen Schulstrukturveränderungen der letzten Jahre haben nicht nur in Baden-Württemberg der Bildung und Zukunftsfähigkeit unseres Landes nachhaltig geschadet. Die Vernachlässigung und Schwächung der Realschulbildung und die ideologiegeleitete Ignoranz der Individualität und Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler haben zu verheerenden Situationen an den Schulen vor Ort und zu enormen Belastungen der Kolleginnen und Kollegen geführt.“ Gemeinsam betonen Broszat und Böhm, dass es darum gehe, differenzierte Bildungswege zu stärken und unterschiedliche Schulabschlüsse mit Leistung zu hinterlegen.

Gemeinsam formulieren Broszat und Böhm: „Wer das Abitur und die akademische Bildung in den letzten Jahren verklärt und zum Nonplusultra erklärt hat, der hat nicht verstanden, welches Zukunftspotential in der beruflichen Bildung in Deutschland steckt. Junge Menschen wurden in falsche Bildungsgänge getrieben und die Frustration und das Scheitern der Jugendlichen in Kauf genommen. Der gezielte Aufstieg durch differenzierte Bildungswege und der erfolgreiche Aufbau einer beruflichen Karriere wurden negiert und ideologischen Gleichheitsfantasien geopfert.“

VBE-Vorsitzender Beckmann: Altes absurdes Denken

VBE-Chef Udo Beckmann, selbst langjähriger Leiter einer Hauptschule, sieht das deutlich anders. Er meint: „Die Forderung nach einer verbindlichen Grundschulempfehlung basiert auf dem alten absurden Denken, dass Kinder am Ende der Grundschulzeit zielsicher in die drei Kategorien praktisch Begabte (Hauptschüler), theoretisch-praktische Begabte (Realschüler) und theoretisch Begabte (Gymnasiasten) einordbar sind. Ich dachte, dass wir bereits weiter wären.“ News4teachers

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Wohin mit schwächeren Schülern? Gemeinschaftsschulen greifen Realschulen an – “Rosinenpickerei”

 

 

 

 

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