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Planlos ins nächste Schuljahr: Wie die Kultusminister sich in Corona-Zeiten blamieren

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Ein Kommentar von News4teachers-Herausgeber ANDREJ PRIBOSCHEK.

Die Kultusminister haben sich aus ihrer Verantwortung gemogelt. Der Beschluss, nach den Sommerferien „regulären Schulbetrieb nach geltender Stundentafel“ stattfinden zu lassen – also ohne die außerhalb der Klassenzimmer weiterhin geltende Abstandsregel –, ist eigentlich gar kein Beschluss. Denn der Vorbehalt lautet: „… sofern es das Infektionsgeschehen zulässt“. Wer wollte dagegen etwas einwenden? Auf die entscheidenden Fragen – etwa: Wann lässt das Infektionsgeschehen denn normalen Unterricht zu? Wie viele infizierte Schüler sind nötig, um eine Schule zu schließen? Wie sieht der Hygieneschutz an weiterführenden Schulen mit wechselnden Fächern und Kursen aus? – bleibt die  KMK Antworten schuldig.

Schutzmaßnahmen? Wer braucht die noch? Foto: Shutterstock

Ein Schutz- und Hygienekonzept, so heißt es lediglich, werde jetzt erarbeitet. Bis zum Ende der Sommerferien liege es vor. Wie bitte? Die Kultusminister schüren Erwartungen bei Eltern und wecken Ängste bei Lehrern – ohne eine konkrete Idee davon zu haben, wie in der Corona-Krise mit täglichen Großveranstaltungen namens Schule umzugehen ist? Sie wollen die Kollegien ernsthaft unvorbereitet aufs nächste Schuljahr in „schöne Ferien“ schicken? Wie sieht denn der Unterricht danach aus? Werden die Lücken, die im laufenden Schuljahr bei den Schülern entstanden sind, irgendwie berücksichtigt, gar aufgearbeitet? Oder gelten bruchlos die Lehrpläne weiter – und Lehrer wie Schüler müssen halt sehen, wie sie mit dem Vorgaben zurechtkommen? Gibt es weiter Fernunterricht? Und wie sieht der dann aus?

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Kultusminister zeigen sich mit der Krise überfordert

Das Beschlusspapier der KMK von gestern ist ein Armutszeugnis – eine Sammlung von Selbstverständlichkeiten. Darin heißt es: „Die Länder stellen sicher, dass Schülerinnen und Schüler ihre angestrebten Abschlüsse im Schuljahr 2020/2021 erreichen können.“ (Toll – es soll Abschlüsse geben!) „Die Länder ergreifen geeignete Maßnahmen, um mögliche Lernrückstände zu überwinden.“ (Aha – und welche? Dazu wollen sich die Minister „fortlaufend beraten“ lassen.) „Die Länder werden die Digitalisierung des Lehrens und Lernens weiter vorantreiben.“ (Echt? Sogar noch weiter als jetzt schon?)

Viele Kultusminister, zugegeben: nicht alle, zeigen sich mit der Krise überfordert. Man hat als Beobachter den Eindruck, dass ihre Kapazitäten damit erschöpft sind, die Schulöffnungen möglichst schnell voranzutreiben. Hauptsache, die Vorgaben der Parteistrategen werden erfüllt. Anders ist es kaum zu begründen, dass in einigen Bundesländern kurz vor den Ferien die Grundschulen genötigt werden, ihre gerade eingefahrenen Modelle für den Schichtunterricht über Bord zu werfen, um nochmal flott zehn Präsenztage irgendwie hinzubekommen. Anders ist es auch nicht zu erklären, wie beharrlich der Stand der Forschung – genauer: die nach wie vor dünne Studienlage – hinsichtlich der Wirkung von Schulöffnungen ignoriert wird.

Es ist grotesk, wenn sich stattdessen Kultusminister hinter angeblich „führenden Wissenschaftlern“ verstecken, die sich bei näherem Hinsehen als Ärzte-Lobbyisten entpuppen, oder wenn Landesregierungen selbst Studien in Auftrag geben, die schon vom Setting her keine Erkenntnisse für Schulöffnungen bringen können, weil die Daten nur während der Schulschließungen erhoben wurden.

Niemand weiß, wie das Experiment Schulöffnungen ausgeht

Warum werden Schüler und Lehrer nicht wenigstens regelmäßig getestet, um schnell auf mögliche Ausbrüche reagieren zu können? Ob in Göttingen, in Gütersloh, in Magdeburg oder aktuell in Berlin-Neukölln – bei allen Corona-Hotspots der vergangenen Tage waren Kinder betroffen, zumeist auch nachweislich infiziert (obwohl sie doch eigentlich nahezu Corona-resistent sein sollen). Wie stellen die Kultusminister im nächsten Schuljahr sicher, dass ein solcher Ausbruch nicht unbemerkt das Virus in Schulen trägt und sich dort unkontrolliert weiterverbreitet? Darauf hätte man schon gerne eine Antwort gehabt. Und zwar BEVOR die Streichung der Abstandsregel in Aussicht gestellt wurde.

Es wäre jetzt an der Zeit, dass die Kultusminister ehrlich bekennen: Niemand weiß, wie das Experiment Schulöffnungen ausgeht – auch sie nicht. Ein solches Eingeständnis hätte allerdings eins zur Folge: Die Zeit einsamer Entscheidungen wäre vorbei. Betroffene – also Schüler, Eltern und Lehrer – müssten zwingend in die Planungen einbezogen werden. Die GEW und der VBE fordern seit Wochen “runde Tische”. Die wären tatsächlich dringend geboten, um mit Blick aufs nächste Schuljahr endlich voranzukommen. Die KMK allein, das hat sie spätestens jetzt bewiesen, ist mit der Krise überfordert.

Der Autor

Der Journalist und Sozialwissenschaftler Andrej Priboschek beschäftigt sich seit 25 Jahren professionell mit dem Thema Bildung. Er ist Gründer und Leiter der Agentur für Bildungsjournalismus – eine auf den Bildungsbereich spezialisierte Kommunikationsagentur, die für renommierte Verlage sowie in eigener Verantwortung Medien im Bereich Bildung produziert und für ausgewählte Kunden Content Marketing, PR und Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Andrej Priboschek leitete sieben Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit des Schulministeriums von Nordrhein-Westfalen.

News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek, Gründer und Leiter der Agentur für Bildungsjournalismus. Foto: Tina Umlauf

In eigener verlegerischer Verantwortung bringt die Agentur für Bildungsjournalismus tagesaktuell News4teachers heraus, die reichweitenstärkste Nachrichtenseite zur Bildung im deutschsprachigen Raum mit (nach Google Analytics) in den vergangenen drei Monaten jeweils mehr als 1.000.000 Leserinnen und Lesern monatlich und einer starken Präsenz in den Sozialen Medien und auf Google. Die Redaktion von News4teachers besteht aus Lehrern und qualifizierten Journalisten. Neben News4teachers produziert die Agentur für Bildungsjournalismus die Zeitschriften „Schulmanager“ und „Kitaleitung“ (Wolters Kluwer) sowie „Die Grundschule“ (Westermann Verlag). Die Agentur für Bildungsjournalismus ist Mitglied im didacta-Verband der Bildungswirtschaft.

Hier geht es zur Seite der Agentur für Bildungsjournalismus.

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Tepe fordert von Kultusministern, das nächste Schuljahr endlich „seriös“ vorzubereiten – unter Mitwirkung der Lehrerschaft

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