WIESBADEN. In Hessen beginnen heute die Sommerferien; im kommenden Schuljahr soll der Schulbetrieb dann – wie in den übrigen Bundesländern auch – im „weitgehend regulären Präsenzunterricht“ stattfinden, wie Kultusminister Alexander Lorz (CDU) in dieser Woche angekündigt hatte. Die GEW warnt allerdings davor, allein auf das Prinzip Hoffnung zu setzen. Die Lehrergewerkschaft fordert einen Plan B. Sie hält es für unerlässlich, die Schulen auf einen erneuten Wechsel aus Präsenzphasen und dem Lernen zu Hause auch im kommenden Schuljahr vorzubereiten.
Bei einem erneuten Anstieg der Infektionszahlen, den leider niemand ausschließen kann, könnte sich die Aufhebung des Abstandsgebots in den wieder in voller Größe unterrichteten Klassen schnell nicht mehr aufrecht erhalten werden, meint Birgit Koch, eine der beiden Vorsitzenden der GEW Hessen. Sie stell dazu fest: „Das Ministerium handelt nach der Devise: ‚Es wird schon alles gut gehen.‘ Auch wir hoffen das. Aber diese Hoffnung kann nicht alleinige Richtschnur für die Entscheidungen der Landesregierung sein. Leider hat das Ministerium keinen Plan B vorgelegt und trifft auch keine Vorbereitungen für eine mögliche zweite Welle der Pandemie.“
Die Kultusministerkonferenz hatte Mitte Juni erklärt, dass sie für nach den Sommerferien einen regulären Schulbetrieb nach geltender Stundentafel anstrebt. Dafür solle die Abstandsregelung von 1,5 Metern entfallen, insofern es das Infektionsgeschehen zulässt. Das gilt auch für Hessen.
Gute Erfahrungen mit Schulöffnungen? GEW: “unseriös”
Birgit Koch weist darauf hin, dass die von Lorz behaupteten, angeblich guten Erfahrungen mit der vollen Öffnung der Grundschulen seit der vergangenen Woche nicht zur Rechtfertigung dieser Entscheidung taugen: „Solange wir im öffentlichen Raum, in der Straßenbahn oder im Geschäft Masken tragen sollen, halten wir einen Regelbetrieb unter ganz normalen Bedingungen mit vollen Klassen für sehr gefährlich. Wenn der Kultusminister jetzt von positiven Rückmeldungen nach der Aufhebung des Abstandsgebots an den Grundschulen spricht und diese zur Begründung für seine Planungen heranzieht, dann ist das unseriös. Ob es unter diesen Bedingungen zu vermehrten Infektionen gekommen ist oder nicht, können wir frühestens zehn bis vierzehn Tage nach Schulende wissen.”
Die GEW fordert, die Voraussetzungen für eine optimale Kombination von Präsenzlernen und Lernen auf Distanz möglichst rasch zu schaffen. „Die schon zuvor bestehenden Defizite bei der Schulsanierung, dem Lehrkräftemangel und der Digitalausstattung der Schulen haben sich in der Pandemie bitter gerächt. Daher ist nun schnellstmögliches Handeln erforderlich, etwa bezüglich der Ausstattung von Pädagoginnen und Pädagogen wie auch von Schülerinnen und Schülern mit digitalen Endgeräten, des raschen Ausbaus des Schulportals und der schulrechtlich verbindlichen Regelung von unterrichtsersetzenden Lernsituationen.“ Trotz der angekündigten Rückkehr zum Regelbetrieb dürfe nun keinesfalls beispielsweise die Anschaffung von digitalen Endgeräten aus dem Sofortprogramm und aus dem DigitalPakt von den Schulträgern auf die lange Bank geschoben werden, heißt es.
Erfahrungen mit Schulöffnungen in anderen Ländern mahnen zur Vorsicht
„Zum jetzigen Zeitpunkt weiß niemand, wie sich das Infektionsgeschehen Mitte August darstellen wird“, sagt auch die zweite im GEW-Führungsduo, Maike Wiedwald, mit Blick auf das kommende Schuljahr. „Die regionalen Ausbrüche in den letzten Tagen erinnern uns daran, dass der Corona-Virus keineswegs aus Deutschland verschwunden ist, auch wenn die Fallzahlen in Hessen bislang zum Glück nach wie vor niedrig sind. Auch die besorgniserregenden Entwicklungen in anderen Ländern wie Israel oder Australien, die sich nach einem erfolgreichen Lockdown recht schnell wieder geöffnet haben, rufen uns eindringlich ins Gedächtnis, vorsichtig zu bleiben.“
Wiedwald dazu: „Wir können den dringenden Wunsch vieler Eltern, dass die Schulen möglichst bald wieder zum Regelbetrieb zurückkehren mögen, sehr gut nachvollziehen. Als Bildungsgewerkschaft ist es uns ein wichtiges Anliegen, dass Schulen so viel Präsenzunterricht wie möglich durchführen können. Die Verantwortung für die Gesundheit aller in der Schule darf dabei jedoch auf keinen Fall zu kurz kommen. Und die Schulen müssen systematisch darauf vorbereitet werden, dass auch im kommenden Schuljahr ein Wechsel aus Präsenzunterricht und dem angeleiteten Lernen zu Hause notwendig werden kann. Die Zeit über die Sommerferien muss jetzt genutzt werden, um die Schulen so gut wie möglich für das kommende Schuljahr unter dem Vorzeichen der Pandemie aufzustellen.“
GEW stellt Forderungen für die kommenden Sommerferien
Aus Sicht der GEW Hessen müssen unter anderem die folgenden Herausforderungen in den kommenden Ferienwochen mit Hochdruck angegangen werden:
- „Die Sanitäranalgen an vielen Schulen müssen umgehend instandgesetzt und ausgebaut werden, um allerorts die Voraussetzungen zur Einhaltung der Hygieneregeln zu schaffen.
- Die Schulträger müssen im Rahmen des Digitalpakts und des Sofortprogramms rechtzeitig bis zum Schuljahresbeginn ausreichend mobile Endgeräte anschaffen, die dann den Schülerinnen und Schülern bei Bedarf zur Verfügung gestellt werden können.
- Das Kultusministerium muss die schulrechtlichen Voraussetzungen für ein strukturiertes und angeleitetes Lernen auf Distanz schaffen, etwa indem dieses in der Stundentafel abgebildet wird.
- Die Lehrkräfteakademie muss ein attraktives Fortbildungsangebot schaffen, insbesondere zu didaktischen Konzepten für den Einsatz digitaler Medien im Fachunterricht.“
Maike Wiedwald erinnert daran, dass alle kurzfristig, mittelfristig und langfristig erforderlichen Entscheidungen im Dialog mit den Eltern- und Schülervertretungen, Bildungsverbänden, Gewerkschaften, Personalvertretungen, den Schulträgern und den Schulämtern erfolgen müssen. Die GEW-Vorsitzende: „In den vergangenen Wochen wurden alle unmittelbar an Schule Beteiligten immer wieder von einsamen Entscheidungen des Kultusministers überrumpelt, die sie dann in kürzester Zeit umzusetzen hatten. Wir wünschen uns für die Zukunft mehr Austausch und mehr Zeit zur Umsetzung aller weiteren Schritte an den Schulen.“ News4teachers
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