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„Strotzt nur so vor paradoxen Vorgaben“: VBE zerreißt Hubigs Hygieneplan für den Unterricht im kommenden Schuljahr

MAINZ. Die Lehrergewerkschaft VBE hat den neuen Hygieneplan für die Wiederaufnahme des Regelbetriebs an den Schulen scharf kritisiert, den die rheinland-pfälzische Bildungsministerin und KMK-Präsidentin Stefanie Hubig (SPD) gestern veröffentlicht hatte – und der wohl dem entspricht, was auch andere Bundesländer vorlegen werden. «Der neue Hygieneplan strotzt nur so vor paradoxen Vorgaben», erklärte VBE-Landesvorsitzender Gerhard Bold am Donnerstag in Mainz. Zum Beispiel: «Es ist kaum nachvollziehbar, wieso die Abstandsregeln im Supermarkt, öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Pausenhof, in Schulfluren, aber plötzlich nicht mehr im Klassenraum selbst gelten sollen.»

Bieten die neuen Hygienevorgaben einen Schutz vor Corona-Infektionen? Lehrerinnen und Lehrer zeigen sich skeptisch (Symbolbild). Foto: Shutterstock

Rheinland-Pfalz ist eines der ersten Bundesländer, das eine neue Fassung der Hygieneverordnung für das kommende Schuljahr vorgelegt hat. Diese dürfte in etwa dem entsprechen, was bundesweit nach den Sommerferien in den Schulen gelten soll. (News4teachers berichtete bereits umfassend über das neue Regelwerk – hier nachzulesen.) Die neue Verordnung gilt in Rheinland-Pfalz ab dem 1. August und sieht Maßnahmen vor, die einen regulären Unterricht gewährleisten sollen – gleichzeitig aber die allgemein gültigen Hygieneregeln für das öffentliche Leben teilweise außer Kraft setzen, wie der VBE moniert. Der Verband sieht die Anpassung des Hygieneplans kritisch.

Schwangere Schülerinnen werden anders behandelt als schwangere Lehrerinnen

„Erneut hat sich Stefanie Hubig nicht mit Ruhm bekleckert“, sagt Landesvorsitzender Gerhard Bold. „Die Einwände und Verbesserungsvorschläge demokratisch gewählter Personalvertretungen wurden zwar freundlich zur Kenntnis genommen, finden sich im veröffentlichten Hygieneplan dann aber doch nicht wieder. Die Aktualisierungen legen viele Widersprüche offen: So bekommen schwangere Schülerinnen das Angebot des Fernunterrichts, während schwangere Lehrerinnen weiterhin im Präsenzunterricht eingesetzt werden sollen“, so Bold. „Auch scheint das Lüften der Räume das neue Händewaschen zu sein.“ Soll wohl heißen: eine billige Maßnahme, für deren Umsetzung allein die Kollegien zu sorgen haben.

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Tatsächlich finden sich im Hygieneplan keinerlei Vorgaben für die Schulträger zum Einbau von Lüftungsanlagen. Die Verantwortung für die Frischluftzufuhr im Unterricht tragen allein die Lehrer. „Es ist auf eine intensive Lüftung der Räume zu achten. Mindestens alle 45 Minuten ist eine Stoßlüftung bzw. Querlüftung durch vollständig geöffnete Fenster über mehrere Minuten vorzunehmen, wenn möglich auch öfter während des Unterrichts. Eine Kipplüftung ist weitgehend wirkungslos, da durch sie kaum Luft ausgetauscht wird.“ Weiter heißt es lapidar: „Können aufgrund baulicher Gegebenheiten Fenster in einem Raum dauerhaft nicht geöffnet werden, ist er für den Unterricht nicht geeignet, es sei denn, es ist eine effektive raumlufttechnische Anlage (Lüftungsanlage) vorhanden.“

Diese Vorgaben zum Lüften entsprechen den bereits schon seit Monaten in allen Bundesländern geltenden Richtlinien. Die Erkenntnislage ist allerdings mittlerweile eine andere, wie Prof. Christian Drosten, Chef-Virologe an der Berliner Charité bereits vor gut einem Monat erklärt hatte (News4teachers berichtete darüber in einem großen Beitrag – hier geht es hin). Das Coronavirus wird nämlich wohl häufiger als zunächst angenommen über Kleinstpartikel – sogenannte Aerosole – übertragen, die minutenlang in der Luft schweben. Drosten hatte deshalb “bessere Richtlinienwerke für bestimmte ganz wichtige gesellschaftliche Bereiche wie zum Beispiel jetzt die Schulen und die Kindertagesstätten” gefordert. Drosten: “Da muss etwas geschehen.“ Schon Ventilatoren in Klassenräumen könnten helfen. Im neuen Hygieneplan findet sich dazu aber: nichts.

“Alles so zurechtbiegen, damit Schule irgendwie laufen kann”

Bold betont nun: „Wenn man all diese absurden Maßnahmen ausklammert, die – wie es scheint – alles so zurechtbiegen sollen, damit Schule irgendwie laufen kann, dann braucht es dennoch mehr Personal, um den regulären Unterricht auch gewährleisten zu können! Wenn selbst die Ministerin medienwirksam nach Lehrkräften und Vertretungspersonal für das neue Schuljahr sucht, steht sie längst mit dem Rücken zur Wand.“ Hubig hatte erklärt, zurzeit stehen 13 Prozent der Lehrkräfte nicht zur Verfügung. Sie gehe davon aus, dass dieser Anteil zu Beginn des Schuljahres geringer sei.

Bereits bei den Schulöffnungen im Mai waren die Maßnahmen der KMK aus Sicht der Lehrer unbefriedigend, wie eine aktuelle bundesweite Umfrage im Auftrag des VBE zeigt (News4tachers berichtete ausführlich über die Ergebnisse – hier geht es zum Bericht).

Beckmann: Warum fehlen Plexiglasscheiben in den Klassen?

VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann schimpft mit Blick auf die Umfrage: „Die Kultusministerien ordnen die Aufhebung des Abstandes an, während sich jede dritte Lehrkraft durch die bestehenden Hygiene- und Schutzmaßnahmen jetzt schon nicht ausreichend geschützt fühlt. Es wird zu wenig getan, um den veränderten Bedingungen gerecht zu werden. Eine einfache und effektive Möglichkeit, wie sie auch in Supermärkten und Arztpraxen eingesetzt wird, ist das Aufstellen von Plexiglasscheiben. 78 Prozent der Lehrkräfte berichten aber, dass es das nicht gibt. Zudem sagt jede dritte Lehrkraft, dass die Lehrerinnen und Lehrer selbst Räume putzen, um den höheren Rhythmus bei der Reinigung zu gewährleisten.“ Damit, so Beckmann, würden die Kultusministerien die Lehrkräfte noch zusätzlich verprellen. „Anstatt ein angemessenes Arbeitsumfeld mit ausreichend Zeit für Bildung und Erziehung zu schaffen, bekommen Lehrkräfte den Putzeimer in die Hand gedrückt.“

Und jetzt sollen sie zusätzlich noch: Lüften. News4teachers

Der Berliner Hygieneplan

Die Berliner Bildungsverwaltung hat bereits in der vergangenen Woche einen Hygieneplan für die Schulen im kommenden Schuljahr herausgegeben. Der unterscheidet sich in wesentlichen Punkten nicht von dem rheinland-pfälzischen – in Details schon.

Auch im Berliner Hygieneplan sind widersprüchliche Vorgaben auszumachen. So heißt es:

  • “Die Mindestabstandsregel von 1,5 Metern wird für alle unmittelbar im Bereich Schule tätigen Personen (Schülerinnen und Schüler sowie Dienstkräfte) in der Schule und im Rahmen schulischer Veranstaltungen aufgehoben. Wo immer es möglich ist, soll der Mindestabstand eingehalten werden. Dies gilt insbesondere auch für die Aufenthaltsräume für das pädagogische Personal.”
  • “Die Beibehaltung der Abstandsregeln der Dienstkräfte untereinander wird empfohlen. Bei Dienstbesprechungen und Sitzungen weiterer schulischer Gremien sowie Eltern- und Schülerversammlungen soll ein Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten werden, soweit die Umstände dies zulassen. Andernfalls wird den Beteiligten dringend empfohlen, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.”
  • “Die Klassenverbände / Lerngruppen sollten sich, soweit dies organisatorisch möglich ist, nicht untereinander vermischen, sondern als feste Gruppen im Lehrbetrieb zusammenbleiben. Auch außerhalb der Schule sollten keine Kohorten-übergreifenden Kontakte stattfinden.”

Wie Lehrer verhindern sollen, dass Schüler außerhalb der Schule “Kohorten-übergreifenden Kontakte” pflegen, bleibt allerdings offen.

Hier geht es zum vollständigen “Musterhygieneplan Corona für die Berliner Schulen”.

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Philologen verlangen von Hubig eine ehrliche Debatte um Corona-Risiken für Schüler und Lehrer – und: einen Milliarden-Pakt für die Schulen!

 

 

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