DÜSSELDORF. „So“, sagte die Ministerin entschlossen, nachdem sie ein Level in ihrem Handyspiel erfolgreich beendet hatte. Sie schaute dem Staatssekretär, der soeben neueste Zahlen zum Infektionsgeschehen vorgetragen hatte, freundlich an. „Was müssen wir tun, damit wir die Schulen und das alles endlich öffnen können?“ – News4teachers-Leser Olaf Nolden hat im Leserforum von News4teachers eine Glosse gepostet, die wir für überaus gelungen halten – und deshalb gerne noch einmal hier einem größeren Publikum vorstellen möchten.
„Nun“, hob der Staatssekretär etwas irritiert an, denn er hatte gerade erzählt, dass alle Indizien auf eine dritte Welle mit einer extrem ansteckenden Virusvariante hindeuteten, „wir benötigen mindestens alle zwei Tage verpflichtende Tests von Schülern und Lehrern.“ – „Und Schülerinnen und Lehrerinnen!“, ergänzte die Ministerin. „Ja, natürlich. Entschuldigung“, sagte der Staatssekretär und versuchte, konzentriert zu bleiben. „Außerdem muss allen Lehrern ein schnelles Impfangebot gemacht werden.“ „Uuuund“, sprang die Ministerin ein. „Und allen Lehrerinnen, natürlich „, schob der Staatssekretär eilig hinterher.
“Bereiten Sie bitte eine Pressemeldung vor, die klarstellt, dass Bildungsgerechtigkeit blabla, Sie wissen schon”
Zufrieden lehnte sich die Ministerin in ihren Bürosessel zurück. Sie störte sich ein wenig an der Plexiglasscheibe, die am Schreibtisch befestigt war und Besucher oder Staatssekretäre leicht verschwommen aussehen ließ, da nur alle zwei Tage die Scheibe geputzt wurde. „Gut, so machen wir das, denn die Schulen müssen endlich wieder öffnen.Veranlassen Sie alles Nötige“ sagte sie zu ihrem besten Mann, bedeutete ihm, den Raum zu verlassen und griff zum Telefon.
„Pressestelle des Ministeriums für Bild..“ „Jaja, weiß ich“, unterbrach die Ministerin, „ich leite den Laden hier. Bereiten Sie bitte eine Pressemeldung vor, die klarstellt, dass Bildungsgerechtigkeit blabla und Wichtigkeit der sozialen Struktur blabla, Sie wissen schon. Und dann verkünden wir, dass am Montag die Schulen wieder öffnen. Details klären Sie mit dem Staatssekretär, erster Entwurf um 10 Uhr auf meinem Schreibtisch.“ Sie legte auf, erhob sich aus dem Sessel und ging zum Fenster, das einen so wunderbaren Blick auf den Rhein bot. Erste Frühlingsboten zeigten sich an den Sträuchern, Zugvögel waren am Himmel zu sehen. „Ihr kehrt zurück und meine Lehrkräfte auch“, dachte sie und seufzte zufrieden.
Wenig später lag der Entwurf der Pressemeldung auf ihrem Schreibtisch. Sie setzte sich mit Rotstift bewaffnet in den bequemen Sessel und begann zu lesen. An manchen Stellen musste sie kichern, es war bewundernswert, wie die Pressestelle mit salbungsvollen Worthülsen die Ahnungslosigkeit wegschreiben konnte. An einigen Absätzen machte sie Notizen, hie und da ein Ausrufezeichen und überlegte einen Moment, wo beim Wort Rhythmus das h hinkommt.
Das Telefon klingelte. Es meldete sich der Staatssekretär. „Es gibt Probleme bei der Beschaffung der Selbsttests, offenbar gibt es nicht genügend, um 2,5 Millionen Schüler alle zwei Tage zu testen“.
„Gerüchte von der linken Kampfpresse, die mal wieder alles schlechtreden will, interessieren mich nicht“
„Ich will keine Probleme hören, sondern Lösungen!“, zitierte die Ministerin aus dem Ministerhandbuch, das in der wirtschaftsliberalen Ausgabe immer neben dem Telefon lag. Kapitel 3, Wichtige Kompetenzen im Umgang mit Bedenkenträgern. „Wie oft könnte denn dann getestet werden?“, fragte sie ungeduldig.
„Nun, alle zwei Wochen einmal etwa. Wenn man die Tests freiwillig machen lässt, jede Woche“, rechnete der Staatssekretär vor.
Das wäre ein Anfang, dachte die Ministerin. Sie sah durch das Fenster einen weiteren Schwarm Zugvögel vorbeifliegen. „Na gut, wir können sowieso niemanden zwingen, die Tests zu machen, wir sind ein liberales Land und können immer nur Angebote machen.“ Das Ministerhandbuch bot für jede Gelegenheit den passenden Spruch.
Sie notierte auf dem Entwurf der Pressemeldung an der entsprechenden Stelle, dass – wie war das noch gleich? – jede Woche zwei freiwillige Tests pro SuS vorgesehen seien. Das Wort „freiwillig“ unterstrich sie zweimal und setzte noch ein Ausrufezeichen hinzu.
„Da wäre noch etwas“, machte sich der Staatssekretär vorsichtig bemerkbar. „Es gibt Gerüchte, dass der Impstoff von AstraZenica möglicherweise in Einzelfällen gegebenenfalls möglicherweise schwere Komplikationen hervorrufen könne…“ Er machte eine Sprechpause und wartete auf eine Reaktion.
„Gerüchte von der linken Kampfpresse, die mal wieder alles schlechtreden will, interessieren mich nicht“, hörte er seine Chefin schließlich sagen, dann machte es „klick“. Er schaute den Telefonhörer an, lauschte noch einmal, vernahm aber nur das rauschende Blut in seinen Ohren und legte auf.
„BILDUNG HAT VORRANG“, hatte die Ministerin gesagt und alle Einwände vom Tisch gewischt
Er wusste gerade nicht, wo ihm der Kopf stand, seine Mitarbeiter berichteten laufend von neuen Problemen bei der Beschaffung von Testkits, es gab noch keine wirklich sinnvolle Teststrategie, die nicht in einem kompletten Desaster enden würde und ihm war völlig unklar, wie bis Montag alles so geregelt werden könnte, was noch zu regeln war. „BILDUNG HAT VORRANG“, hatte die Ministerin gesagt und die Einwände, dass das im Distanzunterricht doch ganz gut klappen würde und man sich jetzt doch eher damit beschäftigen solle, wie man das Schuljahr geordnet nach den Sommerferien nachholen könne, vom Tisch gewischt. „Wir müssen die Schulen öffnen“, hieß die Vorgabe.
Sie hatten alle Voraussetzungen zusammengetragen, die eine Öffnung verantwortungsvoll ermöglichen könnte, doch nun erwies sich alles als Luftschloss. Luftfilter zu teuer und nicht gerecht zu verteilen, Tests nicht ausreichend vorhanden, Testpersonal schon gar nicht, Inzidenzwerte rapide steigend…Seit Tagen arbeitete er an der nächsten Schulmail, doch jeden Abend stellte er fest, dass dieser oder jener Absatz keine Grundlage mehr hatte.
Die wütenden Mails der Schulleiter las er schon gar nicht mehr, für die Emails der Eltern hatte er sich schon einen eigenen Ordner angelegt, in den die Nachrichten ungelesen verschoben wurden.
„Meine Sorge ist, dass wir erneut Verschärfungen beschließen müssten, bevor die neuen Lockerungen richtig umgesetzt sind“, hatte er der Ministerin gesagt. Sie hatte ihn daraufhin finster angeschaut und mit bissigem Ton gesagt, dass er für so umfassende Beurteilungen kein Mandat hätte und er sich auf die Lösung seiner – sie hatte dieses Wort merkwürdig betont – Aufgabe konzentrieren solle.
Spätestens an dieser Stelle, so war er sich sicher, würde jeder merken, dass das alles Unsinn ist
Also schrieb er eine weitere Fassung der Schulmail, hoffte, dass der eine oder die andere Schulleiter*in den Subtext verstehen würde und vertraute ansonsten auf den gesunden Menschenverstand der Eltern, die angesichts der Faktenlage ihre Kinder einfach nicht zur Schule schicken würden. Er verstieg sich sogar zu absurden Formulierungen bei der Beschreibung der Abläufe bei den Selbsttests, bei denen zunächst alle Kinder im Klassenraum versammelt werden sollten, um dann unter Anleitung der ungeschulten Lehrkraft einen Test vorzunehmen. Spätestens an dieser Stelle, so war er sich sicher, würde jeder merken, dass das alles Unsinn ist.
Er setzte darauf, dass die Städte Widerstand leisten würden und sich einfach dieser völlig abwegigen Öffnungsstrategie – in Gedanken setzte er Anführungszeichen zwischen das Wort Strategie – verweigern würden. Zufrieden schickte er die Mail ab, schaute auf die Uhr, machte Computer und Licht aus und ging nach Hause. Er würde an diesem Freitag mal vor 23 Uhr zuhause sein, freute er sich.
Wir veröffentlichen Leserkommentare in der Regel in den Foren unter unseren Beiträgen – mitunter allerdings auch als Gastbeiträge, wenn wir sie einem breiteren Publikum vorstellen möchten.
News4teachers ist mit im Schnitt mehr als 100.000 Seitenaufrufen am Tag Deutschlands größtes Nachrichtenmagazin für die Bildung – und es versteht sich auch als Diskussionsmedium. Wir freuen uns über jeden Leserbeitrag, der dazu beiträgt, unterschiedliche Perspektiven zu den Themen unserer Beiträge darzustellen.
Für die Veröffentlichung gelten ein paar Regeln, die sich im Grundsatz nicht von denen unterscheiden, die im normalen menschlichen Miteinander gelten – hier sind sie nachzulesen. Besonders interessante Posts – wie den oben stehenden – veröffentlichen wir dann gerne auch als Gastbeitrag im redaktionellen Teil von News4teachers. Jeder und jede, der oder die sich für die Bildung engagiert, ist herzlich eingeladen, sich (auch anoynm) an den Debatten zu beteiligen. Jeder Beitrag auf News4teachers ist frei zur Diskussion. Natürlich auch dieser.
„Bleibt nur die Notbremse“: Eine Lehrkraft rechnet mit ihrer Schulministerin ab!
