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Entrechtete Lehrer: “Allein die Tatsache, dass wir hier nicht mit unseren Klarnamen schreiben (uns trauen zu schreiben), sagt viel aus!”

BERLIN. Unsere dreiteilige Serie “Entrechtete Lehrer” – Wie der eingeschränkte Grundrechtschutz von Beamten auf die Arbeitsbedingungen in der Schule wirkt – hat ein breites Echo ausgelöst. Sie wird (durchaus kontrovers) diskutiert. Liegt es wirklich mit am Beamtenrecht, dass der Staat in der Corona-Krise den Gesundheitsschutz für sein pädagogisches Personal so vernachlässigen konnte? News4teachers-Leser “kanndochnichtwahrsein” hat dazu einen eindrücklichen Kommentar verfasst, den wir gerne einem größeren Publikum vorstellen möchten – und den wir hier deshalb noch einmal präsentieren.

Freie Meinungsäußerung – schwierig für Lehrkräfte. Illustration: Shutterstock

Hier geht es zum ersten Teil des Beitrags „Entrechtete Lehrer“: Wie das Beamtengesetz den Grundrechtsschutz seiner Staatsdiener einschränkt.

kanndochnichtwahrsein, 30. Mai 2021 um 08:14 Uhr

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Mit vielen Einschränkungen der Würde haben wir uns abgefunden, haben gelernt damit umzugehen, das Beste draus zu machen – um der Schüler willen und weil wir den Beruf ja nicht aus einer Laune heraus ergriffen haben.

Uns wird vermittelt, es sei eben so und nicht zu ändern, man droht mit Disziplinarverfahren – und das nicht wegen Dingen, die man als „Dienstvergehen“ nachvollziehen könnte, wegen Dingen, die auch in anderen Berufen zum Rauswurf führen wie Sexuelle Belästigung, Diebstahl, Körperverletzung etc., sondern wegen beispielsweise dem Ansinnen, mit einem höheren Dienstvorgesetzten bezüglich eines sachlichen Missstandes Kontakt aufnehmen zu wollen, um Abhilfe zu suchen…

Die Würde wird verletzt, wenn Stellen gestrichen werden, wenn Unterricht nicht mehr geregelt stattfinden, nicht mehr den Bedürfnissen der Schüler angepasst werden kann, wenn man einem Kind vermitteln muss, dass keine Zeit ist, dass wir die Anforderungen nicht machen, wenn wir Eltern und Schülern nicht sagen dürfen, dass wir sehr wohl wissen, dass viele Kinder total überfordert sind, dennoch aber durch das System geschleust werden, um das „Image“ der Schule (vordergründig) nicht zu gefährden.

Das alles hat nichts mit Würde, nichts mit meinem pädagogischen Verständnis und meinem Berufsethos zu tun.

“Wir sind gezwungen, Kinder in gesundheitsgefährdende Situationen zu zwingen”

Aktuell sehe ich die Würde der Lehrer und Schüler jedoch in ganz neuer Dimension gefährdet: Wir sind gezwungen, Kinder in gesundheitsgefährdende Situationen zu zwingen. Wir müssen ihnen die Schulpräsenzpflicht vermitteln, sie im Zweifel durchsetzen, Verstöße verfolgen, wohl wissend, dass weder Schüler noch Lehrer nicht geschützt werden können, dass nicht mal wir selbst uns schützen können, dass es keine Luftfilter gibt, keine Impfungen, dass alle wie die Heringe nebeneinandersitzen müssen mit der Aussicht, im Zweifelsfall in der heißen Jahreszeit Wochen in Quarantäne zu verbringen. Wir Lehrer wissen, dass einige Schüler gerade unter dieser Aussicht besonders leiden, wissen sie doch, dass ihre Wohnverhältnisse nicht „quarantänetauglich“ sind, dass sie es kaum aushalten würden, nicht raus zu dürfen.

Als Lehrer lebe ich in dem Dilemma, zwar meinem Dienstherrn (wenn auch nicht unwidersprochen) gehorcht zu haben, die Kinder in die Schule gezwungen zu haben, sie damit aber Infektionsgefahren auszusetzen, die ich nicht kontrollieren kann, die mein Arbeitgeber/der Träger der Schule aus unerfindlichen Gründen nicht zu verändern gedenkt.
Im Zweifel fühle ich mich mitverantwortlich dafür, wenn in Familien (im besten Fall nur) Ängste, womöglich aufgrund der familiären und Wohnsituation aber unhaltbare Zustände ausgelöst werden, im schlimmsten Fall Todesfälle vorkommen. Gleichzeitig wird berichtet, dass unser Innenminister Firmen nicht erlaubt, von der Vorgabe abzuweichen, Homeoffice wo immer möglich anbieten zu müssen! Die Pandemie sei ja nicht vorbei!

Ja, eben! Die Pandemie ist nicht vorbei! Sie wird noch lange nicht vorbei sein!
Wir Lehrer sind sogar gezwungen, zu ihrer Verlängerung beizutragen.
Die Tatsache, vom Arbeitgeber Staat zum Werkzeug dieses Vorgehens gemacht zu werden, geht m.E. weit über das Ausmaß hinaus, das vor Grundgesetz und Charta der Menschenrechte/Charta der Grundrechte der Europäischen Union als „Dienstpflicht“ verkauft werden dürfte! Aber vielleicht habe ich da als nicht juristisch ausgebildete Person einfach nur Illusionen…

Ich würde als letztes und geringstes Mittel, in der Pandemie ein bisschen Würde der Lehrer und der Schüler und ihrer Familien zu wahren, doch von meinem Dienstherrn erwarten, dass die Präsenzpflicht aufgehoben würde! Damit hätten Eltern und Schulen ein Minimum an Freiheit, angepasste Modelle unter bestmöglicher Wahrung der Würde des Einzelnen zu ersinnen.

“All das wirkt auch auf unsere Arbeit, auf die Schule, auf die Schüler. Das dürfte nicht sein!”

Auf die Weise würde der Dienstherr zwar nicht seiner Fürsorgepflicht nachkommen (denn das ist die Kehrseite, die Pflicht, die aus dem Beamtentum und auch dem Angestelltenverhältnis zwischen Lehrer und Staat erwächst), dieser aber auch nicht aktiv und m.E. grundrechtswidrig im Wege stehen. Allein die Tatsache, dass wir hier nicht mit unseren Klarnamen schreiben (uns trauen zu schreiben), sagt viel aus! Allein die Tatsache, dass wir jederzeit mit Sanktionen rechnen, wenn wir unserem Recht und unserer Pflicht zu remonstrieren nachkommen, sagt viel aus! All das wirkt auch auf unsere Arbeit, auf die Schule, auf die Schüler. Das dürfte nicht sein!! Das ist dem Umgang mit Kindern unwürdig.

Besonders schlimm: Wir verlieren die Festigkeit unserer Person, unserer Position, auch unseres Amtes, den Rückhalt unserer Dienststellen – werden angreifbar auf so vielen Ebenen, für so viele Beteiligte und eigentlich Unbeteiligte, dass Meinugen und Kräfte Einfluss gewinnen können, die in einer zur Neutralität, Gerechtigkeit und Offenheit gegenüber Persönlichkeit und Kulturen, Religionen und Weltanschauungen aufgerufenen Insitution wie der Schule nichts zu suchen haben!

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