BERLIN. Nach langem Zögern hat die Kultusministerkonferenz endlich eine von ihr in Auftrag gegebene Studie zum Infektionsgeschehen an Schulen veröffentlicht – kommentarlos. Das Schweigen der Kultusminister liegt offenbar darin begründet, dass die Ergebnisse der Untersuchung dem Postulat der angeblich „sicheren Schulen“ in der Pandemie deutlich widersprechen: Lehrkräfte haben über weite Zeiträume der Corona-Krise ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko gegenüber der übrigen Bevölkerung getragen. Bei Schülern scheint das zunehmend auch der Fall zu sein. Und: Schulschließungen sind ein effektives Instrument in der Pandemiebekämpfung. News4teachers fasst die Ergebnisse der Studie der Universität Köln und des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in zwei Teilen zusammen. Im Folgenden: Teil 2.
Hier geht es zu Teil 1 des Beitrags.
Zum Erkrankungsrisiko von Schülerinnen und Schülern schreiben die Autoren: „Systematische Übersichtsarbeiten, die die klinischen Merkmale und den Schweregrad während einer COVID-19-Erkrankung bei Kindern bewerten, berichten generell von einem milden Krankheitsverlauf bei Kindern. Der Anteil der asymptomatischen Kinder reichte von 20 % bis 78 %. (…) Der Anteil der Kinder, die einen Krankenhausaufenthalt und eine Aufnahme auf der Intensivstation benötigten, reichte von 1 bis 15 %: Dieser war sowohl bei Kindern unter einem Jahr (bis zu 30 % der Fälle) als auch bei Kindern mit mehreren Vorerkrankungen höher. Eine systematische Übersichtsarbeit über die Auswirkungen jeglicher Komorbiditäten auf die Sterblichkeit bei Kindern gab eine 1,8-mal höhere Sterblichkeit bei denjenigen mit Komorbiditäten an. Todesfälle bei Kindern im Schulalter mit COVID-19-Erkrankungen sind seltene Ereignisse und werden mit einer Häufigkeit von 0,01 % aller Kinder mit SARS-CoV-2-Infektion (16) berichtet.
Zur Beurteilung des Erkrankungsrisikos bei Schülern ist nicht nur die Betrachtung der akuten COVID-19-Erkrankung relevant, sondern auch mögliche Langzeitkomplikationen. Übersichtsarbeiten zu dem mit COVID-19 assoziierten multisystemischen Inflammationssyndrom bei Kindern (MIS-C) fassen über 950 Kinder mit diesem Syndrom zusammen. Es tritt in diesen Arbeiten in einem mittleren Alter von neun Jahren auf.“
Wirksamkeit von Schulschließungen: „Insgesamt zeigt sich in den Übersichtsarbeiten, dass Schulschließungen effektive Instrumente zur Eindämmung der Epidemie sind, allerdings nicht als Einzelmaßnahme. Zwei Studien analysierten die Wirksamkeit verschiedener nicht-pharmazeutischer Interventionsmaßnahmen (NPI) auf Fall- und Reproduktionszahlen auf Länderebene und werteten Schulschließungen als eines der effektivsten untersuchten Instrumente. In einer Studie werden die Effekte verschiedener NPI in 131 Ländern analysiert. Hier ist der Effekt der Schulschließung auf die Infektionsaktivität der Bevölkerung eine 15 %-ige Reduktion der effektiven Reproduktionszahl mit einem breiten 95 %-Konfidenzintervall, das sowohl eine 34 %-ige Reduktion als auch einen 10 %-igen Anstieg einschließt. Eine weitere Studie zeigte eine Reduktion des Rt um 38 % (16 bis 54 %) in 41 Ländern in der ersten Phase der Pandemie (48).
Die gefundenen Arbeiten zeigen auch, dass der Effekt von Schulöffnungen nicht die Umkehrung des Effekts von Schulschließungen ist. Beide Studien kommen zu dem Schluss, dass es eine erhebliche Heterogenität in den Wirksamkeitsmaßen und eine erhebliche regionale Variabilität gibt. Eine Übersichtsarbeit aus dem Januar 2021 bestätigt dies. Sie umfasst zehn Einzelstudien und weist ebenfalls auf eine hoch variable Wirksamkeit von Schulschließungen und -öffnungen in unterschiedlichen Regionen und unterschiedlichen infektionsepidemiologischen Situationen hin. Effekte von Schulschließungen in den eingeschlossenen Einzelstudien reichen hier von 0 bis 62 % Reduktion der Transmission in der Bevölkerung.
Die Auswirkung der Schließung oder teilweisen Schließung von Schulen auf die SARS-CoV-2- Gemeinschaftsübertragung lässt sich nicht direkt aus den Infektionen ableiten, die dem schulischen Umfeld zugeschrieben werden, da Schulschließungen weitere indirekte Effekte haben. Dazu gehört eine Verringerung der Infektionen bei Kindern oder Schulpersonal durch seltenere Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und weniger Freizeitkontakte sowie weniger Infektionen im Allgemeinen, da die Eltern zu Hause bleiben. Darüber hinaus werden Schulschließungen als Zeichen der Ernsthaftigkeit der Epidemie wahrgenommen und können persönliche Einschränkungen verstärken. Die verfügbare Evidenzsynthese beschreibt Schulschließungen aus dem ersten Teil der Pandemie, so dass Hinweise zum Effekt von Schulschließungen oder -öffnungen bei verstärkten Kontaktreduktionsmaßnahmen in Schulen oder zu späteren Zeitpunkten der Pandemie bei verminderter Akzeptanz vieler Kontaktreduktionsmaßnahmen in der Bevölkerung noch nicht vorliegen.“
Warnung vor Corona-Varianten: „In diese Arbeit konnten noch keine Informationen zu neueren, in der Übertragbarkeit veränderten Varianten von SARS-CoV-2 eingehen. Diese führen nach bisherigem Wissensstand insbesondere zu einer erhöhten Transmission und hätten somit Konsequenzen für die hier berichteten Erkenntnisse zu Transmissionsparametern und dem Effekt von Maßnahmen in Schulen auf die Transmission von SARS- CoV-2. Es gibt Hinweise, dass die Variante B.1.1.7 auch zu schwereren Verläufen führt. Inwieweit die erhöhte Transmission oder die schwereren Verläufe sich in unterschiedlichen Altersgruppen noch einmal unterscheiden, ist bisher nicht vollständig geklärt. Insbesondere die deutlich erhöhte Transmission führt aber dazu, dass deutlich effektivere Kontaktreduktionsmaßnahmen notwendig sind, um auch bei dieser Variante exponentielles Wachstum zu verhindern.
Aktuell gehen unterschiedliche Modellierungen davon aus, dass für eine Kontrolle der neuen Variante bei noch Überwiegen der alten Variante ein Rt von 0,7 notwendig ist; dieses wurde in Deutschland bisher nur mit sehr strengen Kontaktreduktionsmaßnahmen, die Schulschließungen beinhalteten, erreicht.“ News4teachers
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Hier lässt sich die vollständige Studie herunterladen.