DÜSSELDORF. Viele Eltern verzweifeln an der Politik der weit offenen und weitgehend ungeschützten Schulen – eine Mutter hat sich ein Herz gefasst und NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) angeschrieben. Sie hat diesen Brief auch im Leserforum von News4teachers veröffentlicht. Wir möchten ihm gerne ein größeres Publikum geben – und bringen ihn hier noch einmal als Gastkommentar.
Mutter aus NRW Edit
Sehr geehrte Frau Gebauer,
Das “sehr geehrte” in der Anrede fällt mir aktuell schwer und ist nur meiner guten Erziehung geschuldet und nicht etwa einer Art Respekt, den ich vor Ihnen oder Ihren Kollegen der KMK habe. Respekt muss man sich verdienen.
Vorneweg möchte ich erwähnen, dass ich in einem Punkt mit Ihnen einer Meinung bin: Unterricht findet am besten vor Ort in den Schulen statt.
Danach scheiden sich aber auch schon die Geister. Ich bin nämlich durchaus der Ansicht, dass dies nicht zu jedem Preis erfolgen muss, kann und darf.
Kinder und Jugendliche weisen seit längerem die höchsten Inzidenzen bundesweit auf. Da hilft es auch nicht, wenn Sie die Zahlen gerne in Prozent angeben, um zu belegen, dass es ja gar nicht so schlimm ist. Schulen und Kindergärten sind entgegen der von Ihnen und Ihren Kultusminister-Kollegen und -Kolleginnen gebetsmühlenartig wiederholten „Floskel“ keine sicheren Orte. Und im Übrigen schonmal erst recht keine “Bremsscheiben” oder “Hygienefilter”.
Meine 10-jährige Tochter musste zu Ihrer “Hygienefilter”-Aussage übrigens mal kurz hysterisch auflachen. (Hintergrund: Gebauer hatte im Landtag erklärt, Schulen wirkten als “Hygienefilter” in der Pandemie, d. Red.) Ich könnte Ihnen jetzt erklären warum, möchte Sie aber viel lieber bitten, doch mal ein paar Schulen zu besuchen. Und ich rede jetzt nicht von Neubauten oder Vorzeigeschulen, sondern von einer der zahllosen Schulen mit Modernisierungsstau. Die finden sie übrigens viel schneller als Erstgenannte, davon gibt es nämlich viel mehr. Und wenn Sie schon mal da sind, bleiben Sie doch bitte einen ganzen Schultag von 8 bis 16 Uhr, bei weit unter 20 Grad im Klassenraum wegen der ständig offenen Fenster.
Aber zurück zum Thema sichere Schulen. Wenn Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen sich da ja so sicher sind, dann stellen Sie sich doch bitte mal vor eine Kamera, lächeln so wie immer, und sagen öffentlich, dass Wissenschaftler, das RKI, die Leopoldina und die WHO alle zusammen lügen. Diese fordern nämlich, die Durchseuchung in Kitas und Schulen zu stoppen!
“Ich möchte nicht, dass mein Kind mit diesem Virus in Kontakt kommt, bevor es geimpft ist”
Ja, ich weiß, was als als nächstes kommt. Kinder erkranken ja kaum und wenn dann nur sehr, sehr selten schwer. Es ist mir relativ egal, wie oft oder selten. Ich möchte nicht, dass mein Kind mit diesem Virus in Kontakt kommt, bevor es geimpft ist. Es könnte nämlich doch sein, dass es erkrankt und, was noch wahrscheinlicher ist, dass es eventuell Long Covid bekommt.
Und ich weiß ja nicht, ob es Ihnen schon mal aufgefallen ist: Aber an Schulen gibt es nicht nur Kinder. Da gibt es auch Erwachsene. Ein Teil von denen gehört sogar zum besonders durch dieses Virus gefährdeten Personenkreis. Und diese Erwachsenen schicken sie mit der Schutzausrüstung Maske und regelmäßiges Lüften täglich viele Stunden in Hochrisikogebiete!?
Ja, ich weiß es gibt doch auch noch die regelmäßigen Tests. Bei den Pooltests sitzen die infizierten Kinder dann ja auch nur einen oder zwei Tage in der Klasse, bevor sie daraus gefischt werden. In der Zeit wird sich wohl das Virus nicht verbreiten. Außerdem haben die Kinder ja jetzt auch wieder Masken auf. Also außer beim Testen, Frühstück, Mittagessen, wenn sie etwas trinken, sich mal die Nase putzen müssen oder sich auf dem Schulhof anbrüllen. (Oder im Sportunterricht, auch da kann die Maskenpflicht ausgesetzt werden, d. Red.)
Über die durch Kinder selbst durchgeführten Schnelltests und deren Fehlerquote möchte ich gar nicht erst reden. Klar, Schulschließungen sind suboptimal. Will in Wirklichkeit auch keiner. Es gibt aber ja auch noch andere Möglichkeiten wie z. B. Wechselunterricht – da sind die Kontakte in den Schulen schlagartig halbiert und es hat auch noch den Vorteil, das die Menschen in den öffentlichen Verkehrsmitteln sich zu den Stoßzeiten nicht vorkommen wie in einer Sardiniendose.
Und ja, ich weiß auch, was jetzt für eine Aussage kommt. Bevor Kontakte in der Schule reduziert werden, müssen erst ALLE anderen Kontakte reduziert werden. Soll ich lhnen mal was sagen? Egal, ob 2G oder 3G oder was auch immer. Das sind zum großen Teil Erwachsene, sogar geimpfte Erwachsene, die eine Wahl haben. Die für sich selber das Risiko einschätzen und abwägen können, ob sie es eingehen wollen. Dank der Schulpflicht und Anwesenheitspflicht haben weder die Schüler, die Eltern, die Lehrer, Erzieher noch sonstige in Schule tätigen Menschen eine Wahl.
Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen der KMK spielen mit der Gesundheit all dieser Personen und deren Familien. Und das entgegen sämtlicher Warnungen aus der Wissenschaft.
“Beste Grüße von einer Mutter, die in einer Pandemie das Recht auf körperliche Unversehrtheit höher wertet als das auf Bildung “
Ihr Argument, dass Schulen keine Treiber der Pandemie sind, kenne ich auswendig. Ist aber auch praktisch, wenn es die einzigen Untersuchungen diesbezüglich aus Deutschland nur aus dem Sommer 2020 gibt, also aus einer Zeit, in der es überall kaum Infektionen gab. Vielleicht sollten Sie mal einen Blick in Nachbarländer werfen – die haben belastbarere Daten. Allerdings hat das RKI ja mittlerweile auch solche Daten. Die kann man dann aber ja wieder schön in Prozent angeben, um das Infektionsgeschehen klein zu reden.
Ich hatte noch eine letzte Hoffnung, und zwar das Sie zum Schutz aller die Weihnachtsferien auf den 20. Dezember vorverlegen. Von mir aus auch mit Notbetreuung. Aber auch diese letzte Möglichkeit zur Sicherstellung von halbwegs sicheren Weihnachtsfesten in den Familien haben sie heute ausgeschlossen. Das mag sie jetzt überraschen, aber in den letzten Tagen vor den Weihnachtsferien oder auch Sommerferien passiert in Schulen im allgemeinen nicht mehr so viel. Die paar Tage würden keine immensen Wissenslücken verursachen, aber zumindest ein Sicherheitspolster, was die Infektionen angeht, schaffen.
Und nein, vorgezogene Schulferien sind auch keine Schulschließungen wie im letzten Jahr. Wenn ich Sie da jetzt enttäuschen muss, aber Kinder und Jugendliche leiden nicht unter vier Tagen mehr Ferien. Auch die Schüler bekommen mit, was um sie herum passiert und machen sich Sorgen.
Ich hätte da aber noch einen letzten Vorschlag für Sie um zu verhindern, dass unter vielen Tannenbäumen Covid zu finden sein wird: Distanzunterricht! Alle sitzen zuhause in ihrer Quarantäne (oder wenn es absolut nicht machbar ist: in der Notbetreuung) und machen Online-Unterricht. Dann könnten zumindest auch wieder Weihnachtslieder gesungen werden. Das müssten sie dann aber bitte zeitnah entscheiden, damit die Schulen und Lehrer und Eltern noch Zeit haben, das halbwegs vernünftig zu organisieren. Also nicht erst am 17.12. mittags. Oder aber Sie heben zumindest die Anwesenheitspflicht auf, um eine Wahl zu ermöglichen, allerdings verhilft das den Lehrerinnen und Lehrern auch nicht zu einem sichererem Weihnachtsfest.
Beste Grüße von einer Mutter, die das Recht auf körperliche Unversehrtheit höher wertet als das Recht auf Bildung in Zeiten einer Pandemie.
Mit freundlichem Gruß
PS. Antwort erwarte ich ehrlich gesagt nicht. Bleibt wohl nur noch, das Kind krank zu melden. News4teachers
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Resignierter Lehrer: „Lemming-Eltern, schickt eure Kinder zu uns. Schulen sind sicher.“
Eine Mutter redet Klartext: Meine Kinder sitzen mit Angst im Präsenzunterricht!
