BERLIN. Karin Prien, Bildungsministerin von Schleswig-Holstein und neue Präsidentin der KMK, hat den Lehrerverbänden vorgeworfen, in der Corona-Krise dem Bild von Lehrkräften in der Öffentlichkeit zu schaden. VBE-Chef Udo Beckmann antwortet der CDU-Politikerin – höflich, aber bestimmt: „Es ist nicht unsere Aufgabe als Bildungsgewerkschaft, die Realität an den Schulen schön zu reden. Das überlassen wir gerne der Politik.“
In einem Interview mit der „Zeit“ wird Prien gefragt: „Wie hilfreich waren die Lehrerverbände und Gewerkschaften in der Pandemie?“ Ihre Antwort: „Da muss ich diplomatisch sein. In der Pandemie bestand die Chance, die Wertschätzung für den Lehrerberuf in astronomische Höhen zu katapultieren. Leider hat nicht jede Äußerung der Verbände dazu beigetragen, diese Chancen zu nutzen. Und die Haltung der Verbände hat oft wenig mit der Aufbruchsstimmung in vielen Schulen selbst zu tun.“
„Die anhaltende Coronapandemie fordert Schulleitungen und Lehrkräfte nun schon seit nahezu zwei Jahren über alle Maßen”
Der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann reagiert – indem er Prien zunächst mal zur Ernennung als KMK-Präsidentin gratuliert: „Ministerin Prien hat große Herausforderungen vor sich. Für deren Bewältigung wünschen wir ihr eine glückliche Hand, das nötige Augenmaß und die Durchsetzungskraft, die es in der aktuellen Situation braucht.“
Dann wird er deutlich: „Die anhaltende Coronapandemie fordert Schulleitungen und Lehrkräfte nun schon seit nahezu zwei Jahren über alle Maßen. Ich hoffe, dass es der KMK unter der neuen Führung endlich gelingt, bundeseinheitliche, klare, verlässliche und transparente Standards zu entwickeln, welche Maßnahmen beim jeweiligen Infektionsgeschehen zu ergreifen sind. Ich erwarte, dass diese Standards nicht weiterhin auf politischem Wunschdenken, sondern auf wissenschaftlich abgesicherten Empfehlungen basieren (Corona-Expertenrat der Bundesregierung) und von der Realität in den Schulen geprägt sind.“
Die Bewältigung der aktuellen Krise dürfe nach wie vor nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie lediglich bereits vor Corona bestehende strukturelle Schwächen schonungslos aufgedeckt und verstärkt hat.
Beckmann: „Die Probleme, unter denen die Schulen leiden, sind zum Teil hausgemacht. Dies gilt vor allem für den akuten Lehrkräftemangel, der sich ständig zu verschärfen scheint. Fast zwei Drittel aller Schulleitungen geben laut einer von forsa im Oktober 2021 im Auftrag des VBE durchgeführten repräsentativen Befragung an, dass sie mit Lehrermangel zu kämpfen haben. 2018 galt das nur für ein Drittel der Schulen! Hierauf bedarf es Antworten der KMK, die nachhaltig wirken. Dazu gehört aus unserer Sicht neben einer Anpassung der Studienkapazitäten vor allem eine Steigerung der Attraktivität des Berufsfelds durch bessere Arbeitsbedingungen, die Unterstützung durch multiprofessionelle Teams und ein besonderer Fokus auf den Gesundheitsschutz. Den von Ministerin Prien festgestellten deutlichen Digitalisierungsschub möchte ich deutlich relativieren. Wir haben in den Schulen zwar einen Ausstattungsschub erfahren, sind aber von einem Digitalisierungsschub aufgrund fehlender Fort- und Weiterbildungen trotz des hohen Engagements der Lehrkräfte leider noch immer weit entfernt.“
Es brauche zudem unter anderem Antworten darauf, wie im laufenden Schuljahr mit den unter Coronabedingungen erbrachten Schülerleistungen umgegangen und wie nachhaltig den psychosozialen Folgen der Coronapandemie bei Kindern und Jugendlichen entgegengewirkt werden soll. Auch wie sich die KMK zum im Koalitionsvertrag beschriebenen Kooperationsgebot aufstellt und wie der durch den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an der Grundschule entstehende zusätzliche Fachkräftebedarf eingelöst werden soll, bedarf einer schnellen Klärung!
“Die Politik berücksichtigt den tatsächlichen Schulalltag bei ihren Entscheidungen nicht hinreichend”
Beckmann abschließend: „Wenn Frau Prien im Interview mit der Zeit behauptet, die Haltung der Lehrerorganisationen habe nur wenig mit der Aufbruchstimmung in vielen Schulen zu tun, kann ich dazu nur feststellen, dass in den von forsa für den VBE seit 2016 durchgeführten repräsentativen Befragungen unter Schulleitungen und Lehrkräften vier von fünf Befragten feststellen, dass die Politik den tatsächlichen Schulalltag bei ihren Entscheidungen nicht hinreichend berücksichtigt und dass immer weniger Schulleitungen ihren Job weiterempfehlen würden.“
Richtig sei, Schulleitungen und Lehrkräfte täten vor und während der Pandemie alles in ihrer Macht Stehende, um den Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden. Und sie täten es trotz unzureichender Rahmenbedingungen und obwohl sie sich häufig von der Politik allein gelassen fühlen. Beckmann: „Unsere Aufgabe ist es, die Maßnahmen der Politik kritisch konstruktiv zu begleiten und unsere Expertise einzubringen, um mehr Arbeitszufriedenheit und mehr Bildungsgerechtigkeit zu erreichen. Das haben wir bisher getan und das werden wir auch weiterhin tun!“ News4teachers
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