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„Nicht akzeptabel“: Widerstand gegen den Durchseuchungskurs der Kultusminister wächst – auch in der Bundesregierung

BERLIN. Die Bundesländer – allen voran: KMK-Präsidentin Karin Prien (CDU) – sind auf Lockerungskurs. Dabei tobt Omikron nach wie vor in Kitas und Schulen. Gegen die Politik der Kultusminister, die eine Durchseuchung der Kinder und Jugendlichen augenscheinlich in Kauf nimmt, gibt es jetzt allerdings ernstzunehmenden Widerstand: Erst kritisiert der Corona-Expertenrat der Bundesregierung das laxe Krisenmanagement für die Bildungseinrichtungen, dann beziehen zwei Minister der Bundesregierung Stellung. Schließlich werden auch Lehrerverbände deutlich.

“Kinder bestmöglich vor einer Ansteckung schützen”: Die neue Bundesfamilienministerin Anne Spiegel. Foto: Nils Hasenau / BMFSFJ

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Karin Prien, mochte ihre Unlust, sich mit Corona-Schutzmaßnahmen herumzuschlagen, offenbar nicht länger verbergen. Sie forderte vor wenigen Tagen, das Testen an Schulen müsse «schrittweise enden». «Spätestens Ende März reichen wahrscheinlich auch zwei Tests pro Woche», sagte die CDU-Politikerin, die Bildungsministerin in Schleswig-Holstein ist. Schrittweise müsse die Testpflicht zur «Testmöglichkeit» werden. Auch die Maskenpflicht müsse nach und nach fallen, zuerst im Klassenraum am Platz, dann im Gebäude. «Wir müssen raus aus einer Kultur der Angst an den Schulen», befand Prien gegenüber der „Bild“-Zeitung. Tatsächlich haben bereits mehrere Bundesländer angekündigt, darunter Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, die Maskenpflicht im Unterricht zu streichen und die Testfrequenz auszudünnen.

“Um Kinder bestmöglich vor einer Ansteckung zu schützen, muss weiter regelmäßig und verbindlich getestet werden”

Dem stellt sich nun die Bundesregierung entgegen. Kinder und Jugendliche sollten nach Ansicht von Bundesfamilienministerin Anne Spiegel weiterhin regelmäßig auf Corona getestet werden. Sie stimme der jüngsten Empfehlung des Expertenrats der Bundesregierung uneingeschränkt zu, dass Schulen, Kitas und außerschulische Bildungs-, Freizeit- und Sporteinrichtungen für Kinder und Jugendliche offenbleiben müssten, sagte die Grünen-Politikerin. «Um sie allerdings bestmöglich vor einer Ansteckung zu schützen, muss weiter regelmäßig und verbindlich getestet werden.»

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Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kann dem Lockerungskurs der KMK wenig abgewinnen. Wie bei Erwachsenen gelte es, die Kinder in einen »geschützten Raum hinein« mitzunehmen und »nicht eine Durchseuchung in den letzten Monaten bis zum besseren Wetter« zuzulassen, mahnte der SPD-Politiker. »Das ist nicht akzeptabel.« Die Bundesregierung fordere weiter zu einem guten Schutz der Kinder auf. Dazu zählten bei den gerade noch hohen Inzidenzen »natürlich« auch Masken. Wie Spiegel begrüßte Lauterbach die Stellungnahme des Corona-Expertenrats der Bundesregierung. Er ärgere sich immer, wenn die Rede davon sei, dass Infektionen für Kinder unbedenklich seien oder gar unbedenklicher als Impfungen. »Das ist beides schlicht falsch.«

Hintergrund: Der Corona-Expertenrat der Bundesregierung hatte in seiner jüngsten Stellungnahme gefordert, dem Wohl von Kindern in der Pandemie eine hohe Priorität einzuräumen. Kinder und Jugendliche seien besonders stark belastet. Als besonders schwerwiegend wird die sogenannte sekundäre Krankheitslast durch psychische und physische Erkrankungen bezeichnet, ausgelöst etwa durch Lockdown-Maßnahmen, Belastungen in der Familie wie Angst, Krankheit, Tod oder Existenzverlust, Verlust an sozialer Teilhabe oder an Planungssicherheit. Kinder müssten vor Infektionen und damit vor Erkrankungen infolge der Pandemie geschützt werden.

Das Gremium habe ein extrem wichtiges Thema aufgegriffen und weise zu Recht darauf hin, dass die gesamte Gesellschaft den verantwortungsvollen Umgang mit Kindern und Jugendlichen in der Pandemie in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen müsse, sagt Spiegel. «Wir schulden es den Kindern und Jugendlichen, die Bedingungen für ein gesundes Aufwachsen für alle jungen Menschen nachhaltig zu verbessern.» Die Stellungnahme gebe wichtige Impulse, die man aufgreifen werde.

Das meint auch der VBE. Bundesvorsitzender Udo Beckmann: „Wir erwarten von den politisch Verantwortlichen, dass sie sich die Hinweise und Vorschläge des Expert:innenrates zu eigen macht. Dies gilt insbesondere für die Kritik an den drastischen und scheinbar willkürlichen Regelungen zwischen den Bundesländern und die Nichtbeachtung der S3-Leitlinien.“

Hintergrund hier: Unter Federführung von vier medizinischen Gesellschaften, der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie, der Deutsche Gesellschaft für Public Health, der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin sowie der Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie, waren die S3-Leitlinien von 27 Fachverbänden – darunter dem VBE – entwickelt und vor einem Jahr von der damaligen Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) vorgestellt worden. Auch das Robert-Koch-Institut (RKI) hatte mitgewirkt. Die Maßnahmenkatalog sieht bei hohem Infektionsgeschehen unter anderem Wechselunterricht vor. Aber: Kein Bundesland beachtet die S3-Leitlinien.

“Macht Schulen und Kitas endlich zu sicheren Lern- und Begegnungsorten”

Beckmann weiter: „Wir erwarten, dass die Politik die Empfehlungen des Expert:innenrates nutzt, um Schulen und Kitas endlich zu sicheren Lern- und Begegnungsorten zu machen, anstatt für den kommenden Herbst auf das Prinzip Hoffnung zu setzen. Es darf keinesfalls noch einmal dazu kommen, dass Lehrkräfte und Schulleitungen originäre Aufgaben der Gesundheitsämter und Labore übernehmen müssen. Dies verschärft den ohnehin bestehenden Mangel an Personal zusätzlich und bindet Zeit, die dringend für die Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrages benötigt wird.“ Auch den Ruf nach nachhaltigen staatlichen Fördermaßnahmen, um sowohl die durch die Pandemie entstandenen Lerndefizite und psychosozialen Belastungen als auch die bereits vor der Pandemie bestehenden Ungleichheiten in den Entwicklungschancen bei Kindern und Jugendlichen auszugleichen, teile der VBE ausdrücklich.

In die gleiche Kerbe schlägt die GEW. „Der Expert*innenrat trifft mit seinen Ausführungen den Nagel auf den Kopf. Wir müssen endlich aufhören, Kindeswohl auf geöffnete Bildungseinrichtungen zu reduzieren, die sich aufgrund von Fachkräftemangel überhaupt nicht mehr auf die veränderten Bedürfnisse einstellen können“, sagt Florian Kohl, stellvertretender Vorsitzender der GEW Bayern.

“Wir sprechen von einem bürokratisierten Bildungssystem mit einem Investitionsstau in Milliardenhöhe und ausgelaugtem Personal”

„Wir müssen die Bedingungen in den Einrichtungen ändern, wenn es uns wirklich um die Kinder und Jugendlichen geht. Das hat die Politik seit Jahrzehnten nicht getan. Wir sind heute mit einem kaputtgesparten Bildungssystem konfrontiert, in dem qualifiziertes Personal fehlt, prekäre Beschäftigungsverhältnisse zunehmen und ausreichend Nachwuchs fehlt. Wir sprechen von einem bürokratisierten und starren Bildungssystem mit einem Investitionsstau in Milliardenhöhe, maroden Schulen, ausgelaugtem Personal und fehlender Power, um dringend notwendige Reformen anzugehen. Eines muss klar sein: Ohne entsprechende Rahmenbedingungen stehen alle Forderungen nur auf dem Papier. Und: Gute Rahmenbedingungen können nur von ausreichend vielen Menschen gestaltet werden.“

Die aber fehlen, und dafür macht Kohl vor allem die immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen verantwortlich. „Lehrkräfte möchten Schulleben gestalten, Kinder und Jugendliche individuell begleiten, unterrichten und gemeinsam Schule entwickeln. Das sind ihre Kernkompetenzen. Das ist aber unter der aktuellen Fülle an Aufgaben kaum noch möglich. Trotzdem müssen wir da hin, und zwar alle Beschäftigten, die sich in welchen Kontexten auch immer um unsere Kinder kümmern.“ News4teachers / mit Material der dpa

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