LÜBECK. Kinder und Jugendliche, die auf der Flucht vor der russischen Kriegsgewalt nach Deutschland kommen, sollen möglichst schnell in die Schulen integriert werden. Die Kultusminister der Länder und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) waren sich bei der Kultusministerkonferenz (KMK) am Donnerstag in Lübeck einig, gemeinsam handeln zu wollen – wie, das blieb aber unklar. Lehrerverbände haben bereits klare Vorstellungen.
«Wir sind gefordert, den Menschen, die zu uns kommen, schnell Hilfe zu geben», sagte Stark-Watzinger. Es sei ein wichtiges Signal, in dieser Situation eine Taskforce zu gründen und pragmatisch zusammenzuarbeiten.
Stark-Watzinger und die Präsidentin der KMK, die schleswig-holsteinische Kultusministerin Karin Prien (CDU) kündigten an, nach Deutschland geflüchtete ukrainische Lehrer einzubinden. Man habe ein starkes Signal der Zusammenarbeit von Bund und Ländern gesendet. «Ich glaube, das ist der Situation nur angemessen.» Prien sagte, dass man digitalisierte ukrainische Lehrwerke einsetzen wolle. «Wir werden uns gemeinsam darum bemühen, die Rechte an diesen Lehrwerken so zu sichern, dass wir sie verwenden können.»
GEW: „Die personelle Situation an den Schulen ist vielerorts katastrophal”
Nach Priens Angaben bereiten sich die Bundesländer auf eine große Zahl geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Ukraine vor. «Es werden sicherlich viele Hunderttausend Kinder zu uns kommen», sagte sie im ZDF-«Morgenmagazin». Darüber, wie die Schulen den Ansturm bewältigen sollen, sagte sie nichts. Entsprechend kritische Töne kamen von Lehrerverbänden.
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, forderte, dass mehr Lehrpersonal eingestellt wird. «Ich kann mir vorstellen, dass man hierfür auch verstärkt Lehramtsstudenten und pensionierte Lehrkräfte gewinnen kann, weil es da eine enorme Hilfsbereitschaft in der Gesellschaft gibt. Aber dafür muss der Staat auch zusätzliche Ressourcen bereitstellen», sagte er den Funke-Zeitungen. Schon jetzt gebe es einen massiven Lehrermangel.
Der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, sagte, dass das Schulpersonal in der Regel nicht für Trauma-Arbeit ausgebildet sei. «Um den speziellen Bedürfnissen dieser Kinder in der jetzigen Situation bestmöglich begegnen zu können, braucht es multiprofessionelle Teams», sagte Beckmann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, erklärte: «Die Lehrkräfte und die pädagogischen Fachkräfte müssen für das Thema ‘Krieg, Flucht und Traumata’ sensibilisiert werden, dafür benötigen sie Fort- und Weiterbildungsangebote.»
„Geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Ukraine sind auch in Bayern und in den Schulen und Kitas vor Ort willkommen“, sagte Martina Borgendale, Landesvorsitzende der GEW Bayern. Damit eine ausreichende, gute Unterstützung der jungen Menschen möglich wird, müssten aber jetzt schnell die Fragen nach Personal und Räumen geklärt werden. Aufwendiger werde die Suche nach Pädagogen und Pädagoginnen, die in ausreichender Anzahl neu eingestellt werden müssten. „Der Lehrkräftemangel war bereits lange vor Corona in den Grund-, Mittel- und Förderschulen massiv und nimmt auch in den Real- und Berufsschulen und am Gymnasium weiter zu. Auch der große Mangel an Fachkräften in den Kitas ist längst bekannt“, erklärte sie.
Die GEW schlägt vor, unter den Geflüchteten aus der Ukraine ErzieherInnen, Lehrkräfte, SchulassistentInnen und weiteres pädagogisches Personal anzusprechen und für die Arbeit in Schulen und Kitas zu gewinnen. Dabei müssten die Hürden für eine Beschäftigung niedriger als in Friedenszeiten angesetzt werden. Das werde auch die Kenntnis der deutschen Sprache betreffen. Dem Bedarf und der Nachfrage entsprechend müssten Fortbildungen angeboten werden.
“Zum eklatanten Fachkräftemangel kommen viele Quarantänefälle und Erkrankungen hinzu“
„Die personelle Situation an den Schulen ist vielerorts katastrophal. Zum eklatanten Fachkräftemangel kommen viele Quarantänefälle und Erkrankungen hinzu“, so Borgendale. Sie schlägt deshalb zudem vor, Pädagogen und Pädagoginnen unter den Geflüchteten aus der Ukraine für die Betreuung von Schülerinnen und Schülern im Grundschulalter in kleinen Gruppen von bis zu acht Kindern einzusetzen und dort für den Anfang Ankommen, Betreuung und Freizeitaktivitäten in den Mittelpunkt zu stellen. Schulpsychologen, Schulgesundheitsfachkräfte, Sozialpädagogen und Dolmetscher gehörten zu den hier dringend erforderlichen multiprofessionellen Teams.
Auch für die Kommunikation mit Eltern müssen die Lehrkräfte in ausreichenden Maß auf die Unterstützung von Dolmetschern zurückgreifen können. Es sei besonders wichtig, dass genügend Personal für Deutsch als Fremdsprache/Deutsch als Zweitsprache zur Verfügung stehe.
Aktuell erscheint es zudem sinnvoller, jeweils zwei oder drei Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine in Regelklassen der Grund- oder Mittelschulen zu integrieren, als sie in reine Deutschklassen aufzunehmen. Für die Deutschklassen sei die von Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) genannte Obergrenze von 18 Schülern deutlich zu hoch. „Ein noch weitergehendes Aufstocken ist vollständig indiskutabel. Sinnvoll, um auch wirklich Deutsch lernen zu können, sind zehn bis zwölf Schüler*innen“, so die GEW-Landeschefin. News4teachers / mit Material der dpa