DÜSSELDORF. In den vergangenen zwei Jahrzehnten durften sich mit Gabriele Behler (SPD), Barbara Sommer (CDU), Sylvia Löhrmann (Grüne) und Yvonne Gebauer (FDP) Vertreterinnen aller etablierter Parteien im Amt der NRW-Schulministerin versuchen – ohne dass sich Grundlegendes geändert hätte. Nach wie vor rangiert Nordrhein-Westfalen in Bildungsvergleichen zumeist hinten. Zwei Lehrkräfte, Nancy Meyer und David Steimel, möchten das nun ändern – sie treten für die junge linksliberale Volt-Partei als Kandidaten bei der Landtagswahl an. Im folgenden Gastbeitrag erklären sie, warum.
Wir brauchen digitale, chancengerechte Bildung in NRW – Für einen neuen Ansatz in unserer Bildungspolitik
Wir sind Lehrer*innen, die sich politisch engagieren, weil wir nicht länger zuschauen möchten: Das Schulsystem in Nordrhein-Westfalen fördert soziale Ungleichheiten und ist noch längst nicht im Jahr 2022 angekommen.
Lernrückstände durch die Pandemie, Notendruck, zu große Klassen, volle Lehrpläne und höhere Krankenstände des Lehrpersonals verschärfen soziale Ungerechtigkeit und psychologische Probleme bei den Kindern. Marode Schulgebäude, kaum digitale Ausstattung, zu wenig Personal und veraltete Lehrpläne- all das zeigt die Baustellen unserer Bildungspolitik. Die Pandemie wurde selbstredend zum „Brennglas“, welches die Defizite in der Schulpolitik offengelegt hat. Soziale Ungleichheit wurde zementiert und digitale Lösungen hingen von der Organisationsfähigkeit und dem Budget der jeweiligen Kommune ab. Gute Bildung wurde noch mehr zur Glückssache. Doch wie können wir diese Herausforderungen angehen und positive Veränderung schaffen? Wir, Nancy Meyer und David Steimel, zwei Lehrer*innen aus NRW und Kandidat*innen für den Landtag bei der kommenden Landtagswahl, machen konkrete Vorschläge für die Zukunft der Schulen.
Beginnen wir mit der Grundbaustein, unserem mehrgliedrigen Schulystem. Das Gymnasium ist nicht darauf ausgelegt unterschiedliche Lernniveaus zu fördern, was sich insbesondere in der Pandemie als fatal herausgestellt hat. Wenn es Probleme mit Lernniveaus gibt, werden Kinder einfach abgeschult als gefördert. Kinder auf der Real- und Hauptschule werden diskriminiert und haben es schwerer im Berufseinstieg. Aufgrund mangelnder Inklusion bleiben Kinder auf Förderschulen unter sich, ihnen wird der Bildungsaufstieg verbaut. Wir sind der Überzeugung, dass es eine Schule für alle braucht – die Gemeinschaftsschulen in Finnland aber auch Modellschulen wie die Primusschule in Münster können hier Vorbilder sein. Wir können unsere bestehenden Gesamtschulen mit finanzieller Hilfe schnell in digitale, inklusive und chancengerechte Schulen umbauen.
Für einen kompletten Wandel braucht es mehr finanzielle Unterstützung, mehr Lehrpersonal und mehr multiprofessionelle Teams
Besonders im Bereich Digitalisierung und Inklusion konnte Nancy Meyer an ihrer Gesamtschule schon positive Erfahrungen verzeichnen. Bewährt haben sich gemeinsames Lernen in sogenannten iPad Klassen, Smartboard Tafeln in allen Klassenräumen, die schuleigene Cloud, eine sonderpädagogischen Kraft pro Jahrgang, Jahrgangs-Cluster mit offenem Konzept (wie Differenzierungsräume, offenes Zentrum etc.), sowie Betreuung durch zusätzliches sozialpädagogisches Personal für die ganze Schule. Dennoch braucht es für einen kompletten Wandel mehr finanzielle Unterstützung, mehr Lehrpersonal und mehr multiprofessionelle Teams.
In der Primusschule werden Kinder von der ersten bis zur zehnten Klasse unterrichtet. Hierdurch wird die frühe Selektion nach der vierten Klasse vermieden, bei der jene Kinder benachteiligt werden, die z.B. zweisprachig aufwachsen oder weniger Unterstützung von ihren Eltern bekommen können. Des Weiteren wird im Münsteraner Beispiel fächer- und jahrgangsübergreifend unterrichtet. Ein weiteres wichtiges Merkmal innerhalb der Primusschule ist, dass Lehrkräfte nicht mehr als Lehrer*innen sondern als Lernbegleitung tätig sind. Jedes Kind hat seinen eigenen individuellen Lernplan und wird durch ein Team von Erwachsenen bei der Umsetzung unterstützt. Sonderpädagog*innen, Schulpsycholg*innen, Schulsozialarbeiter*innen und Lehrkräfte bilden ein Team, die sich gegenseitig ergänzen.
Ein weiterer Vorteil der Primusschulen ist die geringere Klassengröße: Dort lernen bis zu 25 Kinder pro Klasse zusammen, eine Seltenheit in anderen Schulen, wo über 30 Schüler*innen sich einen Klassenraum teilen müssen.
Wie können wir kleinere Klassen für alle ermöglichen? Viele Parteien machen den Lehrer*innenmangel dafür verantwortlich und fordern mehr Studienplätze für angehende Lehrer*innen. Doch das Problem liegt sicher auch darin, dass der Beruf immer unattraktiver geworden ist. Wir führen oft mit unseren Kolleg*innen Gespräche über hohe Arbeitsbelastung und mussten feststellen, dass nicht nur wir die Hilflosigkeit und zunehmende Frustration spüren. Lehrer*innen fühlen sich zunehmend allein gelassen angesichts der wachsenden Aufgaben im Schulalltag. Behelfsmäßig werden Aufgaben wie die Wartung der digitalen Tafeln an Lehrer wie David abgegeben.
Wir schlagen vor, mehr Menschen mit verschiedenen Fähigkeiten an die Schulen zu holen. Warum hat eine moderne Schule nicht mehr Verwaltungsfachangestellte, die die Klassenteams und vor allem die Schulleitungen entlastet? Warum gibt es im 21. Jahrhundert noch keine digitalen Hausmeister*innen oder anderes digitales Fachpersonal? Anstatt die digitalen Tafeln zu warten, könnte David mehr Unterricht geben und für die Schüler*innen da sein. Statt die Funktion der Feuerlöscher zu spielen, bleibt mehr Zeit für die wesentlichen Erziehungs- und Bildungsaufgaben der Lehrer*innen.
Wir Lehrer*innen und die Kinder brauchen mehr Luft, mehr Zeit zum Festigen und Wiederholen des Lernstoffs
Andere Wege hin zu individuellerem Lernen liegen in der Anpassung der Lernpläne. Das Problem ist bekannt, doch nun kommen noch mehr Belastungen hinzu: Coronavirus, Distanzlernen und der Krieg mitten in Europa. Wir Lehrer*innen und die Kinder brauchen mehr Luft, mehr Zeit zum Festigen und Wiederholen des Lernstoffs. Die #WirWerdenLaut Bewegung machte darauf aufmerksam, dass die Abschlussjahrgänge benachteiligt wurden. Das ist richtig. Was sollen erst jene Kinder sagen, die jetzt in der 2. Klasse sind?
Die Politik ist hier gefordert, die Lehrpläne anzupassen und Fähigkeiten zu fördern, die unsere Kinder heute, morgen und übermorgen gebrauchen können. Wir brauchen mehr projektbasierten Unterricht, indem alle Kinder lösungsorientiert gefördert und aufs Berufsleben vorbereitet werden. Wir brauchen weniger Faktenwissen und mehr Kompetenzen beim Recherchieren mit digitalen Endgeräten. Jedes Kind braucht ein eigenes digitale Endgerät und wir brauchen Möglichkeiten mit allen Kindern auf tagesaktuelle Themen einzugehen.
Reden wir nicht drum herum: Unsere Lösungsvorschläge kosten Geld. NRW investiert 4,3% des Bruttoinlandsprodukt im Bereich Bildung. Das ist weniger als der Bundesdurchschnitt und weit weniger als das Erfolgsmodell Finnland, wo 7% des BIPs für Schulbildung ausgegeben wird. Wollen wir, das System endlich chancengerechter gestalten? Dann braucht es den politischen Willen dazu. Volt bekennt sich dazu, Bildungspolitik oben auf die Agenda zu setzen und die Situation für Lehrer*innen und Schüler*innen nachhaltig zu verbessern. Wir brauchen einen Ruck für zukunftsgerechte Schulen in NRW! Nancy Meyer & David Steimel
Name: Nancy Meyer
Alter: 38
Schulform/-ort: Gesamtschule Fröndenberg
Fächer: Geschichte/Sozialwissenschaften und Mathematik Sek.I
Wohnort: Unna
Listenplatz/ DWK: Listenplatz 5 / Wahlkreis Unna 1 (WK 115)
sonstige Aufgaben im Schulbereich: Arbeitskreis “Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage”; Arbeitskreis Medienkompetenz, Jahrgangssprecherin, stellvertr. FK-Vorsitz Sozialwissenschaften, Informatik Klasse 6, Projekte (Juniorwahl, Gedenkstättenfahrt Auschwitz, Europa-Woche, Planspiel Börse, allg. Planspiele uvm.)
Name: David Steimel
Alter: 34
Schulform/-ort: Hölderlin Gymnasium Köln
Fächer: Mathematik, Sport und Geschichte
Wohnort: Köln
Listenplatz/ DWK: Listenplatz 8 / Wahlkreis Köln 7 (Bezirk Mülheim)
sonstige Aufgaben im Schulbereich: Arbeitskreis Prävention, Arbeitskreis digitale Schule, Arbeitskreis Medienkompetenzrahmen, Ausbildung und Betreuung von Sporthelfer*innen, stellvertr. FK-Vorsitz Mathematik, Betreuung von den digitalen Tafeln, Arbeitskreis Essstörung
Wahlkampf-Thema „A13 für alle“: Verband lehrer nrw startet Kampagne für gerechte Lehrerbesoldung