NEU-ISENBURG. Sind die Grundschullehrkräfte schuld am Leistungsabsturz von Viertklässlern, den die jüngste IQB-Studie sichtbar gemacht hat? Der Philologenverband Rheinland-Pfalz, der Gymnasiallehrkräfte vertritt, hatte „erwiesenermaßen unbrauchbare Methoden“ an den Grundschulen angeprangert, der Realschullehrerverband VDR „mangelnde Leistungsorientierung“ an den Grundschulen moniert (News4teachers berichtete). Jetzt schlägt der Grundschulverband zurück – und wirft den Verbänden „billiges Kollegen-Bashing“ vor.
„In seiner Pressemitteilung zum neuen IQB-Bildungstrend zeichnet der Philologenverband ein Zerrbild von der Grundschule und ihrer Didaktik. Stattdessen ist festzuhalten: Die vom Philologenverband fälschlich behaupteten Zusammenhänge zwischen Reformen der Grundschularbeit und der Leistungsentwicklung der Schüler:innen halten einer empirischen Überprüfung nicht stand“, so heißt es in einem Statement des Grundschulverbands, unterzeichnet vom Vorsitzenden Edgar Bohn sowie den Bildungswissenschaftler Prof. i.R. Hans Brügelmann.
“Bildungsstandards können die Fortschritte der Kinder von ihren jeweils so unterschiedlichen Ausgangslagen her nicht erfassen”
Die Orientierung des Unterrichts an den Entwicklungsmöglichkeiten des einzelnen Kindes werde von den Philologen zu Unrecht als angeblich „erwiesenermaßen unbrauchbare Methode“ gerügt – sie finde sich in der Grundschuldidaktik und den Lehrplänen schon Mitte der 1980er Jahre. „Erst als Kurzschlussreaktion auf die PISA-Ergebnisse der Sekundarstufe Anfang der 2000er Jahre wurde sie dann durch die Einführung von Bildungsstandards, internationalen Testprogrammen und vergleichenden Leistungsbewertungen wieder in den Hintergrund gedrängt. Diese aber können die Fortschritte der Kinder von ihren jeweils so unterschiedlichen Ausgangslagen her nicht erfassen – und damit auch nicht die Leistungen der Lehrer:innen und Schulen fair beurteilen“, so schreiben Bohn und Brügelmann.
Außerdem: „Schaut man sich an, wie sich die Leistungen der Grundschulkinder in diesen beiden Phasen entwickelt haben, gewinnt man ein ganz anderes Bild, als dieses der Philologenverband entgegen der Empirie konstruiert. Von der IEA-Studie 1991 bis zu IGLU 2001, also während der Reformperiode, hat sich die Grundschule im internationalen Vergleich der Leseleistungen aus dem Mittelfeld ins obere Viertel verbessert, das Rechtschreiben im nationalen Vergleich auch noch von 2001 bis 2006. Erst danach stagnierten die nationalen wie internationalen Ergebnisse oder sie verschlechterten sich sogar, wie die IGLU-, VERA-und IQB-Studien zeigten.“ In der Sekundarstufe sehe die Situation nicht besser aus, wie nicht nur die Universitäten beklagten, sondern ebenfalls durch die empirischen Studien belegt werde.
Der Grundschulverband erklärt: „Wenn Philologen- und Realschullehrerverband den schwarzen Peter für die Schwierigkeiten auf der Sekundarstufe jetzt den Grundschulen zuschieben wollen, könnten diese ihn leicht weiterreichen an die Kindergärten, denn auch die Lernvoraussetzungen am Schulanfang haben sich in den letzten Jahren erheblich verschlechtert.“
„Jede Einrichtung muss sich auf die Kinder einstellen, wie sie zu ihr kommen. Das gehört zum grundlegenden Auftrag”
Aber solche Schuldzuweisungen würden den ernsthaften Bemühungen auf den verschiedenen Bildungsstufen nicht gerecht. „Jede Einrichtung muss sich auf die Kinder einstellen, wie sie zu ihr kommen – wie das viele Grund- und Gesamtschulen, aber auch gute Gymnasien, Haupt- und Realschulen seit Jahren tun. Dies gehört zum grundlegenden Auftrag jeder Bildungseinrichtung und ist in jedem Lehrplan deutlich verankert. Billiges Kollegen-Bashing hilft nicht weiter und lenkt von den großen gesellschaftlichen Herausforderungen für Bildungspolitik und Schulpraxis unnötig ab.“
Nur am Rande sei erwähnt, so Bohn und Brügelmann: „Ein vergleichender Blick auf die personelle und sächliche Ausstattung von Grundschulen und den darauf aufbauenden weiterführenden Schulen würde darüber hinaus die strukturelle Benachteiligung der Grundschulen deutlich machen.“ News4teachers