BREMEN. Die FDP hat einen Streit um Zensuren in der Grundschule entfacht. Mit Blick auf eine selbst initiierte, repräsentative Umfrage – die eine deutliche Mehrheit für Noten ab Klasse drei ergab –, fordert die Fraktion der Liberalen in der Bürgerschaft von Bremen: „Den Wunsch der Bevölkerung müssen wir ernst nehmen.“ Die Bildungssenatorin des Stadtstaats winkt allerdings ab. Die GEW sieht durch den Vorstoß eine Grundsatzfrage berührt: Die FDP habe die bildungspolitischen Herausforderungen der Zeit nicht erkannt, heißt es bei der Lehrkräfte-Gewerkschaft.
Alle Grundschulen in Bremen verzichten auf die klassischen Schulnoten und vergeben stattdessen am Ende des Jahres sogenannte Lernentwicklungsberichte (sie könnten auf Antrag durchaus ergänzende Noten erteilen). Die Berichte sollen gemäß Bremischer Zeugnisverordnung eine umfassende Beurteilung des Leistungsstandes und der Lernentwicklung des Schülers oder der Schülerin, ohne Benotung der einzelnen Fächer und unter Einschluss von Informationen zum Arbeits- und Sozialverhalten, geben und bestehen aus einem Kompetenzraster sowie einem frei formulierten Erläuterungstext. Auch für die weiterführenden Schulformen gibt es auf Beschluss der Schulkonferenz und nach Genehmigung der Fachaufsicht die Möglichkeit, bis einschließlich Jahrgangsstufe 8 ohne Zeugnisse zu arbeiten.
Im Auftrag der FDP-Fraktion hat das Meinungsforschungsinstitut Insa Consulare die Bürgerinnen und Bürger des Stadtstaates gefragt, ob sie für oder gegen Ziffernoten ab Klasse 3 sind. Das Ergebnis dieser repräsentativen Umfrage ist eindeutig: Die deutliche Mehrheit (74 Prozent) ist dafür, dass an Bremer Schulen Noten ab Klasse 3 vergeben werden. Nur 17 Prozent sprechen sich dagegen aus, 7 Prozent sind unentschieden und 1 Prozent wollte keine Angaben machen. Auch wenn sämtliche Altersgruppen jeweils mit einer klaren Mehrheit dafür sind, dass an Bremer Schulen ab der dritten Klasse Noten vergeben werden, kann beobachtet werden, dass Befragte ab 40 Jahren (74 – 83 Prozent) jeweils (deutlich) häufiger dafür sind als die jüngeren Befragten (67 bzw. 68 Prozent). Entsprechend umgekehrt verhält sich tendenziell der Alterstrend bei jenen, welche gegen eine Notenvergabe ab der dritten Klasse sind (von 26 auf 11 bzw. 14 Prozent).
„Manchmal ist es eben doch die signalhafte Wirkung einer Ziffernote, die motiviert oder aufzeigt, wo noch Lücken bestehen”
„Wir stellen uns hinter die Menschen im Land Bremen und fordern mit ihnen Schulnoten ab Klasse 3 und den Verzicht auf alle Experimente zur Leistungsrückmeldung in der weiterführenden Schule und Grundschule“, meint dazu der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion Bremen, der Lebensmittelchemiker Prof. Hauke Hilz. „Manchmal ist es eben doch die signalhafte Wirkung einer Ziffernote, die motiviert oder aufzeigt, wo noch Lücken bestehen. Dazu ist sie auch für Menschen mit Problemen im Textverständnis einfach zu erkennen.“ Weiter betont er: „Jedes Kind zu beobachten und den Entwicklungsstand zu dokumentieren, individuell zu fordern und zu fördern, wo es nötig ist, bleibt das Ziel. Ein Zeugnis mit klassischen Schulnoten gibt dazu eine schnelle, verständlich Rückmeldung für Kinder und Eltern.“
Das sieht die Bremer Bildungssenatorin Sascha Aulepp deutlich anders. „Unsere Kinder verdienen eine persönliche Beurteilung und die Betrachtung des Kindes. Leistungen von Kindern kann man nicht an einer Hand abzählen, sondern da geht es darum, sich die Kinder anzugucken. Zu schauen, wo sind Stärken, wo sind Schwächen“, so meint sie. Noten einführen? Könnten die Schulen ja, erklärt sie. Seit der Einführung der Lernentwicklungsberichte habe aber noch keine der 80 Bremer Grundschulen den Wunsch geäußert, zu Notenzeugnissen zurückzukehren.
„Gerade nach der für Grundschulkinder schweren Coronazeit bedarf es vielfältiger Hilfen, Unterstützungen und Möglichkeiten, um in Ruhe zu lernen”
Die Idee der FDP zeige, dass die Partei die bildungspolitischen Herausforderungen der Zeit nicht verstanden habe – meint die GEW. „In Zeiten des Fachkräftemangels und einer unsicheren Weltlage müssen ganz andere Weichen für Bildung gestellt werden“, sagt Landessprecherin Elke Suhr. „Gerade nach der für Grundschulkinder schweren Coronazeit bedarf es vielfältiger Hilfen, Unterstützungen und Möglichkeiten, um in Ruhe zu lernen. Die FDP setzt hingegen auf frühe Selektion. Sie nimmt in Kauf, dass gerade Kinder, die zu Hause nur bedingt eine Förderung erfahren, zusätzlich beschämt werden“, urteilt Suhr.
„Wenn sich die FDP ernsthaft für bessere Bildung einsetzen möchte, sollte sie sich auf Bundesebene für ein Sondervermögen für Bildung einsetzen, das dann bedarfsorientiert mit dem Fokus auf Bildungsgerechtigkeit an die Länder verteilt wird“, fordert die Gewerkschafterin. Laut Bildungsbericht von 2022 leben in Bremen 41 Prozent der unter 18-Jährigen in einer finanziellen Risikolage. Das sei ein einsamer Spitzenwert in Deutschland, der Bundesdurchschnitt liege bei zwei Prozent.
Nur durch massive Investitionen in Bildung könne der Bildungskrise begegnet werden. „Investitionen insbesondere in Qualifizierung und Ausbildung sind notwendig, um den bundesweiten Fachkräftemangel zu beheben, denn Bildung ist eine Querschnittsaufgabe und der Schlüssel, um die jungen Menschen auf eine zunehmend unsichere Zukunft vorzubereiten“, betont Suhr.
„Noten können die individuellen Lernfortschritte einer sehr heterogenen Schülerschaft nicht dokumentieren“, ergänzt die Stadtverbandssprecherin Corinna Genzmer. „Noten verhindern eher die natürliche Wissbegier, die Freude an der Schule und schwächen den sozialen Zusammenhalt.“ News4teachers
