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Also doch! Pandemie-Studie belegt: Lehrkräfte und Schüler waren höherem Infektionsrisiko ausgesetzt

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BRAUNSCHWEIG. „Schulen sind keine Treiber der Pandemie“ – behaupteten die Kultusminister zwei Jahre lang unisono. Eine systematische wissenschaftliche Begleitforschung, die das hätte belegen (oder widerlegen) können, gaben sie lange Zeit nicht in Auftrag. Jetzt – endlich – ist eine Studie erschienen, die die Rolle der Schulen in der Pandemie bundesweit beleuchtet. Und siehe da: Schüler und Lehrkräfte waren sehr wohl einem überdurchschnittlich hohen Infektionsrisiken ausgesetzt. 

Sind die Schulen wirklich keine Treiber der Pandemie? Die KMK wollte das offensichtlich lange Zeit gar nicht so genau wissen. Foto: Shutterstock

Für die umfassende Studie hatten das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) und die Universität Köln bundesweit Corona-Infektionsmeldedaten zusammengetragen und analysiert. Die Arbeit sei von der Kultusministerkonferen (KMK) gefördert worden, so teilt das HZI mit. Pikant: Die KMK hat die Studie aber nicht veröffentlicht. Kein Wunder: Die Ergebnisse zeigten im Verlauf der zweiten und bis zum Beginn der dritten Infektionswelle – das war zwischen Ende 2020 und Anfang 2021 –, dass Lehrkräfte in vielen Bundesländern ein höheres Infektionsrisiko hatten als die Allgemeinbevölkerung der entsprechenden Altersgruppe.

„Mit den Impfungen der Lehrkräfte nahm das Risiko dann aber ab“, sagt Dr. Berit Lange, Leiterin der Klinischen Epidemiologie am HZI und Koordinatorin der Studie. „Im Vergleich blieb es dennoch etwas erhöht, was wahrscheinlich auch damit zusammenhing, dass Lehrkräfte vermehrt getestet und so auch mehr Fälle nachgewiesen wurden.“

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„Für die Altersklassen der meisten Schüler:innen war zu diesem Zeitpunkt noch keine Impfung verfügbar“

Bei den Schülerinnen und Schülern zeigte sich dagegen ein umgekehrtes Bild. Ende 2020 bis Anfang 2021 hatten sie zunächst ein ähnlich hohes Risiko wie die Allgemeinbevölkerung, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren. Danach ist es gestiegen. „Hinter diesem Anstieg stehen vermutlich zwei Effekte: Zum einen konnten durch das vermehrte Testen innerhalb der Schulen sicherlich mehr Fälle aufgedeckt werden. Zum anderen nahm durch die Impfkampagne gleichzeitig auch die Immunität innerhalb der erwachsenen Bevölkerung zu. Für die Altersklassen der meisten Schüler:innen war aber zu diesem Zeitpunkt noch keine Impfung verfügbar“, sagt Lange. Das Forschungsteam konnte weiterhin zeigen, dass das Infektionsrisiko mit dem Alter der Schülerinnen und Schüler zunahm.

Ein zweiter Fokus der Studie lag auf der Ermittlung der Übertragungsrisiken. „Dabei haben wir sowohl das Schulumfeld als auch das Haushaltsumfeld über verschiedene Phasen der Pandemie analysiert und gesehen, dass das Infektionsrisiko bei Kontaktpersonen im Haushaltsumfeld mit dem Aufkommen der SARS-CoV-2-Varianten mit höherem Transmissionsrisiko deutlich stärker angestiegen ist als im Schulumfeld“, sagt Torben Heinsohn, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Klinischen Epidemiologie am HZI und mit Berit Lange gemeinsamer Erstautor der veröffentlichten Studie. „Vermutlich spielten hier Maßnahmen wie Maskentragen, Verkleinerung von Lerngruppen und Fernunterricht sowie das Testregime an Schulen eine Rolle – was im eigenen Haushalt ja in der Regel keine Anwendung fand.“

Um die Wirksamkeit von Infektionsschutzmaßnahmen in Schulen einzuschätzen, haben die Forschenden mithilfe einer multivariablen Analyse untersucht, wie sich das Infektionsrisiko zwei Wochen nach Beginn einer Maßnahme veränderte. Dafür haben sie die jeweils aktuelle Inzidenz zugrunde gelegt und unterschiedliche Parameter wie etwa das derzeitige allgemeine Infektionsrisiko, die Impfquote innerhalb der Bevölkerung, Test- und Maskenpflichten an Schulen in ihre Berechnungen einbezogen. „Die Analysedaten zeigen deutlich, dass in den Regionen mit Maskenpflicht die Infektionsrisiken an den Schulen niedriger waren. Und auch die Impfquote in der Bevölkerung hatte einen positiven Einfluss auf Infektionsrisiken an Schulen“, sagt Lange.

„Nach unseren Simulationen waren bis zu 20 Prozent der Infektionen in der Bevölkerung durch Kontakte in der Schule begründet”

Eine weitere Frage, der das Forschungsteam nachging: Welchen Beitrag haben Schulen am Infektionsgeschehen in der Bevölkerung? Dafür nutzten sie Modellrechnungen und zeigten, dass der Beitrag der Schulen im Zeitverlauf stark schwankt. „Nach unseren Simulationen waren bei geöffneten Schulen zum Höhepunkt der BA1/BA2-Welle bis zu 20 Prozent der Infektionen in der Bevölkerung durch Kontakte in der Schule begründet. Zu anderen Zeitpunkten war dies deutlich weniger“, erklärt Lange. „In unsere Berechnungen haben wir sowohl Daten der Schul- und Gesundheitsbehörden als auch die Untererfassung von gemeldeten Fällen einbezogen.“

20 Prozent der Infektionen? Der Bevölkerungsanteil von Schülern und Lehrkräften in Deutschland beträgt zusammen lediglich rund 15 Prozent. Bedeutet dann wohl: Die Schulen waren – anders als von den Kultusministern dargestellt – zumindest zeitweilig sehr wohl „Treiber der Pandemie”.

Die Ergebnisse der Studie sind laut HZI auch für die gerade aktualisierte S3-Leitlinie, an der Lange als Expertin mitwirkte, von Bedeutung. Die S3-Leitlinie soll dabei helfen, während der Pandemie das Infektionsrisiko an Schulen zu mindern und einen möglichst sicheren Schulbetrieb zu gewährleisten. „Auch wenn es schwierig ist, aus solchen Beobachtungsstudien einen direkten Wirkzusammenhang abzuleiten, so legen unsere Ergebnisse zusammen mit anderen Studien doch nahe, dass die in der S3-Leitlinie empfohlenen Maßnahmen wie das Maskentragen an Schulen tatsächlich wirksam sind, um Infektionen im schulischen Umfeld zu reduzieren“, sagt Lange.

Sie bilanziert: „Für die Zukunft gilt aber auch: Damit solche Studien, entsprechende Modellierungen sowie perspektivisch auch weiterführende Interventionsstudien schneller durchgeführt werden können, ist es notwendig, kollaborative Daten- und Studienplattformen aufzubauen, über die wissenschaftliche Partner wie das HZI und Partner des öffentlichen Gesundheitsdienstes Hand in Hand zusammenarbeiten können.“

Warum das die verantwortlichen Politiker in mehr als zweieinhalb Jahren Pandemie unterlassen haben? Nennt man wohl Mauer-Taktik. Und die hat bis heute Konsequenzen: Erst vor zehn Tagen wies das Verwaltungsgericht Düsseldorf die Klagen von zwei Lehrerinnen ab, die ihre Corona-Infektionen – die jeweils in einer Dienstunfähigkeit mündeten – als Dienstunfall anerkannt haben wollten (News4teachers berichtete). Die Beamtinnen hätten nicht nachweisen können, dass sie bei ihrer dienstlichen Tätigkeit einer besonderen Gefahr ausgesetzt seien, befanden die Richter. Wie auch? Entsprechende Studien gab es bis dato ja nicht. News4teachers

Originalpublikation: Torben Heinsohn, Berit Lange, Patrizio Vanella, Isti Rodiah, Stephan Glöckner, Alexander Joachim, Dennis Becker, Tobias Brändle, Stefan Dhein, Stefan Ehehalt, Mira Fries, Annette Galante-Gottschalk, Stefanie Jehnichen, Sarah Kolkmann, Annelene Kossow, Martin Hellmich, Jörg Dötsch, Gérard Krause: Infection and transmission risks of COVID-19 in schools and their contribution to population infections in Germany: A retrospective observational study using nationwide and regional health and education agency notification data. PLOS Medicine, 20. Dezember 2022; DOI: 10.1371/journal.pmed.1003913

Die krassen Versäumnisse der Kultusminister in der Corona-Krise – eine Bilanz, die mit Sorge auf den Herbst blicken lässt

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