Eine Analyse von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.
BERLIN. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat mit Blick auf den Lehrkräftemangel ihren Vorschlag bekräftigt, besonders engagierten Lehrkräften Leistungsprämien zu zahlen. „Wenn Leistung sich lohnt, ist das ein Anreiz. Das macht was mit einem Team und mit der Arbeitskultur“, sagt die FDP-Politikerin im aktuellen „Spiegel“. Was für eine Unverschämtheit: Als wäre es fehlende Leistungsbereitschaft der Kollegien, die die aktuelle Bildungskrise verursacht hätte.
Stark-Watzinger plädiert dafür, angesichts der Probleme nicht nur „altbekannte Pfade“ abzuschreiten, sondern offen zu diskutieren. So weit, so gut. Die Analyse der studierten Wirtschaftswissenschaftler fällt allerdings wie in einer Hausaufgabe von VWL-Erstsemsestern aus: „Eine leistungsorientierte Bezahlung könnte ein Weg sein, um den Job attraktiver zu machen.“ Aha. In manchen Bundesländern, so Stark-Watzinger, gebe es bereits die Möglichkeit, Prämien zu zahlen. Der Leistungsgedanke werde nur nicht wirklich gelebt. „Man kann überlegen, einzelne Lehrkräfte zu belohnen für qualitativ hochwertigen Unterricht, für Zusatzangebote, für herausragendes Engagement“, sagt Stark-Watzinger. Es müsse sich mehr lohnen, sich für die Zukunft der Kinder einzusetzen, betont sie.
Dass Prämien an Lehrkräfte auch in den Bundesländern, die die rechtlichen Möglichkeiten dazu in der Vergangenheit geschaffen haben, in der Praxis kaum ausgezahlt werden, sollte die Bundesbildungsministerin allerdings stutzig machen. Könnte daran liegen, dass das Instrument schlicht nicht funktioniert. Kein Wunder. Schon die Grundlage fehlt – nämlich eine nachvollziehbare Antwort auf die Frage: Was ist denn überhaupt eine besonders gute Lehrkraft, die prämierungswürdig wäre?
Dass der Leistungsgedanke in den Schulen nicht „gelebt“ werde, wie Stark-Watzinger meint, ist schlicht Blödsinn
Ist es der Lehrer, der in einer Brennpunktschule Kindern aus sozial schwierigen Verhältnissen elementare Grundbildung vermittelt – und dabei aufgrund der Umstände auch immer wieder scheitert? Oder die Lehrerin, die an einem bürgerlichen Gymnasium bildungsaffinen Jugendlichen Anreize zu fachlichen Höchstleistungen setzt? Ist es die Lehrkraft, die sehr viel Ehrgeiz darein legt, ihren Unterricht methodisch weiterzuentwickeln und dabei auch digitale Lernmedien gekonnt zum Einsatz bringt? Oder die, die sich mit sehr viel Aufwand darum bemüht, Schülerinnen und Schüler mit wie auch immer gearteten Handicaps sozial in die Klassengemeinschaft zu integrieren?
Dass der Leistungsgedanke in den Schulen nicht „gelebt“ werde, wie Stark-Watzinger meint, ist schlicht Blödsinn. Er wird allerdings mehr gelitten als gelebt. Richtig ist nämlich: Lehrkräften wird viel zu viel von oben abverlangt.
Ob Bildungsungerechtigkeit und, damit verbunden, sozialer Ausgleich, Integration von Flüchtlingskindern, Inklusion, Islamismusprävention, mangelndes Demokratiebewusstsein, Ernährungsmängel, Bewegungsdefizite, Betreuungsprobleme von Familien, Jungenförderung, Mädchenförderung, Unkenntnis von Schülern in ökonomischen Fragen, falsches Zähneputzen – jedes gesellschaftliche Problem in Deutschland, dessen Ursprung sich irgendwie in der Jugend verorten lässt (und das trifft auf praktisch alle zu), soll von den Schulen gelöst werden. Und zwar plötzlich und nebenbei, also ohne dass den Lehrkräften mitgeteilt würde, woher zusätzliche Mittel für die zusätzlichen Aufgaben kommen.
„Die Politik hat die Angewohnheit, alles an die Schulen zu delegieren, woran sie selbst scheitert“
Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, schlug angesichts der Inflation solcher Forderungen schon vor Jahren Alarm. „Die Politik hat die Angewohnheit, alles an die Schulen zu delegieren, woran sie selbst scheitert“, sagte er. Das ist zwar kein Wunder. Denn Schule, so Meidinger, sei heute die letzte gesellschaftliche Instanz, die alle Schichten erreiche, die letzte Chance, um Werte und Grundlagen des Zusammenlebens „in Köpfen und Herzen zu verankern“. Die Folge ist ihm zufolge aber fatal: Schule werde zunehmend als „Dienstleister“ gesehen. Und weil die Erwartungen immer größer würden, könne Schule nur scheitern.
Ein Anforderungskatalog für Lehrkräfte, den die KMK schon im Jahr 2000 verabschiedet hat (und der bis heute gilt), macht das anschaulich. Wer die Liste ernsthaft beherzigt, dem ist der Burnout schon sicher vorherzusagen. Die Verantwortung der Lehrkräfte endet danach nicht mal mehr mit dem Schulabschluss – sie sind gleich fürs ganze Leben ihrer Zöglinge zuständig.
„Lehrerinnen und Lehrer sind Fachleute für das Lernen“, so heißt es darin, „ihre Kernaufgabe ist die gezielte und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltete Planung, Organisation und Reflexion von Lehr- und Lernprozessen sowie ihre individuelle Bewertung und systemische Evaluation. Sie vermitteln grundlegende Kenntnisse und Fertigkeiten in Methoden, die es dem Einzelnen ermöglichen, selbständig den Prozess des lebenslangen Lernens zu meistern.“ Wohlgemerkt: Lebenslang!
Feierabend? Gibt es für Lehrkräfte offenbar nie – sie haben als Rollenmodelle zu dienen. „Positive Wertorientierungen, Haltungen und Handlungen können nur überzeugend beeinflusst werden, wenn Lehrerinnen und Lehrer auch als Vorbilder für Kinder und Jugendliche wirken und sich dessen bewusst sind.“ Frust zum Beispiel ist also verboten.
Noch mehr Ansprüche gefällig? „Lehrerinnen und Lehrer üben ihre Beurteilungsaufgabe im Unterricht und bei der Vergabe von Berechtigungen für Ausbildungs- und Berufswege kompetent, gerecht und verantwortungsbewusst aus. Dafür sind hohe pädagogisch psychologische und diagnostische Kompetenzen von Lehrkräften erforderlich sowie die motivierende Kommunikation untereinander und die hilfreiche Beratung der Schülerinnen und Schüler und ihrer Eltern.“
Natürlich streben gute Lehrkräfte auch danach, sich und die Schule vom Zustand der Perfektion aus noch stetig zu verbessern – um dann in die Welt hineinzuwirken. „Die Schule ist kein von der Gesellschaft abgesonderter Raum. Lehrerinnen und Lehrer sind deshalb in wachsendem Maße gefordert, Schüler und Eltern zu beraten, in schulübergreifenden Gremien und Institutionen mitzuarbeiten, Aufgaben und Verantwortung bei der eigenständigen Verwaltung der Schule zu übernehmen.“ Das reicht natürlich immer noch nicht. Das Ganze will ja auch überprüft werden. Von wem? Von den Lehrkräften selbst. „Lehrerinnen und Lehrer unterstützen die interne und externe Evaluation der Lehr- und Lernprozesse, der Gestaltung des Schulprogramms und des Schullebens.“
Aus all dem lässt sich zweierlei schlussfolgern: Erstens, wenn verantwortliche Politiker neue Aufgaben an Schulen delegieren (wie aktuell die KMK, die allen Ernstes von den Schulen aktuell verstärkte Anstrengungen bezüglich Kultureller Bildung fordert, als gebe es Corona, Ukraine-Flüchtlinge und Lehrermangel nicht), haben sie gefälligst gleich die Ressourcen mitzuliefern. Zweitens, es braucht endlich mal eine realistische Festlegung dessen, was genau in welchem Umfang zu den Aufgaben von Lehrkräften genügt – oder besser: Wo die Grenzen dessen sind, was Schule überhaupt zu leisten vermag.
„Es geht weniger darum, den Lehrerberuf finanziell attraktiver zu machen, das ist er schon. Es geht eher darum, das Berufsfeld intellektuell attraktiver zu machen“
Bereits seit 2019 erklärt die OECD im jährlich erscheinenden Bericht „Bildung auf einen Blick“ den deutschen Kultusministern, dass der Lehrermangel in Deutschland nichts mit zu wenig Geld zu tun hat (also auch nicht mit fehlenden Prämien). „Es geht weniger darum, den Lehrerberuf finanziell attraktiver zu machen, das ist er schon. Es geht eher darum, das Berufsfeld intellektuell attraktiver zu machen“, sagt OECD-Bildungsdirektor und PISA-Chef Prof. Andreas Schleicher – mit spannenden Entwicklungsmöglichkeiten, vielfältigeren Aufgabenbereichen und mehr Freiräumen in den Schulen. „Das ist immer noch ein sehr industrielles Arbeitsmodell, das es da bei uns gibt. Da sind viele Länder weiter.“
Während in Deutschland lediglich 17 Prozent aller pädagogischen Entscheidungen in den Schulen selbst getroffen würden, seien es beispielsweise im Nachbarland Niederlande über 90 Prozent. Schleicher: „Wir versuchen, immer neue Ideen ins Bildungssystem reinzudrücken – von oben. Wir sollten stattdessen versuchen, die guten Ideen aus den Klassenzimmern ins System zu holen. Das ist das Entscheidende. Und dabei spielen die Lehrkräfte die entscheidende Rolle.“ Er betont in Richtung Politik: „Es ist also viel wichtiger, die Leute vor Ort zu mobilisieren, wirklich Verantwortung zu übernehmen. Ich muss Vertrauen in die Leute vor Ort haben, dass sie gute Entscheidungen treffen. Es braucht Vertrauen in die Schüler, die Lehrkräfte, in die Schulleitungen vor Ort.“
Was es dagegen nicht braucht: Utopische Leistungsanforderungen, die aus dem Lehrerberuf letztlich eine Mission Impossible machen. News4teachers
Hier geht es zum Aufgabenkatalog der KMK für Lehrkräfte.